
In dieser Sendung von barrierefrei aufgerollt sprechen wir über Teilhabe am Arbeitsleben. Besonders interessiert uns die Situation von Menschen die in sogenannten Werkstätten für behinderte Menschen sind und was notwendig ist um die Chancen der Menschen im allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt zu werden erhöhen würde.
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Unsere Gäste
Oliver Koenig, Universitätsprofessor für Inklusive Pädagogik und Inklusionsmanagement an der Bertha von Suttner Privatuniversität in St. Pölten.
Bernhard Bruckner, derzeitiger Geschäftsführer des Österreichischen Behindertenrats.
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Wien: Auf Radio ORANGE am 3. Oktober 2021 um 10:30 Uhr. Die Sendung kann auch auf o94.at live gehört werden. Die Wiederholung gibt es am 17. Oktober um 10:30 Uhr.
St. Pölten: Im campus & city radio am 14. Oktober 2021 um 17 Uhr. Die Sendung kann auch auf cr944.at live gehört werden.
Graz: Im Radio Helsinki am 22. Oktober 2021 um 17 Uhr. Die Sendung kann auch auf helsinki.at live gehört werden.
Salzburg: Auf radiofabrik am 11. Oktober 2021 um 18 Uhr. Die Sendung kann auch auf radiofabrik.at live gehört werden.
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Die Sendung zum Nachlesen
Katharina Müllebner: Herzlich willkommen bei barrierefrei aufgerollt, der Sendung von BIZEPS Zentrum für Selbstbestimmtes Leben. Es begrüßt Sie, Katharina Müllebner.
Die Teilhabe am Arbeitsleben ist ein zentraler Bestandteil der gesellschaftlichen Teilhabe. Über die Arbeit bestimmt sich der soziale Status und über den Verdienst auch maßgeblich die Möglichkeit der Lebensgestaltung im Wohn- und Freizeitbereich. Zugespitzt kann man sagen, dass ein Ausschluss aus der Erwerbsarbeit einem Ausschluss aus der Gesellschaft gleichkommt.
Jeder Mensch sollte das Recht haben, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit bestreiten zu können. Doch das Thema Arbeit ist immer noch eine der großen Baustellen, wenn es um die Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen geht. Da die Arbeitslosigkeit unter Menschen mit Behinderungen deutlich höher ist, als die unter Menschen ohne Behinderungen.
Im Zeitraum von 2007 bis 2017 ist die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderungen um fast 140 Prozent gestiegen und befand sich bereits 2019 auf dem höchsten Stand seit ihrer statistischen Erfassung. Darüber hinaus sind nur 55,9 Prozent der Menschen mit Behinderungen im erwerbsfähigen Alter auch tatsächlich erwerbsfähig oder auf Jobsuche.
Für Menschen ohne Behinderungen sind es hingegen 77,1 Prozent. Auch sind derzeit circa 24.000 Menschen, denen Arbeitsunfähigkeit zugeschrieben wurde, meist ihr ganzes Leben von der Erwerbsarbeit ausgeschlossen.
Das bedeutet, nur etwas mehr als die Hälfte der Menschen mit Behinderungen haben eine Arbeit.
Wir widmen uns daher etwas ausführlicher dem Thema Arbeit. Der besondere Fokus liegt auf jenen Menschen, die von der Erwerbsarbeit ausgeschlossen sind und in Werkstätten arbeiten. Im ersten Teil wird es eine grundlegende Einführung zum Thema Werkstätten in Österreich geben. Dann geht es um die Frage, was passieren muss, damit der Arbeitsmarkt für alle Menschen zugänglich wird.
Oliver Koenig ist Universitätsprofessor für Inklusive Pädagogik und Inklusionsmanagement an der Bertha von Suttner Privatuniversität in St. Pölten. Unter anderem beschäftigt er sich in seiner Forschung mit der Situation von Menschen mit Behinderungen, die sich am Übergang von der Schule ins Berufsleben befinden.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Herr Koenig, guten Tag, schön, dass Sie da sind. Wie stellt sich denn die Situation von Menschen mit Behinderung, die sich im Übergang von Schule ins Berufsleben befinden, dar? Wie ist das?
Oliver Koenig: Wenn Sie fragen, wie die Übergangssituation für Menschen mit Behinderung generell aussieht? In Österreich würde ich sagen, dass die Situation da sehr heterogen ist. Also sehr, sehr unterschiedlich.
Es macht in Österreich nach wie vor einen Unterschied, in welchem Bundesland ich geboren bin. Es macht auch einen Unterschied, welche Bildungslaufbahn ich absolviert habe. Es macht auch einen Unterschied, aus was für einem familiären Kontext ich komme.
Viele dieser Sachen machen einen Unterschied, sodass es schwer ist, pauschal zu sagen, wie die Situation von Menschen mit Behinderungen am Übergang ist. Die Situation ist auf jeden Fall herausfordernd und wo wir leider keine Zahlen haben, aber durchaus auch Einschätzungen vieler AkteurInnen aus dem Feld, ist, dass sich gerade im Bereich arbeitsmarktpolitische Maßnahmen im Zuge der COVID-Pandemie sich insbesondere auch für jugendliche und erwachsene Menschen mit Behinderung die Situation noch einmal sehr stark verschärft hat.
Katharina Müllebner: Man unterscheidet den Ersatzarbeitsmarkt vom allgemeinen Arbeitsmarkt. Was ist, was ist beides, was versteht man unter Ersatzarbeitsmarkt?
Oliver Koenig: Da würde ich mal sagen, das ist eine Wortkonstruktion, eine Wortschöpfung. Wenn Sie sich auf den Bereich des allgemeinen Arbeitsmarkts beziehen.
Wir können sagen, es verhält sich so, wie es sich mit der Frage von Beschulung, einer inklusiven Beschulung oder einem grundsätzlich inklusiven Schulsystem versus eines Sonderschulen oder eines gemischten Systems, in dem es Schulintegration als auch, Sonderschule/, also Sonderbeschulung von Kindern mit Behinderungen geht. Eine ähnliche Konstruktion ist eine Unterteilung in einen Arbeitsmarkt und in einen Ersatzarbeitsmarkt.
Allein die Bezeichnung oder diese Konnotierung mit Ersatz, Ersatz für das vermeintlich Normale, Reguläre. Für wen? Für Menschen, die am Rand stehen, als nicht in dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugehörig betrachtet werden.
International wird da häufig eine Unterscheidung getroffen zwischen ersten, zweiten und dritten Arbeitsmarkt.
Der erste Arbeitsmarkt ist der allgemeine Arbeitsmarkt, der sich in Bezug auf Fragen der Zugänglichkeit im nach wie vor als für viele Menschen geschlossen darstellt.
Als zweiter Arbeitsmarkt würde vielleicht auch schon eine Form des Ersatzarbeitsmarktes bezeichnet werden, aber eine Form des Ersatzarbeitsmarktes, in dem die dort beschäftigten Menschen auch einen ArbeitnehmerInnen-Status haben, einen kollektiv vertraglichen und branchenüblichen Lohn beziehen.
Und wenn wir jetzt uns dem dritten Arbeitsmarkt zubewegen, das ist so ein Stück weit das, was in Österreich, dieses System der Werkstätten, die in den neun österreichischen Bundesländern unterschiedlich geregelt sind, anschauen. Dann würden wir eigentlich von einem dritten Arbeitsmarkt sprechen, weil die dort beschäftigten Menschen eben nicht als Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer gelten und auch dementsprechend nicht diese Rechte haben und dementsprechend für ihre Leistungen auch nicht bezahlt werden.
Katharina Müllebner: Man spricht gemeinhin von Werkstätten, das haben Sie schon gesagt. Was kann man unter einer Werkstatt verstehen?
Oliver Koenig: Der Bereich Arbeit für Menschen mit Behinderung ist eigentlich einer, der im Bundes-Behinderteneinstellungsgesetz geregelt sein sollte. Arbeit ist grundsätzlich in der Zuständigkeit des Bundes und des Arbeitsmarktservices oder das Sozialministeriumsservices.
Durch eine Konstruktion, nämlich die Konstruktion der Arbeitsfähigkeit, wird überhaupt erst das Feld der Behindertenhilfe geschaffen, indem man sagt, dass es Menschen gibt, die weniger als 50 Prozent Arbeitsleistung erbringen können, wird erst die Zielgruppe der Behindertenhilfe definiert, für die dann der Bund und seine Maßnahmen für Arbeit sich der Zuständigkeit entledigen.
Und insofern ist eine Werkstatt eine Maßnahme der Behindertenhilfe, die in Österreich auf Landesebene geregelt ist, in Gesetzen, die jetzt in den letzten Jahren teilweise fancy Titel bekommen haben, die jetzt Teilhabegesetze heißen, Chancengleichheitsgesetze in einigen Bundesländern.
In manchen Bundesländern fällt es nach wie vor unter die allgemeinen, wie das allgemeine Sozialhilfe/ die allgemeine Sozialhilfegesetzgebung. Und hier ist es dann auch so, dass wir aufgrund dieser föderalen Struktur auch keine einheitliche Bezeichnung haben.
Wir haben die Bezeichnung Werkstatt, wir haben die Bezeichnung Tagesstruktur. Wir haben die Bezeichnung fähigkeitsorientierte Aktivität, in Oberösterreich zum Beispiel. Und meines Wissens nach wird im Burgenland nach wie vor der von vielen Menschen als sehr diskriminierend empfundene Begriff der Beschäftigungstherapie verwendet.
Katharina Müllebner: Also das sind alles Begrifflichkeiten für ein und dasselbe System?
Oliver Koenig: Für ein und dasselbe System, für die Maßnahme der Behindertenhilfe, in der Menschen mit Behinderung, denen Arbeitsunfähigkeit attestiert wird, eine Leistung der jeweiligen Behindertenhilfe des jeweiligen Bundeslandes in Anspruch nehmen und dort einer Tätigkeit nachgehen, die mehr oder weniger auch den Charakter von Arbeit hat. Aber es liegt in der Regel nicht an den betroffenen Menschen selbst, sondern an dem Angebot oder der Struktur, in die sie hineinkommen.
Katharina Müllebner: Warum kommt jemand sonst noch in eine Werkstätte?
Oliver Koenig: Die Gründe sind höchst unterschiedlich. Auf der einen Seite haben wir nach wie vor ein – das ist das, was ich vorhin gesagt habe als Sie gefragt haben: Wie stellt sich die Übergangssituation dar? Und sie stellt sich unterschiedlich dar.
Sie stellt sich unterschiedlich dar, je nachdem, für junge Menschen, ob sie sehr aktive Eltern hatten, die auch aktiv dafür eingetreten sind. Und das ist gerade in diesem Alter auch wirklich, liegt es vor allem am Einsatz der jeweiligen Eltern.
Wir haben so in besagter Studie 2009, 2010 auch empirisch nachvollziehen können, dass Schüler und Schülerinnen, die eine integrative Schullaufbahn besucht haben, eine weitaus höhere Wahrscheinlichkeit haben, auch Fuß zu fassen im allgemeinen Arbeitsmarkt. Und auf der anderen Seite sehen wir einen historisch gewachsenen und niemals unterbrochenen Automatismus, dass Menschen, die das Sonderschulsystem besuchen, mit einem überwiegend großen Anteil in unmittelbarer Folge in das System der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen transferiert werden.
Katharina Müllebner: Ich habe mal gehört, Werkstätten sollen doch auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereiten, oder war das ein Missverständnis? Was ist ihre Aufgabe?
Oliver Koenig: Die Struktur der Werkstätten ist ja per se geschaffen, weil eine Etikettierung, ein Zuschreibungsprozess erfolgt, der Menschen sagt: Du bist nicht in der Lage zu arbeiten. Du stehst dem Arbeitsmarkt dadurch mit deiner Arbeitsleistung auch nicht zur Verfügung.
Zahlen habe ich nur aus besagter Studie aus dem Jahr 2009. Damals hat sich die Übertrittsquote von Menschen mit Behinderungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt aus Werkstätten bei 1,5 Prozent bewegt.
Es gibt jetzt eine jüngere Studie, eine europäische Studie, die im Auftrag des Europäischen Parlaments, ich glaube, 2016 veröffentlicht wurde, die sich diese Zahlen in Österreich, also europaweit anschaut. Die unterscheiden zwischen traditionellen Werkstätten, also solchen Werkstätten, die nach wie vor viel stärker diesen Charakter der Beschäftigungstherapie haben, mit solchen Werkstätten, die in dem Sinn als Übergangswerkstätten bezeichnet werden und das, was dort festgestellt wird, dass aber auch derartige Übergangswerkstätten europaweit nicht mehr als 3 Prozent der Beschäftigten pro Jahr in das System des allgemeinen Arbeitsmarkts vermitteln.
Könnte man fragen: Warum ist das so? Und eine mögliche Antwort, zu der es auch Forschung gibt, lautet, dass Menschen in diesem System nicht wirklich an ein tatsächliches Potenzial herangeführt werden, sondern dass ich grundsätzlich davon ausgehe, dass eine sehr einfache, häufig sehr monotone Form der Beschäftigung für Menschen mit Behinderung das einzig mögliche ist.
Und es gibt Studien, die zeigen, dass besonders in Deutschland und in Deutschland ist interessanterweise gerade in diesem Eingangsbereich der Werkstätten das Erlernen von beruflichen Fähigkeiten und Fertigkeiten noch viel wichtiger als in Österreich. Und dort konnte man empirisch feststellen, dass Menschen nach drei Jahren weniger gekonnt haben als zu dem Zeitpunkt, wo sie diese Systeme betreten haben.
Katharina Müllebner: Ein weiterer Kritikpunkt: Die Werkstätten lassen die Leute ihr Potenzial nicht ausschöpfen. Und ein weiterer Kritikpunkt ist ja auch: Die Menschen werden dort nicht wie Arbeitnehmer behandelt.
Sie haben weder Arbeitnehmer-Schutzrechte noch haben sie ein anständiges Gehalt/ ich weiß nicht, ob Sie was dazu sagen können, wie hoch dieses Werkstatt-Taschengeld in Österreich ist?
Oliver Koenig: Also es ist ja auch ein Teil dieser letztlich nicht überwundenen Symbolik, also so diese paternalistische, diese bevormundende Kultur, politische Kultur, gegenüber Menschen mit Behinderung, erwachsene Menschen bis über das eigentliche Pensionsantrittsalter hinaus als ewige Kinder zu behandeln, symbolisch, und ihnen nicht mehr zuzusprechen als ein symbolisches Taschengeld.
Wo manche Institutionen dann sogar ganz ausgeklügelte Systeme haben, in denen dann unterschiedliche Leistungsformen durch so etwas wie 10 bis 20 Euro mehr im Monat abgegolten werden. Also durch überhaupt keine finanziellen/ überhaupt keinen finanziellen Mehrwert letztlich. Dieser Betrag ist unterschiedlich.
Wir haben damals eben – es ist schon lang her – geschaut, da war der Durchschnittsbetrag in Österreich so bei knapp 45 Euro und hat geschwankt zwischen 15 und knapp 200, die ausbezahlt wurden. Wobei, wenn es in Richtung 200 geht, dabei eben auch schon so etwas wie ein Leistungszuschlag enthalten war. Also besonders leistungsfähige Personen, die entsprechend so viel bekommen.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Artikel 27 der UN‑Behindertenrechtskonvention besagt, dass Menschen mit Behinderungen das gleiche Recht auf Arbeit haben wie Menschen ohne Behinderungen. Dies beinhaltet auch das Recht auf die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt mit Arbeit zu verdienen und dass die Arbeit in einem offenen, inklusiven und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt frei gewählt oder aufgenommen werden kann.
Wie wir schon gesehen haben, sind Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt deutlich schlechter gestellt. Aus diesem Grund haben sich der Österreichische Behindertenrat, der Dachverband Selbstbestimmt Leben Initiative Österreich, der Dachverband Berufliche Integration Austria, BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben und auch andere Behindertenorganisationen zusammengeschlossen und in einem gemeinsamen Prozess Vorschläge für den inklusiven Arbeitsmarkt erarbeitet.
[Überleitungsmusik]Wir sprechen heute mit Bernhard Bruckner, er ist zurzeit der Geschäftsführer des Österreichischen Behindertenrats. Herr Bruckner, hallo, schön, dass Sie da sind.
Bernhard Bruckner: Hallo!
Katharina Müllebner: Wie sind aus Ihrer Sicht oder aus Sicht der UN-Behindertenrechtskonvention Werkstätten zu bewerten?
Bernhard Bruckner: Um ein bisschen auszuholen sozusagen, die UN-Konvention gibt uns in Artikel 27 die Richtschnur für den Arbeitsmarkt vor und sieht hier vor, dass Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit eingeräumt wird, auf einem inklusiven allgemeinen Arbeitsmarkt zu arbeiten.
Wenn wir jetzt dem gegenüber die Werkstätten stellt, die ja Sonder-Arbeitswelten sind, weil sie getrennt vom jetzt ersten Arbeitsmarkt sind, auch nicht entlohnt sind, nicht sozialversicherungsrechtlich abgesichert sind, die Personen, die dort sind, und des Weiteren bedenkt, dass dort ausschließlich Menschen mit Behinderungen arbeiten, also nicht Menschen mit und ohne Behinderungen zusammen, kann man sagen, dass das jetzige System der Werkstätten nicht Artikel 27 der UN BRK entspricht. Das haben sowohl wir festgestellt, als auch der Monitoring-Ausschuss und auch die Volksanwaltschaft hat in diese Richtung schon argumentiert.
Katharina Müllebner: Wie müssten Werkstätten sein, damit sie UN-Konvention-konform sind, oder dürften sie dafür gar nicht existieren?
Bernhard Bruckner: Das ist tatsächlich eine schwierige Frage und dementsprechend haben wir sozusagen auch bei unseren Vorschlägen für einen inklusiven Arbeitsmarkt den Fokus darauf gelegt, die Maßnahmen zu ergreifen, dass die Politik die Maßnahmen ergreift, die Gesellschaft, aber auch die Arbeitgeber die Maßnahmen ergreift, damit möglichst alle Menschen mit Behinderungen am sogenannten allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten können.
Inwiefern es dann geschütztere Bereiche in diesem Arbeitsmarkt geben kann oder muss, ist sozusagen noch nicht vollständig geklärt. Jedenfalls in der vorliegenden Form würden die Werkstätten das keinesfalls erfüllen. Das heißt, um sozusagen, wenn man davon ausgeht, dass es Werkstätten – oder geschütztere Bereiche, nennen wir sie so – in irgendeiner Form weiterhin braucht, muss man sagen, auch dort muss man einen Lohn bekommen. Dort muss man sozialversicherungsrechtlich abgesichert sein.
Und wahrscheinlich das Wichtigste ist: Es müssen dort Maßnahmen gesetzt werden, die einen Wechsel, also eine Durchlässigkeit zum allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglichen, sodass die Leute nicht die Werkstätten als Einbahnstraße erleben, sondern auch von dort aus die Möglichkeit haben, auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu kommen.
Katharina Müllebner: Sie haben auf die Vorschläge, die 2019, glaube ich, erarbeitet wurden, sind schon eingegangen. Was für Vorschläge gab es noch konkret, (00:20:00) um den Arbeitsmarkt inklusiver zu machen?
Bernhard Bruckner: Also ich möchte/ zum ersten möchte ich mal sozusagen ein bisschen erläutern, wie wir uns diesem Thema gewidmet haben. Also wir sehen, Arbeit kann man nicht isoliert betrachten. Dementsprechend gehen wir in unseren Vorschlägen/ sind diese gegliedert nach Lebensphasen und wir beginnen sozusagen bei der Geburt bis hin über die Pension bis zum Lebensende.
Weil wir der Meinung sind, dass sozusagen die Grundbasis für einen inklusiven Arbeitsmarkt schon in der Kindheit und Jugend gelebt, also gelegt wird. Denn nur wenn es schon frühe Hilfen für Kinder mit Behinderungen gibt, wenn es ein inklusives Schulsystem gibt, wo Kinder mit Behinderungen gleichberechtigt mit Kindern ohne Behinderungen lernen können und damit ihre Kompetenzen erweitern können, erst dann ist es sozusagen möglich, auch einen inklusiven Arbeitsmarkt umzusetzen. Wenn wir dann im Erwerbsleben sind, haben wir unterschiedliche Maßnahmen, ob man gerade in einem Beruf ist oder einen sucht, Qualifizierung, Umschulung, Unterstützung. Und um jetzt ein paar herauszugreifen, die unserer Meinung nach besonders wichtig sind. Alle Maßnahmen, politischen Strategien, müssen darauf ausgerichtet sein, die Teilhabe von allen Menschen an einem inklusiven Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Wo gibt es noch einen kleinen Punkt, den wir auch jetzt aktuell in der politischen Diskussion sehen? Das ist die Arbeitsunfähigkeit. Wir sind der Meinung, dass der Aufbau eines inklusiven Arbeitsmarktes nur dann möglich ist, wenn in einem ersten Schritt für junge Menschen die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, die jetzt oftmals direkt nach der Schule ist, für einen gewissen Zeitraum unterbleibt, um ihnen die Möglichkeit zu geben, noch mehr nachzureifen, Qualifikationen zu erlangen, um dann zu arbeiten.
Katharina Müllebner: Wie sehen Sie realistisch die Chancen, dass die Politik sich in näherer Zukunft davon überzeugen lässt, das endlich voranzutreiben, was ja schon seit Jahrzehnten ein Thema ist?
Bernhard Bruckner: Eine umfassende – und das wäre eine umfassende Reform – des gesamten Arbeitsmarktes. Das wird nicht von heut auf morgen gehen. Hier habe ich aber eine gewisse Hoffnung durch den Nationalen Aktionsplan Behinderung 2022 bis 2030, wo – der ja jetzt sozusagen gerade in der Stellung ist – wo hoffentlich strukturierte Schritte in Richtung eines inklusiven Arbeitsmarktes abgebildet werden und dann auch abgearbeitet werden. Wir werden jedenfalls weiterhin darauf pochen, dass diese Schritte von der Politik auch gemacht werden.
Katharina Müllebner: Diese Forderung und der Nationale Aktionsplan, das ist ja alles gut, es gibt da sehr ausführliche Forderungen, aber wie kann man dann sehen, ob es tatsächlich umgesetzt wird? Es gibt immer – das ist so eine Sache in Österreich – es gibt immer X Pläne, Vorschläge, Kataloge. An welchen Indikatoren würde man jetzt sehen, jetzt haben wir was erreicht!
Bernhard Bruckner: Genau, wie Sie schon ganz richtig gesagt haben, kommt den Indikatoren hier eine maßgebliche Bedeutung zu. Das heißt, an Indikatoren kann ich messen, ob ich ein Ziel erreiche oder nicht. Das kann ich/ und da ist für mich sozusagen die aussagekräftigste jetzige Zahl ist die Erwerbsquote. Also wir wissen, dass die Erwerbsquote unter Menschen mit Behinderungen deutlich niedriger ist als unter Menschen ohne Behinderungen. Erwerbsquote besagt, wie viele Personen dieser Gruppe entweder einen Job haben oder arbeitslos sind.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: In dieser Sendung haben wir einen ersten Einblick in das Thema Werkstätten bekommen. Diese widersprechen, so wie sie jetzt sind, der UN-Behindertenrechtskonvention.
Das Ziel ist klar: Ein inklusiver durchlässiger Arbeitsmarkt mit unterschiedlichen Beschäftigungsmodellen, die sich nach den Bedürfnissen verschiedener Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer richten.
Die Garantie von gerechter Entlohnung, Arbeitnehmerrechten und sozialversicherungsrechtlicher Absicherung, egal wo man arbeitet. Die Möglichkeit, jederzeit von dem geschützten Arbeitsmodell in den ersten Arbeitsmarkt zu wechseln und bei Bedarf auch wieder zurück. All das mit dem Ziel, Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen, die den Betroffenen ein selbstbestimmtes und selbstfinanziertes Leben, unabhängig von Sozialleistungen oder der Familie, ermöglichen. Das war der erste Teil unseres Arbeitsschwerpunktes.
In unserer nächsten Sendung geht es um das Thema Lohn statt Taschengeld, also die Einführung einer gerechten Entlohnung in den Werkstätten. Wir sprechen darüber mit einem Aktivisten aus unserem Nachbarland Deutschland.
Alle Informationen zu dieser Sendung und weiterführende Links finden Sie wie immer auf unserer Internetseite www.barrierefrei-aufgerollt.at. Bis zum nächsten Mal. Ihr Redaktionsteam Katharina Müllebner, Markus Ladstätter und Martin Ladstätter.
[Musik mit Text: barrierefrei aufgerollt – kurz, kompakt und leicht verständlich.]