Poetry Slam ist ein Wettbewerb, bei dem man selbstverfasste Texte innerhalb einer bestimmten Zeit vortragen muss. Die Zuhörerinnen und Zuhörer wählen anschließend den Sieger / die Siegerin.
Der Begriff Poetry Slam lässt sich mit dem Begriff Dichterschlacht oder Dichterwettstreit übersetzen. Die deutschsprachige Peotry Slam Szene gilt als eine der größten der Welt.
In dieser Sendung begrüßen wir die bekannte Poetry Slammerin Ninia Binias alias Ninia LaGrande aus Deutschland. Sie ist nicht nur Poetry Slammerin, sondern auch Moderatorin, Schriftstellerin, Bloggerin und Unternehmerin. Ninia LaGrande führt uns in die Welt des Poetry Slams ein. Sie erzählt uns über ihre Erlebnisse auf der Bühne und spricht generell über das Thema Menschen mit Behinderungen im Fernsehen und im Theater.
Die Radiosendung zum Nachhören
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Interessante Links
- Poetry Slam Portal Österreich
- Internetseite Nina Binias
- Ninia LaGrande – R-E-S-P-E-C-T
- Interview der Lebenshilfe mit Ninia Binias
- Artikel auf leidmedien: Wie Tests fehlende Diversität in Filmen sichtbar machen
- Artikel auf Zeitonline über Cripping- Up
Die Sendung im Radio hören
Wien: Auf Radio ORANGE am 4. April 2021 um 10:30 Uhr. Die Sendung kann auch auf o94.at live gehört werden. Die Wiederholung gibt es am 18. April 2021 um 10:30 Uhr.
St. Pölten: Im campus & city radio am 8. April 2021 um 17 Uhr. Die Sendung kann auch auf cr944.at live gehört werden.
Graz: Im Radio Helsinki am 9. April 2021 um 16:30 Uhr. Die Sendung kann auch auf helsinki.at live gehört werden.
Salzburg: Auf radiofabrik am 12. April 2021 um 18:00 Uhr. Die Sendung kann auch auf radiofabrik.at live gehört werden.
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Die Sendung zum Nachlesen
Ninia Binias: Ich bin jeden Tag Anwältin in eigener Sache, manchmal mehr, manchmal weniger, aber ich habe nie die Möglichkeit, in einer Masse unterzugehen, auch wenn man mir das größentechnisch durchaus zutrauen würde.
Ich bin vielleicht nicht zu sehen, aber ich steche immer heraus. Immer muss ich mich erklären für meine eigenen Rechte und den Respekt vor mir einstehen.
Ich soll aufklären und Barrieren aufzeigen und „Für mich bist du gar nicht behindert“ als Kompliment sehen. Ich will nicht groß sein, aber ich würde gerne mal mit 1,75 Meter Körpergröße auf ein Festival fahren und sonst nichts. Einfach nur das, dort sein und stehen, ohne dass fremde Leute mit mir anstoßen, meinen Kopf tätscheln oder Fotos von mir machen, als wäre ich die fucking Freiheitsstatue von Liliput.
Bis 1996 gab es im Holiday Park in Rheinland-Pfalz ein Dorf mit kleinwüchsigen Menschen. Die Leute haben dort in kleinen Wohnwagen gelebt und die BesucherInnen des Freizeitparks konnten dort vorbeilaufen, in die Wagen reinschauen und sich mal anschauen, wie die kleinen Leute eben so leben. In einem Internetforum wird der Besuch des Parks empfohlen, weil man dort mal Kleinwüchsige in echt sehen kann, nur, Zitat: „Dass der Park auch ein Delfinarium hat, wo die Delfine gefangen sind, das wäre vielleicht nicht so gut.“
Wir haben jetzt 2021 und ich habe sehr oft das Gefühl, eine Attraktion in meinem eigenen Holiday Park namens Alltag zu sein. Am zweiten Tag des Kleinwuchsforums stehe ich mit einer der Organisatorinnen auf dem Hof, und sie erzählt, wie sich letztens im Supermarkt ein älterer Herr darüber gefreut habe, endlich mal wieder einen „Liliputaner“ zu sehen. Früher seien Liliputaner seine Spezialität gewesen und man weiß nicht so genau, ob er von einer Mahlzeit, einem Besuch im Bordell oder einer Tätigkeit als Mediziner spricht. Und nun habe er ewig niemanden mehr gesehen, sie habe seinen Tag jetzt sehr schön gemacht.
Sie hat ihn reden lassen, das ist ja auch ein Talent, Menschen einfach durch Anwesenheit glücklich zu machen.
Drei Handlungsanweisungen für den Festival-Sommer und die Zeit danach: Erstens, nennt kleinwüchsige Menschen nicht Liliputaner, nennt sie bei ihrem Namen. Zweitens, tätschelt ihnen nicht den Kopf, sondern werft lieber eine Münze in den verdreckten Brunnen am Lindener Markt in Hannover, das bringt genauso viel. Drittens, habt Respekt.
Katharina Müllebner: Herzlich willkommen zur heutigen Sendung von barrierefrei aufgerollt von BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben. Es begrüßt Sie Katharina Müllebner.
Gerade eben war Ninia Binias oder auch Ninia La Grande, so ihr Künstlername, zu hören. Sie ist eine deutsche Schriftstellerin, Bloggerin, Slam-Poetin und Moderatorin. 2020 bekam sie den Stadtkulturpreis der Stadt Hannover. Heute gibt sie uns einen Einblick in die Welt des Poetry Slams.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Frau Binias, wie sind Sie zum Poetry Slam gekommen?
Ninia Binias: Ich habe in Göttingen zu Ende studiert und bin dann selber mal als Zuschauerin zu einem Poetry Slam gegangen, weil die in dem Gebäude stattgefunden haben, wo ich auch meine Germanistik-Kurse hatte.
Und dann saß ich da im Publikum und habe gesehen, wie die Leute da auftreten und ihre Texte vortragen, und fand das total revolutionär, weil ich auch geschrieben habe, für mich, aber dachte, ich bräuchte erst eine Erlaubnis, um irgendwie auf die Bühne gehen zu dürfen und einen Verlag, der mich dann veröffentlicht und so weiter. Das war so ein ganz anarchisches Konzept, dass da alle auftreten konnten, die wollten und vortragen konnten, was sie wollten.
Und dann bin ich beim nächsten Mal zu den Organisatoren und habe gesagt, hier, ich habe einen Text mitgebracht, ich möchte mich gern auf die offene Liste setzen lassen.
Und dann bin ich das erste Mal aufgetreten und das hat so einen Spaß gemacht, dass das dann/ das war/ ich war auch, glaube ich, ganz gut, und dann sind die beiden Typen, die den Slam damals gemacht haben, zu mir gekommen und haben gesagt, ja, komm bitte wieder, komm bitte wieder, weil es damals auch noch viel weniger Frauen gab, die das gemacht haben. Und dann bin ich wieder hin und so ging das dann los.
Dann trifft man Leute, die das in anderen Städten organisieren, die einen dann einladen, und ja. Also wenn mir damals jemand erzählt hätte, was daraus wird, hätte ich das wahrscheinlich nicht geglaubt.
Katharina Müllebner: Wie würden Sie den Poetry Slam definieren, was ist das?
Ninia Binias: Ein Poetry Slam ist ein DichterInnen-Wettstreit, bei dem fünf bis zehn Leute auf einer Bühne zusammenkommen, Texte vortragen, die in einen gewissen Zeitrahmen passen müssen, die selbstgeschrieben sein müssen, und man darf keine Hilfsmittel mit auf die Bühne nehmen, außer das Textblatt und sich selbst. Und das Publikum bewertet die Vorträge, meistens mit so Ziffern von 1 bis 10 und am Ende gewinnt jemand eine Flasche Schnaps und alle sind glücklich.
Katharina Müllebner: Was sind denn so die Ursprünge des Poetry Slams?
Ninia Binias: Der Poetry Slam als Format ist entstanden Mitte der 80er in den USA, in Chicago. Da gab es einen Bauarbeiter, der hieß Marc Kelly Smith, und der hat seine Gedichte irgendwann auf einer Bühne in einer Kneipe vorgetragen und hat sich dann eben dieses Konzept ausgedacht, dass man eben nicht nur da steht und da steht ein Wasserglas und man trinkt und alle sind ganz ernst, sondern dass es ein bisschen lockerer gemacht wird, und dass dieser Bewertungsaspekt vom Publikum dazukommt.
Und so war das dann, und irgendwann Mitte der 90er ist es nach Deutschland gekommen, natürlich als erstes nach Berlin, und hat sich dann überall verbreitet.
Heute ist es ja ein relativ bekanntes Format und nicht mehr nur so in Keller-Clubs und Studentenläden und so, sondern tatsächlich auch in großen Opernhäusern. Also es hat eine ganz große Entwicklung genommen und es ist aber auch viel disziplinierter geworden.
Also als das Mitte der 90er in Deutschland angefangen hat, da haben die Leute auch noch sehr performativ auf der Bühne gestanden, sich viel bewegt, sich ausgezogen, und so lauter Dinge gemacht. So heute trägt man seinen Text vor und macht dann da nicht mehr ganz viel dazu.
Katharina Müllebner: Gibt es da Regeln beim Poetry Slam? Wie genau läuft so was ab?
Ninia Binias: Ja genau, also es gibt im Grundsatz drei Regeln: Die erste ist, dass der Text, den man vorträgt, selbstgeschrieben sein muss. Also ich kann jetzt nicht einen Text von Heinrich Heine nehmen, und den als meinen eigenen ausgeben.
Die zweite Regel ist, dass der Text in ein gewisses Zeitlimit passen muss. In Deutschland sind das zwischen fünf und sieben Minuten, bei den Meisterschaften fünf Minuten, bei uns in Hannover bei den normalen Wettbewerben sieben Minuten.
Und die dritte Regel ist, dass man keine Hilfsmittel mit auf die Bühne nehmen darf. Also ich darf keine Gitarre mitnehmen. Wenn ich einen Text über eine Banane mache, darf ich keine Banane mit auf die Bühne nehmen, und so was.
Und dann gibt es immer noch so eine unausgesprochene vierte Regel, die heißt „Respect the Poets“, also „Respektiert die PoetInnen“, dass, egal, was da vorgetragen wird, der Mut auf die Bühne zu gehen, schon reicht, um zumindest ein bisschen Applaus zu bekommen.
Katharina Müllebner: Was sind jetzt die Unterschiede zwischen einem Poetry Slam und einem Gedicht oder Dichtung?
Ninia Binias: Der Unterschied ist, dass beim Poetry Slam alles erlaubt ist. Also Poetry Slam ist die Veranstaltung und da kommen Leute mit allen möglichen Textgattungen. Natürlich gibt es Leute, die dichten, die dabei dann auch reimen oder lyrische Texte machen.
Es gibt aber auch Leute, die eher Comedians ähneln, lustige Kurzgeschichten machen. Es gibt auch Leute, die komplette Dada-Texte machen oder eher Rap-Texte machen. Das ist ein ganz, ganz großer Unterschied. Also Gedicht oder Dichtung ist nur ein Teil des Poetry Slam.
Katharina Müllebner: Was sind Dada-Texte? Das habe ich noch nicht gehört, den Ausdruck.
Ninia Binias: Dada-Texte sind so Texte, die man nicht auf das erste Hören versteht, also wenn Leute viel mit Buchstabendrehern arbeiten und so, also der der Textzusammenhang ergibt auf den ersten Blick überhaupt keinen Sinn. Sie stellen die Wörter um, die machen lautmalerische Sachen, also Geräusche dazu, das gibt es auch.
Katharina Müllebner: Ist Poetry Slam, würden Sie sagen, ein Instrument, um kritische Themen zur Sprache zu bringen?
Ninia Binias: Auf jeden Fall, also für mich ist es das. Und es gibt auch noch ganz viele andere, die das machen, vor allen Dingen, wenn es um politische Themen geht.
Diese Texte, auch auf der Bühne; man erreicht da ja ganz viele Leute, wenn man sich vorstellt, dass man teilweise auf einer Bühne steht, wo 1000, 2000 Leute vor einem sitzen, dann kann man da natürlich auch was bewirken, und es gibt ganz viele, die vor allen Dingen gesellschaftlich-politische Themen verarbeiten und mit auf die Bühne nehmen.
Katharina Müllebner: Stichwort Themen, welche Themen behandeln Sie in Ihren Werken?
Ninia Binias: Ich mache ganz viel, also hauptsächlich mache ich lustige Kurzgeschichten oder lustig gemeinte Kurzgeschichten und die sind ganz oft inspiriert von meinem Alltag, von meinem Alltag als Mutter, als kleinwüchsige Frau, und ganz viel beschäftige ich mich auch mit feministischen Themen und inklusiven Themen, solche Sachen.
Katharina Müllebner: Es wirkt teilweise wie Comedy. Ist es ein bisschen wie Comedy oder was ist da die Trennlinie?
Ninia Binias: Es ist schon ein bisschen wie Comedy, würde ich sagen. Das ist so ein deutsches Phänomen. In der deutschsprachigen Szene gibt es ganz viele Leute, die später dann auch, wenn sie mal mit Slam angefangen haben, in die Comedy-Szene wechseln.
In den USA zum Beispiel ist das gar nicht so, da sind die Texte viel, viel ernster und aufgeladener, aber ich würde sagen, die Trennlinie ist, dass beim Poetry Slam oft noch so ein bisschen mehr eine Message mitschwingt.
Also was wir gerade schon gesagt haben, mit der Kritik, mit politischen Inhalten, das ist oft dann auch noch dabei, und es hat ja immer noch so ein/ Es wird nicht frei vorgetragen, wie ein Comedian, der auf der Bühne auf und ab geht und sich auch mit dem Publikum unterhält, sondern das ist ein zusammenhängender Text, der in der Regel abgelesen oder eben auswendig vorgetragen wird.
Katharina Müllebner: Was ist für Sie ganz speziell das Besondere am Poetry Slam?
Ninia Binias: Für mich das Besondere am Poetry Slam ist erst mal der Aspekt mit dem Publikum, also dass das Publikum so eingebunden ist, dass sie die Möglichkeit haben, diese Texte zu bewerten.
Das klingt immer total gemein und Kunst ist eigentlich auch nicht bewertbar, aber der Slam-Moderator Michel Abdollahi sagt immer, wir machen es trotzdem. Und gerade das, da ist irgendwie der Reiz, also zu gucken, wie ist das Publikum heute drauf, wie bin ich drauf, was nehme ich für einen Text, schaffe ich es ins Finale?
Und gleichzeitig das Besondere am Poetry Slam ist auch die Szene an sich, also all die Leute, die Poetry Slam machen. Wenn man das ein paar Jahre macht und viel auf Tour ist, dann trifft man immer wieder die gleichen Leute, es entwickeln sich tiefe Freundschaften, man hat irgendwie die gleiche Grundlage, arbeitet künstlerisch, das ist schon ganz toll.
Katharina Müllebner: Sie selbst sind kleinwüchsig. Beeinflusst Ihre Kleinwüchsigkeit die Art, wie Sie auf der Bühne wahrgenommen werden? Reagieren die Leute speziell darauf?
Ninia Binias: Ja, würde ich schon sagen, vor allen Dingen, wenn ich in eine Stadt auftrete, die mich eben noch nicht kennt.
Also natürlich ist es ein Unterschied, ob ich in Hannover, wo mich inzwischen sehr viele Leute, zumindest die Leute, die regelmäßig zu diesen Veranstaltungen gehen, gesehen haben, wenn ich in Hannover auftrete oder wenn ich in einer Stadt auftrete, wo ich eben noch nicht war.
Mein Gefühl ist ganz oft, wenn ich auf die Bühne komme, dann ist es oft so, dass der Moderator oder die Moderatorin das Mikrofon schon so runterschraubt, natürlich nicht weit genug. Es ist immer noch zu hoch, wenn ich dann komme. Und dann gucken die Leute, und dann merkt man so eine leichte Anspannung im Publikum und wenn ich das Mikrofon dann runterschraube, und irgendwie einen Spruch mache; manchmal sage ich so was wie, ich muss das erst mal behindertengerecht einstellen, und dann lachen die Leute, und dann habe ich so das Gefühl, die denken, ah, sie hat selber gemerkt, sie ist klein, haha, wir dürfen drüber lachen, alles klar.
So, das ist so eine Art Auflockerung. Aber ich hatte schon oft das Gefühl, dass die Leute, zumindest in den ersten Jahren, anders auf mich reagiert haben als auf andere Slammerinnen und Slammer.
Katharina Müllebner: Wie stehen Sie zu den Begriffen wie kleinwüchsig? Sie haben ja auch in Ihrem / dem Werk was Sie vorgetragen haben, ein bisschen eine kritische Stellungnahme dazu eingenommen.
Ninia Binias: Genau, also ich finde, der Begriff kleinwüchsig an sich, den finde ich nicht schlimm, also solang er jetzt nicht irgendwie als Schimpfwort benutzt wird oder so. Also ich bin da / Ich hasse es irgendwie als Zwerg oder halber Meter oder, wie gesagt, auch Liliputaner bezeichnet zu werden.
Das empfinde ich alles als Schimpfwort. Aber kleinwüchsig ist ja nun mal der medizinisch korrekte Begriff, ja, also alle Leute, die in Deutschland unter 1,50 sind, gelten offiziell als kleinwüchsig. Das ist ja grundsätzlich erst mal nichts Schlimmes.
Aber was ich dann nicht leiden kann, ist, wenn ich zum Beispiel auch auf der Bühne angekündigt werde mit so Worten wie „Sie ist eine Größe des Poetry Slam“ oder „Klein, aber oho“, da denke ich so, ja, okay, es geht gerade eher um meine Texte als darum, dass ich jetzt hier kleiner bin als alle anderen.
Katharina Müllebner: Wie präsent sind Menschen mit Behinderungen auf der Bühne oder im Fernsehen Ihrer Ansicht nach?
Ninia Binias: Viel zu wenig. Viel zu wenig, zumindest mit sichtbaren Behinderungen. Bei nicht sichtbaren kann man das ja dann manchmal eben nicht beurteilen, weil man es vielleicht nicht weiß. Aber bei der Poetry Slam-Bühne oder insgesamt auf der Comedy-Bühne, auf den Kabarett-Bühnen, sind es viel zu wenige.
Das geht damit los, dass viele Bühnen auch einfach gar nicht barrierefrei sind. Wenn man/ Ich komme eine Treppe hoch, aber wenn man vielleicht eine andere Behinderung hat, dann kommt man nicht mal ins Theater rein, geschweige denn die Bühne hoch, und kann dann da natürlich auch nicht auftreten. Also damit geht es schon los.
Ich habe das Gefühl, dass es in den letzten Jahren wesentlich besser geworden ist, aber dass wir da immer noch sehr große Fortschritte machen müssen, auch im Fernsehen, und dass wir, wenn wir von Diversität sprechen, immer erst mal noch mal darüber sprechen, wie viele Männer und wie viele Frauen gibt es, aber ganz vergessen, dass wir eben auch viel, viel mehr Menschen mit Behinderung auf der Bühne aber, und das fehlt mir auch oft noch, im Hintergrund mit brauchen. Also ich freu mich auch, wenn Menschen mit Behinderung in der Technik arbeiten und in der Regie arbeiten und überall dort. Genau.
Katharina Müllebner: Was ist Ihre Ansicht zur Darstellungsweise von Menschen mit Behinderungen? Es werden ja durchaus/ Menschen mit Behinderungen kommen in vielen Filmen vor, leider nicht dargestellt von Betroffenen, aber was ist Ihre Ansicht dazu?
Ninia Binias: Ich finde auch, dass wir da immer noch viel zu oft Stereotype sehen, ja, also Menschen mit Behinderungen können aus meiner Sicht in den Filmen und Fernsehen und auch auf der Bühne keine eigenen Geschichten erleben. Die sind entweder irgendwie ein Sidekick, die beste Freundin oder so oder es geht um eine Leidensgeschichte.
Wenn sie in der Hauptrolle sind, dann ist es eine Leidensgeschichte und irgendwie darauf ausgelegt, dass die Zuschauer denken, ach, was für eine tragische Story, Gott sei Dank habe ich das nicht. So, den Eindruck habe ich sehr oft.
Ich glaube, es gibt immer mehr positivere Beispiele, aber das ist genau das, was mich auch total nervt, dass wir eben keine Geschichten haben, wo die Behinderung dann eben nur eine Nebenrolle spielt.
Katharina Müllebner: Wie würde Ihrer Meinung nach eine perfekte inklusive Darstellung aussehen?
Ninia Binias: Ach Gott, eine perfekte inklusive Darstellung würde so aussehen, dass zuallererst mal; das hatten wir ja gerade schon; die Rolle auch von einem Menschen mit Behinderung gespielt wird, dass es vielleicht auch einfach verschiedene Behinderungen in ein- und demselben Film oder in ein- und derselben Serie gibt, ohne dass es vordergründig um das Thema Behinderung geht, und dann, dass auch in der Produktion des Filmes Menschen mit Behinderung mitgewirkt haben und dass diese Behinderung gezeigt wird, erzählt wird, aber eben nicht im Vordergrund steht, sondern dass die Grundgeschichte eine Liebesgeschichte, eine Abenteurergeschichte oder was auch immer ist.
Katharina Müllebner: Ist der Poetry Slam inklusiver als Theater und Fernsehen?
Ninia Binias: Nein, nein, das würde ich nicht behaupten, dass Poetry Slam inklusiver ist. Es gibt im Poetry Slam auch Poetinnen und Poeten mit Behinderungen, aber super wenig und es wird sehr, sehr wenig zum Thema gemacht und dadurch, dass wir natürlich auch darauf angewiesen sind, viel auf Bühnen und in großen Theaterinstitutionen aufzutreten, haben wir da auch schon die physischen Barrieren eben sehr, sehr oft.
Katharina Müllebner: Kennen Sie also nicht so viele Poetry Slammerinnen, die eine Behinderung haben?
Ninia Binias: Nein, leider nicht.
Es gibt ein paar, aber sehr, sehr wenig, wobei ich dazu sagen muss, das sind dann eben die; ich bin auch seit einigen/ seit so zwei, drei Jahren, seitdem ich Mutter geworden bin, nicht mehr so intensiv in der Szene unterwegs, also ich treffe nicht mehr so viele Leute und ich kann dann/ auf Anhieb fallen mir dann natürlich immer nur die ein, die eine sichtbare Behinderung haben.
Katharina Müllebner: Woran liegt das, dass; weil Poetry Slam hört sich ja sehr offen an; so wie Sie reingekommen sind, man kann einfach auf die Bühne gehen und los. Warum sind trotzdem nur wo wenig Menschen mit Behinderungen da?
Ninia Binias: Ja, ich glaube, das liegt unter anderem daran, dass zum Beispiel Menschen mit Behinderung in dem Theater, in dem ich es gesehen habe, auch schwer Zutritt haben.
Also wenn sie jetzt nicht kleinwüchsig sind, sondern zum Beispiel auf einen Rollstuhl angewiesen sind oder so, dann hätten sie in diesem Theater keinen Platz gehabt, weil es da keinen Platz für einen Rollstuhlnutzer oder -nutzerin gibt. Das heißt, die müssen das Format ja erst mal kennenlernen und dann die Möglichkeit haben, auch mit auf die Bühne zu gehen.
Es gibt inzwischen, zumindest in Deutschland, auch oft Poetry Slam als Teil im Deutschunterricht, aber eben auch nur an den Regelschulen. Also da muss es dann auch erst mal zu Menschen mit Behinderungen finden, die auf einer Regelschule sind, die dann das Glück haben, dass irgendwie Poetry Slam unterrichtet wird und dann noch das Talent haben.
Ich glaube, da ist der Weg einfach noch so, so weit. Ich bemühe mich immer, also ich mache das sehr gerne, dass ich Workshops gebe, das passiert auch öfter, für Menschen mit Behinderung, und sage dann auch immer, kommt da hin, kommt zu dem Format und manchmal klappt das, aber man muss natürlich ganz, ganz lange dranbleiben.
Man muss sehr mobil sein und sehr flexibel, um dieses Format irgendwie mitzumachen, und ich glaube, da ist/ also da könnten wir auch als Szene noch viel, viel mehr tun, dass wir da Leute animieren, auch mitzumachen und Texte vorzutragen.
Katharina Müllebner: Ich habe gelesen, Sie haben den Stadtkulturpreis Hannover gewonnen?
Ninia Binias: Ja. Das ist ein Preis, der vom Freundeskreis Hannover vergeben wird. Das ist hier so ein Verein und mit diesem Preis werden jährlich Leute ausgezeichnet, die sich kulturell und gesellschaftlich besonders um die Stadt verdient machen.
Und Hannover hat sich im letzten Jahr als europäische Kulturhauptstadt beworben. Wir haben den Titel nicht bekommen, den Zuschlag hat Chemnitz bekommen, aber ich habe mich in der Bewerbung sehr engagiert, ich war im sogenannten Beirat, da saßen sehr viele unterschiedliche Leute aus der Gesellschaft drin, um das Team zu beraten. Da war ich Vorsitzende und hab die Interessen von Menschen mit Behinderung vertreten.
Ich habe die Bewerbung moderiert und dafür sehr viel getan und unter anderem, dafür und auch weil ich mich in Zeiten von Corona sehr engagiert habe für die Sichtbarkeit von Künstlerinnen und Künstlern, die eben gerade kein Geld verdienen können und auch keine/ nicht so richtig die Hilfen bekommen, habe ich mich sehr engagiert und dafür habe ich diese Auszeichnung bekommen. Da habe ich mich sehr drüber gefreut.
Katharina Müllebner: Gratuliere.
Ninia Binias: Danke.
Katharina Müllebner: Zum Abschluss stelle ich noch mal die Frage: Was würden Sie sich für die Kunstszene oder für die Poetry Slam-Szene im Hinblick auf Inklusion wünschen? Was, wenn Sie da Appelle starten könnten, was wäre das?
Ninia Binias: Ich würde mir für die Kunst-und Kulturszene und vor allem für die Poetry Slam-Szene wünschen, dass sie sich selber bewusster machen, dass sie noch viel diverser werden können und nicht nur darauf warten, dass Menschen mit Behinderung oder mit anderen sogenannten Diversitätsmerkmalen zu Ihnen kommen, sondern sich aktiv darum bemühen, Leute zu fördern und auf die Bühne zu holen.
Katharina Müllebner: Danke schön für dieses gute Abschlussstatement, danke schön für Ihre Teilnahme an dem Interview, Frau Binias.
Ninia Binias: Danke schön.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Kunst jeglicher Art ist nicht nur ein wichtiges Kulturgut, sondern auch ein Weg, wichtige Themen auf kreative Weise zur Sprache zu bringen.
Künstlerinnen und Künstler können mit ihren Werken die Leute nicht nur unterhalten, sondern der Gesellschaft auch einen Spiegel vorhalten. Poetry Slam ist eine der vielen Möglichkeiten, sich kreativ auszudrücken.
Von Ninia Binias haben wir heute einen Einblick in die Welt des Poetry Slams bekommen, doch wir haben auch gesehen, dass es immer noch schwierig ist, für Menschen mit Behinderung in der Kunstszene Fuß zu fassen.
Wenn Menschen mit Behinderungen dargestellt werden, dann meistens durch Menschen ohne Behinderungen.
Es wird Zeit, dass mehr Menschen mit Behinderungen auf den Bühnen und in den Fernsehbildschirmen ihren Platz finden. Wenn Kunst etwas Freies und Offenes ist, sollte gerade sie inklusiv sein.
Das war unsere Sendung zum Thema Poetry Slam. Alle Informationen zu dieser Sendung und weiterführende Links finden Sie wie immer auf unserer Internetseite www.barrierefrei-aufgerollt.at.
Es verabschiedet sich Ihr Redaktionsteam Katharina Müllebner, Markus Ladstätter und Martin Ladstätter.
[Musik mit Text: barrierefrei aufgerollt – kurz, kompakt und leicht verständlich.]