Große Temperaturschwankungen, zunehmende Naturkatastrophen, Verknappung der Wasservorräte, Verschlechterung der Luftqualität – schon heute erleben wir zahlreiche Auswirkungen des Klimawandels.
Wenn wir nicht bald etwas ändern und versuchen, die Umweltprobleme aktiv anzugehen, werden die Lebensbedingungen auf der Erde sich massiv verschlechtern. In dieser Sendung sprechen wir mit der deutsch-französischen Klimaaktivistin Cécile Lecomte. Die Rollstuhlfahrerin hat ihr ganzes Leben dem Umweltschutz und dem Kampf gegen die Atomkraft gewidmet.
Die Radiosendung zum Nachhören
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Interessante Links:
- Internetseite von Cécile Lecompte
- Interview mit Cécile Lecompte auf GOODIMPACT
- Blog von Cécile Lecompte
- Buch „Kommen Sie da runter! – Kurzgeschichten und Texte aus dem politischen Alltag einer Kletterkünstlerin“
- Beitrag über Cécile Lecompte aus dem Jahre 2012 vom SPIEGEL
Die Sendung im Radio hören
Wien: Auf Radio ORANGE am 7. Mai 2023 um 10:30 Uhr. Die Sendung kann auch auf o94.at live gehört werden. Die Wiederholung gibt es am 21. Mai 2023 um 10:30 Uhr.
St. Pölten: Im campus & city Radio am 11. Mai 2023 um 17 Uhr. Die Sendung kann auf cr944.at live gehört werden.
Graz: Im Radio Helsinki am 5. Mai 2023 um 17 Uhr. Die Sendung kann auch auf helsinki.at live gehört werden.
Salzburg: Auf Radiofabrik am 8. Mai 2023 um 18 Uhr. Die Sendung kann auch auf radiofabrik.at live gehört werden.
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Die Radiosendung zum Nachlesen
Katharina Müllebner: Herzlich willkommen zu barrierefrei aufgerollt, der Radiosendung von BIZEPS, Zentrum für Selbstbestimmtes Leben. Hallo, sagt Katharina Müllebner. Umweltkatastrophen wie Waldbrände, Überschwemmungen oder das Phänomen extremer Temperaturschwankungen – schon jetzt spüren wir die Auswirkungen des Klimawandels.
Es ist anzunehmen, dass, wenn wir nicht schnell handeln, schwerwiegende Umweltprobleme zunehmen werden, die Lebensbedingungen auf der Erde und somit die Lebensqualität und Sicherheit der Menschen extrem beeinträchtigt werden. Somit wird die Klimafrage für uns alle zur Überlebensfrage.
In dieser Sendung sprechen wir daher mit der deutsch-französischen Umweltaktivistin Cécile Lecomte. Warum protestieren heutzutage eine absolute Notwendigkeit ist und wie die Aktivistin zu dem Spitznamen das Eichhörnchen gekommen ist, dazu jetzt mehr.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Wann und warum haben Sie begonnen, sich für das Klima oder auch für Atomkraft zu engagieren?
Cécile Lecomte: Also, ich engagiere mich gegen die Atomkraft. Ich habe angefangen als Jugendliche. Ich habe Wirtschaft studiert, und da stellte sich die Frage, ewiges Wachstum, ist das überhaupt möglich?
Und unsere Ressourcen sind ja endlich, und dadurch ist mir einfach bewusst geworden, das kann nicht so weitergehen mit wachsen, wachsen, wachsen.
Wir können vielleicht zwischenmenschlich wachsen, Beziehungen wachsen lassen, aber wir können nicht weiter die Ressourcen verbrennen und in die Luft geben. Und deswegen habe ich bei meinem Studium damals die Gruppe Chiche! kennengelernt. Das heißt „Tu crois que tu vas changer le monde? Chiche!”. Das ist so eine öko-alternative Gruppe.
Wir haben so Straßentheater ganz viel gemacht, und damals waren wir ein bisschen wie die Spezis, also die Ökos. Sich für Klima zu engagieren, das war nicht so in aller Munde wie heute, weil die Auswirkungen der Klimakatastrophe noch nicht so spürbar waren wie sie es jetzt langsam werden.
Katharina Müllebner: Könnten Sie den Namen dieser Gruppe, weil der französisch ist und sehr viele unsere Zuhörer können nicht Französisch. Könnten Sie den sinngemäß übersetzen?
Cécile Lecomte: Ja, Chiche das bedeutet so was wie Die Wette läuft. Das ist umgangssprachlich, das kann man nicht so wörtlich übersetzen, das Motto war „Tu crois que tu vas changer le monde? Chiche!. Also du glaubst, du kannst die Welt verändern, und ja, die Wette läuft. Machen wir!
Das war eher so, ja, Politik kann auch Spaß machen mit schönen Aktionen, aber es ist auch eine ernste Geschichte, weil es eben um unsere Lebensgrundlage geht bei dem Klima.
Katharina Müllebner: Also lasst uns wetten, dass wir die Welt verändern können. Könnte man das so übersetzen?
Cécile Lecomte: Ja, genau.
Katharina Müllebner: Sie sind ja jetzt schon eine langjährig erfahrene Aktivistin. Können Sie uns Laien quasi erklären, wie so eine Aktion aussehen muss, damit sie so richtig effektiv ist?
Cécile Lecomte: Es gibt sehr unterschiedliche Aktionsformen. Es gibt natürlich die klassische Demonstration, die, glaube ich, alle kennen. Meine Spezialität, sage ich mal, ist Kletteraktivismus, also wie man Banner zwischen Bäumen, an Gebäuden aufhängt, um Aufmerksamkeit auf ein Thema zu lenken, oder Sand im Getriebe vom Gegner sein.
Also im Sinne von, ich behindere das Verbrennen von Kohle oder einen Transport von Atommüll.
Also in Deutschland haben wir leider noch ganz viel mit Atommüll zu tun, deswegen habe ich zum Beispiel mal ein Seil über eine Schiene gespannt zwischen zwei Bäumen und mich dann abgeseilt, als der Transport angehalten wurde von der Polizei.
Und das kann so bis acht Stunden dauern, so eine Aktion und deswegen ist es effektiv. Selbst wenn ich nichts blockieren will.
Ein Beispiel wäre: Wir haben letzten Sommer eine Aktion in Frankfurt am Main gemacht, in Frankfurt-West.
Der Bahnhof hat keine Aufzüge, hat auch nichts für Blinde. Also das ist einfach ein Bahnhof, der gar nicht barrierefrei ist, und deswegen haben wir gesagt, okay, wenn die Bahn keine Aufzüge hat, dann bringen wir die eigenen mit.
Wir haben Seile an der Fassade geankert, mit Hilfe von Menschen ohne Behinderung, und dann zwei rollstuhlfahrende Menschen, darunter ich, sind dann hochgeklettert an der Fassade mit den Seilen und haben ein Banner aufgehangen.
Das hat deutlich mehr Aufmerksamkeit für das Thema Barrierefreiheit bei der Bahn nach sich gezogen, als hätten wir nur Flyer verteilt. Und deswegen ist Aktionsklettern als Aktionsform effektiv.
Katharina Müllebner: Das hört sich gefährlich an. Man nennt Sie, glaube ich, auch in der Szene, wenn ich das benutzen darf, Das Eichhörnchen. Wie sind Sie zu diesen Namen gekommen?
Cécile Lecomte: Genau, man fragt sich, warum eine Französin Eichhörnchen heißt, weil es im Französischen weder ch noch H gibt. Also furchtbar auszusprechen für uns!
Aber ja, ich wohne in Lüneburg seit 2015. Nein, olala? Ja, ich wohne in Lüneburg seit 2005, und ich hatte mal meine allererste Gerichtsverhandlung. Es ging darum, dass ich in einen Baum geklettert war mit einem Banner gegen die Atomkraft, und in Lüneburg ist es verboten, in Bäume zu klettern, und ich hatte ein Ordnungswidrigkeitsverfahren, das ist ein bisschen so was wie Falschparken, aber im Baum.
Und die Leute hatten ein Banner geschrieben: Freiheit fürs Eichhörnchen, und das ist als Spitzname geblieben – oder Hörnchen, wenn die Leute nicht so lang sagen wollen.
Katharina Müllebner: Wie reagieren denn die Leute auf diese spektakulären Protestaktionen?
Cécile Lecomte: Also, die spektakulären Aktionen eben sind ein guter Hingucker. Ich sage immer gerne, das ist die Kunst des politischen Happenings. Happening in dem Sinne von, das ist eine Kunst, alles an der richtigen Stelle zum richtigen Zeitpunkt zu machen.
Wenn ich einen Atomtransport blockieren will, dann muss ich wissen, wann er fährt, darf den nicht verpassen. Oder ich brauche Öffentlichkeit, um meine Botschaft zu vermitteln, so was. Und wenn das zusammenkommt, dann ist es sehr, sehr effektiv und ja, also für mich ist es eine Möglichkeit auf jeden Fall, mich politisch zu äußern.
Ich habe ja auch eine Behinderung, und sehr lange hatte ich Krücken und Gehbehinderung, und da war sowieso Mitlaufen auf Demonstrationen für mich sehr anstrengend.
Deswegen war ich lieber oben in Bäumen oder auf einem Gebäude mit einem Banner. Inzwischen bin ich Rollstuhlfahrerin und habe einfach meine Klettertechnik angepasst, und habe nach wie vor eigentlich mehr Spaß als auf einer Demo, wo man einfach im Rollstuhl sitzt, und dann nur, sage ich mal, das Gesäß der Person vor sich sieht, weil die anderen Leute stehen. Also, man kriegt viel mehr mit, wenn man da oben ist. Und ich muss sagen, das ist eine Aktionsform, die einfach Spaß macht, und Politik darf auch Spaß machen, selbst wenn es ernst ist.
Katharina Müllebner: Kann es bei solchen Aktionen auch gefährlich werden, also was haben Sie da schon erlebt?
Cécile Lecomte: Also, das ist ein bisschen wie beim Autofahren. Du fährst auch nicht ohne Führerschein, ohne das gelernt zu haben. Wir sind ausgebildet fürs Klettern, es kann sich auch jeder retten, wenn es brenzlig wird oder so.
Restrisiko gibt es immer, aber anders als zum Beispiel bei der Atomkraft, das ist nicht ein Restrisiko, das Millionen von Menschen gefährdet, sondern ich entscheide selbst. Und ich würde sagen, wenn du die Straße überquerst, hast du auch ein Restrisiko.
Beim Klettern, was ich erlebt habe? Das problematischste, vor allem beim Aktionsklettern für Politik, ist eher, wie geht die Polizei damit um? Und häufig, zum Beispiel wenn man sich von einer Brücke abseilt, das ist mir schon mal passiert, wenn sie plötzlich mit einem Messer an einem Seil dran ist, ja, das ist nicht schön.
Oder wenn du noch nicht hochgeklettert bist, aber so auf halber Höhe bist und noch erreichbar und dann sie an den Beinen ziehen, das kann auch zu schweren Verletzungen führen. Deswegen habe ich schon mal Situationen erlebt, die gefährlich waren. Aber es war in der Regel aufgrund der Handlung der Polizei, weil, wenn man sich sonst gut gesichert hat und so, ist das Risiko nicht größer als eben andere Alltagshandlungen, sage ich mal.
Katharina Müllebner: Also, Sie erleben das Verhalten der Ordnungsbehörden als nicht so gut. Können sie nicht damit umgehen mit dem Faktor, dass man Demonstranten, zum Beispiel, wenn sie eine Behinderung haben, nicht einfach so angreifen kann?
Das wäre auch bei mir, wenn man mich einfach so anfassen würde, könnte man auch so … was meinen Sie dazu?
Cécile Lecomte: Ja, also die Polizei sehe ich als sehr ableistisch handelnd. Das heißt, die Rechte von Menschen mit Behinderung werden sehr häufig missachtet. Es ist vieles unklar, wenn du festgenommen wirst. Darf die Assistenz überhaupt mitkommen? Ja oder nein? Sie ist die Einzige, die deine Erkrankung am besten kennt und weiß, was für dich gefährlich ist oder nicht, welche Tabletten du brauchst.
Einem Freund, der auf externe Beatmung angewiesen ist, wurde mal in Gewahrsam genommen und musste dann ruckartig doch nach ein paar Stunden freigelassen werden, weil die Batterie vom Beatmungsgerät leer ging und die Polizei hatte die Assistenzperson von ihm getrennt, und dadurch war keiner da, der wusste, wie dieses Beatmungsgerät geht. Und dann war es saugefährlich für die Person. Also solche Situationen passieren.
Und sonst sind es psychisch kranke Menschen, die häufiger Opfer von Gewalt sind, von übermäßiger Gewalt, die manchmal tödlich endet, weil die Polizei einfach nicht mit Menschen mit psychischen Erkrankungen umgehen kann.
Ich als Aktivistin erlebe das häufig bei … Ja, ich hatte mal zum Beispiel vor Gericht einen ziemlich absurden Vorwurf, der sogenannte Rollstuhl-Prozess.
Mal wurde mir vorgeworfen, Widerstand gegen Polizei geleistet zu haben, indem ich Kraft angewendet habe durch Einstellen der Rollstuhlbremse. Also, ich wurde wegen einer Rollstuhlbremse angeklagt, obwohl ich einfach so von der Straße weggetragen worden war wie alle anderen, die rumsitzen oder stehen. Aber die meinten, der Rollstuhl ist ein Hindernis und Widerstand. Ich finde, das sind meine Ersatzbeine und kein Hindernis. Das gehört einfach zu mir, das müssen sie akzeptieren.
Ich habe auch schon erlebt, dass mein Rollstuhl beschädigt wurde, und das ist ziemlich ärgerlich, weil man darum kämpft bei der Krankenkasse, dass man einen Rollstuhl hat, und dann … genau.
Und deswegen haben wir auch mit anderen Aktivistinnen einen Pool an Rollstühlen für Aktionen organisiert. Das heißt, es gibt Rollstühle, die ausgeliehen werden können für politische Aktionen.
Genau, und ja, ich habe auch schon mal Gewalt von der Polizei erlebt, die von mir Dinge wollte, die ich nicht machen kann. Zum Beispiel: Stehen Sie auf – ich sitze auf dem Boden, aber ich kann nicht selbstständig aufstehen wegen meiner Behinderung. Ich sage, dass ich schwerbehindert bin, beziehungsweise manchmal wissen sie es schon, aber das interessiert sie nicht, und die nehmen dir zum Beispiel die Gelenke und verbiegen sie, und das ist für mich extrem schmerzhaft, weil ich meine Handgelenke zum Beispiel gar nicht richtig bewegen kann wegen meiner Erkrankung.
Katharina Müllebner: Jetzt haben Sie ja schon so viel Schlechtes erlebt. Jetzt wird vielleicht mancher sagen, wieso riskieren Sie so viel nur für die Umwelt? Wieso?
Cécile Lecomte: Gute Frage. Ich riskiere, na ja, … wir gehen in die Klimakatastrophe, und ich möchte nicht schuldig daran sein. Ich möchte möglichst dem etwas entgegensetzen.
Ich glaube, sonst würde ich mich nicht wohlfühlen, und ich möchte möglichst im Einklang mit meinen Ideen leben. Ich habe auch was davon. Also, es gibt negative Aspekte, aber ich habe zuvor gesagt, Politik darf auch Spaß machen.
Aktionsklettern ist meine Leidenschaft, klettern einfach so. Ich klettere seitdem ich klein bin, und das wird so bleiben. Ich gebe Kletterkurse für Menschen mit Behinderung. Das macht auch viel Spaß, mein Können weiterzugeben.
Ich treffe tolle Leute, wir vernetzen uns bei Aktionen, wenn die ein bisschen pfiffig sind, können wir durchaus Spaß haben.
Also, ich hatte mal eine Aktion gemacht: Wir haben uns von einer 140 Meter hohen Brücke abgeseilt – das ist die Moseltalbrücke – weil darunter ein Atomtransport fuhr auf der Schiene, und wir wollten dadurch den stoppen, hat auch geklappt. Juristisch zum Beispiel, das ist interessant, weil es ist in Deutschland ein bisschen wie, ja, der Luftraum über einer Bahnanlage ist nicht geregelt. Wenn du dich nicht tief abseilst und nicht im Weg bist, gibt es kein Gesetz, was dir sagt, dass es nicht geht.
Und deswegen, da gab es zum Beispiel gar keinen Prozess dafür, obwohl es war eine Aktion, die mehrere Stunden dauerte. Das heißt, es ist nicht immer alles negativ.
Ich glaube, die tollen Menschen, die mir begegnen, geben mir die Kraft, weiterzumachen, und ich habe das Gefühl, wir haben keine Alternative. Die Klimakatastrophe kommt einfach, und wir müssen alles tun, was wir tun können, um die einfach aufzuhalten.
Katharina Müllebner: Was sind die wichtigsten Dinge, die jetzt sofort angegangen werden müssen? Es ist schwierig bei so einem Riesenthema, ich weiß, aber könnten Sie einige Beispiele nennen?
Cécile Lecomte: Also, was wir angehen müssen, wir müssen weg von fossilen Energieträgern oder Rohstoffe, die endlich sind. Also darunter zählen Kohle, Gas, aber zum Beispiel auch Uran.
Wir müssen, sage ich, schrumpfen statt wachsen, wirtschaftlich gesehen, also nicht menschlich gesehen. Aber ich will ein Schrumpftum in dem Sinne von, Ressourcen mehr teilen, Ressourcen sparen. Wir brauchen ein Systemchange, also nur ein bisschen was machen, reicht nicht. Wir müssen anders wirtschaften, lokaler zum Beispiel, dein Gemüse kommt aus der Ecke.
Ja, es gibt so 1000 Sachen, die man machen kann, und ich glaube, es sind viele Dinge, die man persönlich machen kann.
Zum Beispiel ich fliege nicht, ich nehme nur den Zug, ich liebe Nachtzüge. Zum Glück hat die ÖBB noch welche, weil die Deutsche Bahn hat die gestrichen.
Aber wichtig ist auch natürlich auf der politischen Ebene. Deswegen sind politische Aktionen notwendig, dass man Druck auf die EntscheidungsträgerInnen macht. Wenn kein Widerstand von unten, wenn es keinen Straßenprotest gibt, dann wird sich oben auch gesetzlich zum Beispiel nicht groß etwas verändern. Genau.
Ja, an Protesten teilnehmen ist deswegen wichtig. Und was man selber im Kleinen machen kann, ist natürlich auch immer gut. Also, ich wohne in einer Wohngemeinschaft, zum Beispiel, ja, ich fliege nicht. Ich versuche es, aber wir haben alle Widersprüche, und das ist auch normal.
Es soll keine, sage ich mal, wie einige sagen, Ökodiktatur, das will ich auch gar nicht. Ich will eine Welt, wo die Entscheidung nicht weit weg über die Köpfe der Menschen entschieden wird, wo wir über, was uns betrifft, einfach selbst entscheiden und ich behaupte nicht, die Wahrheit zu haben.
Lösungen müssen wir gemeinsam suchen. Es gibt viele Ansätze schon, aber das ist ein gemeinsamer Prozess, auf jeden Fall.
Katharina Müllebner: Jetzt wurde ja Fridays for Future zum Beispiel von einer neurodiversen, also einer autistischen Frau, würde man umgangssprachlich sagen, Greta Thunberg, gegründet. Glauben Sie aber, dass generell die Klimaszene zugänglich ist für Menschen mit Behinderungen? Erreichen wir sie schon genug?
Cécile Lecomte: Genau, die Klimabewegung wird immer zugänglicher, auch weil Betroffene ihre Rechte einfordern. Und vor ein paar Jahren waren die Camps nicht besonders zugänglich, oder du warst auf Selbsthilfe angewiesen mit zwei, drei Freundinnen, die dir helfen, das irgendwie so zu gestalten, dass du mitmachen kannst.
Inzwischen gibt so barrierefreie Zelte. Das letzte Mal hatte ich sogar ein eigenes Bett da drin. Man könnte da mit dem Rollstuhl reinfahren. Es gab ein Ruhespace für so neurodivergente Menschen.
Das heißt, die Camp-Infrastruktur, die Infrastruktur wird besser inzwischen. Bei manchen Aktionen wird es auch mitgedacht, dass man zum Beispiel barrierearme Gruppen hat, die auf Aktionen, auch bei Massenaktionen, unterwegs sind.
Ich mache häufiger Vorträge, wo ich auch erläutere, was vielleicht wichtig ist, und manche Sachen werden da umgesetzt. Zum Beispiel steht auf der Homepage deiner Gruppe, wie zugänglich der Raum, wo ihr euch trefft, ist. Also gibt es einen Aufzug, wie breit ist die Tür? Damit Menschen, die Einschränkungen haben, das einschätzen können: Kann ich da teilnehmen, oder wenn du eine Veranstaltung machst, auch was zur Barrierefreiheit stellst, ob es in einfacher Sprache, ob der Raum zugänglich ist, weil dann kann ich als behinderte Person entscheiden, ob ich dabei sein kann oder nicht.
Das ist leider noch nicht überall der Fall. Aber es gibt auf jeden Fall Bemühungen, dass es besser wird.
Also, bei vielen Gruppen haben sie so was wie eine Art Anti-Ableismus AG. Oder eine Gruppe, die zu den Themen der Zugänglichkeit von Protest arbeitet, aber man muss schon sagen, das ist von Betroffenen gekommen.
Katharina Müllebner: Sie haben von Camps geredet. Was meinen Sie mit einem Camp?
Cécile Lecomte: Ich rede von Camp. Zum Beispiel: Wir waren letzten Februar in Lützerath bei den Massenprotesten gegen die Kohlekraft, das ist im Rheinland, in Nordrhein-Westfalen, und da gab es ein großes Camp mit so 5000 Menschen.
Und das Camp, das bedeutet, wir haben Zelte da aufgestellt, es gab Küche für alle, also Infrastruktur, um da mehrere Tage zu nächtigen und Workshops zu machen, sich zu treffen, Aktionen vorzubereiten.
Und dann sind die Leute auf Demonstrationen gegangen, haben Kletteraktionen gemacht, wir haben sogar eine Kletteraktion mit unseren Rollstühlen gemacht. Wir haben da so eine Zufahrt zum Tagebau blockiert, indem wir uns da mit unseren Rollstühlen in Seilen befestigt haben ein paar Stunden. Das war alles möglich mit diesem Camp.
Und auf dem Camp war eben dieses Zelt, es war Winter, da war sehr viel Matsch und sehr viel Regen. Deswegen haben wir dann ganz viele Platten auf den Boden gelegt, damit die rollstuhlfahrenden Menschen da durchkommen. Weiter weg gab es ein paar Zelte für die Menschen, die Ruhe brauchen. Ja, es wurde versucht, auf die Belange von Menschen mit Behinderung einzugehen, auf jeden Fall. Das kann man sehr positiv bewerten, das ist echt positiv zu bewerten.
Katharina Müllebner: Ja, das finde ich auch, dass es sehr super ist. Viele Leute denken vielleicht: Der Klimaschutz, da muss ich auf was verzichten. Wenn ich mich um Klimaschutz bemühe, was entgegnen Sie dem?
Cécile Lecomte: Ich glaube, das ist nicht unbedingt eine Frage des Verzichts, sondern eine Frage des, wie wollen wir leben? Wie können wir leben?
Und Alternativen können auch Spaß machen, und teilweise haben wir einfach nur nicht die Wahl, weil wir in die Klimakatastrophe gehen. Also, wir müssen teilweise auch unsere Gewohnheiten ändern.
Wir werden nicht drumherum kommen, allein weil das Klima uns dazu zwingen wird, wenn du im Sommer die Hitze nicht mehr erträgst, wenn, wenn, wenn …
Katharina Müllebner: Wenn diese Frage, sie ist ja natürlich eine Überlebensfrage des Planeten, wieso interessieren sich dann noch immer sehr viele Leute nicht dafür?
Cécile Lecomte: Der Mensch ist leider ein bisschen ein Gewohnheitstier. Er mag seine Gewohnheiten nicht verändern.
Das heißt, verdrängt gerne die Probleme, insbesondere wenn die Probleme Menschen nicht direkt betreffen, nicht, sage ich mal, im eigenen Garten eingeschlagen sind. Wenn du noch keine Überschwemmung, keine Probleme mit der Hitze und so weiter erlebt hast und das weiter weg stattfindet, du das nur im Fernsehen siehst, hast du nicht die gleiche Betroffenheit, als wenn es dir persönlich passiert.
Dann gibt es trotzdem noch mächtige Lobbys, die an der aktuellen Situation einfach verdienen und ihre Geschäfte da weiter betreiben können/wollen.
Deswegen wird sehr viel auch forciert, der Eindruck forciert, dass es nicht ohne geht, es geht nicht ohne Gas. Also, wir bauen gerade neue Gasterminals, sogenannte LNG, statt das Geld in die erneuerbaren.
Ich las vor zwei Wochen in der Lüneburger Zeitung, der Terminal, der bei uns in der Nähe gebaut werden soll, wird jetzt doch neun Milliarden statt drei, glaube ich, kosten. Tja, die sechs Milliarden, oder die neun sogar, wären viel besser, in Barrierefreiheit sowieso, aber in erneuerbare Energien investiert.
Das ist auch eine Frage der politischen Entscheidungen, und wenn du das System, in dem du lebst, so ist, da ist es sehr schwer zu sagen: Nein, das will ich nicht, ich wehre mich dagegen und gucke mal, was man für das Klima machen kann.
Also, die Politik lädt uns auch nicht groß dazu ein sozusagen, was sie gegen das Klima machen. Man hat das Gefühl, es scheitert auch immer wieder. Ich glaube, es gibt auch viele Leute, die einfach resignieren und sagen: Na ja, wird eh passieren, ich kann eh nichts ändern. Ich glaube, das ist komplizierter als das, aber das ist vielleicht, was viele Menschen denken.
Katharina Müllebner: Hätten Sie – wir sind jetzt schon relativ am Ende – hätten Sie noch eine Botschaft, die Sie gerne loswerden möchten an alle Klimazweifler, an die Politiker?
Cécile Lecomte: Ja, wir sehen bereits die ersten Auswirkungen der Klimakatastrophe bei uns, weiter weg, und es gibt immer wieder Kriege um Ressourcen und die kommen immer näher. Deswegen müssen wir, wenn wir nicht eine Klimakatastrophe wollen, müssen wir ja handeln, und wir Menschen mit Behinderung sind besonders betroffen.
Wir haben es im Ahrtal gesehen bei dieser Flutkatastrophe, da sind Menschen in einem Heim ertrunken, weil keiner da war, um sie zu retten. Das heißt, Katastrophenschutzpläne sind auch nicht für Menschen mit Behinderung ausgelegt. Und erst recht sind wir betroffen und haben wir Interesse daran, für das Klima zu kämpfen, wir Menschen mit Behinderung.
Katharina Müllebner: Inwiefern sind Menschen mit Behinderung, noch mal, von den Auswirkungen der Klimakrise besonders betroffen?
Cécile Lecomte: Menschen mit Behinderung sind sehr von der Klimakrise betroffen, weil die Auswirkungen auf das Klima für sie schwierig … Also wie ist das? Wie geht man mit Hitze vor? Wie geht man mit Wetterextremen vor?
Manche Erkrankungen lassen das nicht so gut zu. Und wenn es eine Katastrophe gibt, gibt es keinerlei Katastrophenpläne, die richtig für Menschen mit Behinderung ausgelegt sind, dass es auch funktioniert.
Wir haben jetzt im Ahrtal gesehen, eben vor zwei Jahren, dass Menschen in einem Heim ertrunken sind. Keiner war da, um sie zu retten, weil wir bei der Heimpolitik so einen Schlüssel haben, dass es zu wenig Personal nachts zum Beispiel gibt. Wie soll eine Evakuierung stattfinden, wenn du nur zwei Mitarbeiter für 40 Leute hast, zum Beispiel?
Also, es gibt sehr viele Probleme. Also eigentlich bei den Auswirkungen der Klimakatastrophe sehen wir, unter den Opfern sind Menschen mit Behinderung viel gefährdeter einfach.
Katharina Müllebner: Da gehen mangelnde Inklusion und Klimagefährdung quasi Hand in Hand, wenn man diese schrecklichen Beispiele hört.
Cécile Lecomte: Ja. Wir brauchen Inklusion, wir brauchen Barrierefreiheit, auch um gegen die Auswirkungen der Klimakatastrophe ankämpfen zu können. Ja.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Auch wenn nicht jede/r für das Klima die Bäume hochgeht können wir alle unseren Beitrag leisten die Situation zu ändern. Wichtig ist auch, dass die Klimaschutzbewegung sich für Menschen mit Behinderungen öffnet, denn auch sie wollen sich engagieren. Auch sind Menschen mit Behinderungen im besonderen Maße von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen.
Das war unsere Sendung mit Cécile Lecomte.
Wir bedanken uns bei ihr für die interessanten Einblicke. Alle informationen zu dieser Sendung finden sie wie immer auf unserer Internetseite www.barrierefrei-aufgerollt.at. Es verabschiedet sich Ihr Redaktionsteam Katharina Müllebner, Markus Ladstätter und Martin Ladstätter.
[Musik mit Text: barrierefrei aufgerollt – kompakt und leicht verständlich]
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