„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“, heißt es seit 1997 in der Österreichischen Verfassung. Seit 2006 gibt es außerdem das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz mit dem Ziel „die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen zu beseitigen oder zu verhindern“.
Trotzdem erleben Menschen mit Behinderungen nach wie vor Diskriminierungen in vielen Bereichen.
- Was bedeutet Diskriminierung?
- Wie kann ich mich dagegen zur Wehr setzen?
- Wer unterstützt mich dabei?
- Was ist eine Schlichtung?
Die Radiosendung zum Nachhören
Hier kannst Du die ganze Sendung anhören:
Hier findest Du die Sendung zum Nachlesen.
Unsere Interviewpartner
- Hansjörg Hofer: Behindertenanwalt für Österreich
- Petra Kerschbaum: Leiterin der Abteilung zur Unterstützung der beruflichen und gesellschaftlichen Inklusion von Menschen mit Behinderung im Sozialministeriumservice
- Andrea Ludwig: Juristin und Antidiskriminierungsexpertin, Leiterin der Rechtsdurchsetzung beim Klagsverband
Die Sendung im Radio hören
Diese Sendung wurde auf Radio ORANGE 94.0 am 4. Februar 2018 um 10:30 gesendet. Die Sendung kann auch auf o94.at live gehört werden. Am 18. Februar 2018 um 10:30 wurde sie auf Radio ORANGE 94.0 wiederholt.
Sendung zum Nachlesen
Musik mit Text: barrierefrei aufgerollt – kurz, kompakt und leicht verständlich
Katharina Müllebner: Herzlich Willkommen zu der heutigen Sendung von „barrierefrei aufgerollt“ von BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben.
Die heutige Sendung trägt den Titel „Diskriminierung – Wie komme ich zu meinem Recht?“
Mein Name ist Katharina Müllebner.
Im Bundesverfassungsgesetz steht folgendes: Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Lebensbereichen zu gewährleisten.
Diese Antidiskriminierungs- und Staatszielbestimmung trat 1997 in Kraft und stellte einen wichtigen Meilenstein für den Kampf um die Rechte von Menschen mit Behinderungen dar. Fast zehn Jahre später konnte ein weiterer wichtiger Schritt für die Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen gemacht werden.
Seit 2006 gibt es das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz, dessen Ziel es ist, die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen zu verhindern oder zu beseitigen. Dort ist festgelegt, dass niemand aufgrund seiner Behinderung diskriminiert werden darf.
Die heutige Sendung beschäftigt sich mit Fragen rund um das Thema Diskriminierung und wie man sich dagegen zur Wehr setzen kann.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Die Behindertenanwaltschaft unterstützt Menschen, wenn sie sich benachteiligt oder diskriminiert fühlen. Seit Mai 2017 haben wir einen neuen Behindertenanwalt. Er heißt Hans-Jörg Hofer. Hans-Jörg Hofer arbeitet schon seit mehr als 30 Jahren im Sozialministerium in der Sektion für Menschen mit Behinderungen. Er vertrat den früheren Behindertenanwalt Erwin Buchinger und war an der Entwicklung des Bundesbehindertengleichstellungsgesetzes beteiligt. Der Jurist spricht mit uns heute über Diskriminierung und die Möglichkeiten dagegen vorzugehen.
Würden Sie uns Ihre Arbeit einmal erklären? Was machen Sie?
Hans-Jörg Hofer: Ich unterstütze, begleite und berate Menschen mit Behinderung, die sich benachteiligt fühlen.
Meine Ziele sind es für alle Menschen mit Behinderung in Österreich merkbare, feststellbare Verbesserungen zu erreichen. Das bezieht sich nicht nur auf räumliche, kommunikative Barrieren. Das bezieht sich auch vor allem auch auf die Barrieren in den Köpfen. Mein Ziel ist es ein anderes Bild von Menschen mit Behinderung in der Öffentlichkeit erzeugen. Nämlich eines, das von Fähigkeiten, Stärken und Fertigkeiten ausgeht und nicht eines, das von Schwächen und Defiziten ausgeht.
Katharina Müllebner: Wann kann oder sollte man sich denn an Sie wenden?
Hans-Jörg Hofer: Wenn man glaubt wegen einer Behinderung anders – nämlich schlechter – behandelt zu werden als andere Menschen.
Katharina Müllebner: Was bedeutet Diskriminierung denn eigentlich?
Hans-Jörg Hofer: Diskriminierung heißt, wenn man eine andere, eine schlechtere Behandlung erfährt als andere Menschen.
Das heißt zum Beispiel, wegen einer Behinderung im Beruf nicht die gleichen Chancen bekommt oder man einen Job gar nicht bekommt, weil man behindert ist oder dass man im täglichen Leben ein Geschäft zum Beispiel nicht betreten kann, weil man nicht hineingelangen kann. Weil eine Stufe im Weg ist zum Beispiel. Oder wenn kein Behindertenleitsystem vorhanden ist, im Bahnhof zum Beispiel. Oder wenn niemand in der Sprache spricht, die man benötigt. Nämlich in einer einfachen Sprache für Menschen, die lernbehindert sind.
Das sind mögliche Diskriminierungen derentwegen man sich an mich wenden kann.
Katharina Müllebner: Können Sie nochmal genauer darauf eingehen, was fällt denn alles unter Diskriminierung?
Hans-Jörg Hofer: Sowohl die direkte Diskriminierung, also die unmittelbare Zurückweisung wegen einer Behinderung. Beispiel: Wenn ein Lokalinhaber sagt, Sie brauche ich in meinem Lokal nicht, Sie sind behindert, ich mag Sie nicht in meinem Lokal haben. Das ist dann eine unmittelbare Diskriminierung.
Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn ein anscheinend neutrales Kriterium vorliegt, etwa eine Stufe, die einen Niveauunterscheid ausgleichen soll, die aber sich so auswirkt, dass jemand im Rollstuhl zum Beispiel nicht herüberkommen kann. Das ist eine mittelbare Diskriminierung. Beide Formen sind vom Gesetz geschützt. Gegen beide Formen kann man vorgehen.
Katharina Müllebner: Welche Möglichkeiten gibt es jetzt sich gegen Diskriminierung zur Wehr zu setzen?
Hans-Jörg Hofer: Zunächst einmal ein Schlichtungsverfahren. Ein Schlichtungsverfahren ist ein Verfahren, dass ich als Mensch mit Behinderung begehren kann. Das findet beim Sozialministeriumservice statt. Und da wird ein Schlichtungspartner, nennen wir das. Der andere, der mich diskriminiert hat, eingeladen. Und es soll versucht werden eine gütliche Einigung, einen Kompromiss in der Frage zu erzielen. Das kann eine sehr kreative Lösung sein. Das kann etwas sein, was ein Richter nie zusprechen könnte.
Wichtig ist, dass die beiden am Tisch sitzen und sich einigen auf eine Variante, die für beide Seiten in Ordnung geht. Beispiel: Wenn ein Geschäftslokal nicht barrierefrei ist, dann kann vereinbart werden, dass der Inhaber des Geschäftslokals den Umbau machen lässt. Während des Umbaus selbst aber die Waren dem behinderten Menschen zum Beispiel nach Hause zustellt, ohne Mehrkosten. Das wäre ein Kompromiss, der erzielt werden könnte durch ein Schlichtungsverfahren.
Die Anwaltschaft, also meine Person und meine Mitarbeiter, sind gerne bereit Menschen mit Behinderung im Schlichtungsverfahren zu unterstützen, zu begleiten und ihnen dabei zu helfen ihre Ansprüche durchzusetzen.
Katharina Müllebner: Wir haben jetzt über Diskriminierung gesprochen, was sind die rechtlichen Folgen, wenn man diskriminiert wurde?
Hans-Jörg Hofer: In aller Regel Schadenersatz. Das heißt, ich kann als Mensch mit Behinderung, der diskriminiert wurde, Geld verlangen von dem, der mich diskriminiert hat. Das kann ein direkter Schadensersatz sein. Wenn ich zum Beispiel einen Job nicht bekomme, den ich eigentlich bekommen müsste wegen meiner Qualifikation, wenn ich aber ihn nicht bekomme, kann ich das Gehalt, was ich hätte bekommen müssen, von dem Menschen, der mich nicht angenommen hat, einklagen.
Ich kann aber auch einen immateriellen Schadensersatz verlangen. Das ist der Ersatz in Geldform, den ich dafür bekomme, dass ich in meiner Persönlichkeit geschädigt wurde. Dass meine Persönlichkeit vielleicht schlecht behandelt wurde. Beide Formen kann man letztlich vor Gericht begehren. Kann also klagen auf Schadensersatz gegen den diskriminierenden Menschen.
Katharina Müllebner: Welche Entschädigungen kann man bekommen oder kann man überhaupt Entschädigungen bekommen?
Hans-Jörg Hofer: Im Schlichtungsverfahren kann alles vereinbart werden. Das kann nicht nur Geld sein, es kann auch eine andere Form von Vereinbarung sein. Es kann vereinbart werden, dass eine Barriere wirklich beseitigt wird, dass eine Barriere wirklich weggeräumt wird, dass auch neue Einrichtungen gemacht werden, die Barrierefreiheit erzeugen. Im Gerichtsprozess kann meistens noch ein Schadensersatz, also auf Geld geklagt werden.
Katharina Müllebner: Gibt es eigentlich ein Recht auf die Beseitigung von zum Beispiel baulichen Barrieren wie zum Beispiel eine Stufe?
Hans-Jörg Hofer: Der einzelne Mensch mit Behinderung kann nicht auf die Beseitigung von Barrieren klagen, aber der Behindertenanwalt, der Klageverband und noch eine weitere Einrichtung können auf eine Beseitigung, eine Unterlassung von Barrieren, eine Verbandsklage einbringen. Das heißt, die Verbandsklage wird für eine Mehrzahl von Menschen mit Behinderungen eingebracht, die von einer Barriere betroffen sein können. Und das Urteil des Richters oder der Richterin kann dann wirklich auf eine Beseitigung der Barriere lauten.
Das heißt, der Richterspruch kann heißen: der Betreiber ist verpflichtet, diese Stufe oder diesen Eingang durch eine Barriere/durch eine Rampe in einer barrierefreien Form zu ersetzen. Und das kann man auch mit einer Frist versehen. Dann wird einer verpflichtet sein – innerhalb eines gewissen Zeitraumes – eine barrierefreie Variante zu errichten.
Katharina Müllebner: An wen kann man sich denn sonst noch wenden, wenn man glaubt von Diskriminierung betroffen zu sein?
Hans-Jörg Hofer: Zunächst einmal an die Behindertenanwaltschaft, an mich und meine Mitarbeiterinnen. Wir werden Sie gerne unterstützen dabei, dieses Unrecht zu bekämpfen. Ansonsten kann man sich an den Klagsverband. Das ist ein Verband, der ebenfalls für die Rechte von Menschengruppen eintritt, die Diskriminierungen häufig erleben.
Zum Beispiel auch für Menschen mit einer anderen religiösen Einstellung als die in Österreich-häufigste ist und mit einer anderen Hautfarbe, mit einer anderen Herkunft, mit einer anderen Sprache. Alles Gründe, die zu einer Diskriminierung führen können, greift der Klagsverband auf.
Katharina Müllebner: Zum Thema Schlichtungsverfahren: Können Sie uns mal erklären, wie so etwas abläuft für Leute die das noch nicht kennen?
Hans-Jörg Hofer: Das Schlichtungsverfahren dient dazu, dass sich der Mensch mit Behinderung und der, der ihn möglicherweise diskriminiert haben könnte, an einen Tisch setzen und das Problem besprechen können. Und schauen, ob sie gemeinsam eine Lösung finden für dieses Problem, die für beide Seiten in Ordnung geht. Also zum Beispiel eine Lösung finden, wie die Barriere, die der Mensch mit Behinderung vor sich fand, beseitigt, überwunden oder gelöst werden kann.
Das Schlichtungsverfahren ist kostenfrei. Wird vom Sozialministeriumsservice geleitet. Es wird aber keine Entscheidung getroffen, es wird aber nicht festgestellt, ob eine Behinderung vorliegt, ob eine Diskriminierung vorliegt, ob eine verbotene Handlung vorgelegen hat. Es wird nur gesehen, ob man eine Einigung der beiden Parteien herbeiführen kann. Es finden ungefähr 200 Schlichtungsverfahren pro Jahr statt im Durchschnitt und davon werden fast die Hälfte mit einer Lösung, mit einer einvernehmlichen Lösung beendet. Das ist für mich eine hohe Quote an Einigungen, was ich für sehr erfolgreich halte.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Jetzt haben wir schon eine kleine Einführung zum Thema Schlichtungen von Hans-Jörg Hofer bekommen. Petra Kerschbaum ist Leiterin einer Abteilung im Sozialministeriumsservice die Schlichtungen durchführt. Sie ist also eine Expertin, wenn es um dieses Thema geht. Wir haben uns bei ihr genauer über den Ablauf solcher Verfahren erkundigt.
Erklären Sie unseren Zuhörerinnen und Zuhörern doch mal Ihr Arbeitsfeld.
Petra Kerschbaum: Ich bin Abteilungsleiterin. Meine Mitarbeiterinnen führen Schlichtungsverfahren durch, Kündigungsverfahren. Wir stellen Behindertenpässe aus, wir gewähren Zuschüsse für Pflegeunterstützungen. Und ich leite diese Abteilung und hin und wieder führe ich auch nach wie vor selber Schlichtungsverfahren durch.
Katharina Müllebner: Was sind denn Schlichtungen jetzt genau?
Petra Kerschbaum: Behinderte Menschen, die sich diskriminiert fühlen in gewissen Lebensbereichen, können das Gericht um eine Entscheidung darüber anrufen, ob in dem konkreten Fall eine Diskriminierung stattgefunden hat. Das Gericht wird dann darüber entscheiden, ob eine Diskriminierung stattgefunden hat und was allenfalls die Rechtsfolgen sind.
Bevor behinderte Menschen das tun können, müssen sie allerdings beim Sozialministeriumsservice eine sogenannte, ein Einigungsgespräch versuchen, eine Schlichtung einleiten und in diesem Schlichtungsverfahren versuchen dann die Schlichtungsreferenten sowohl die behinderte Person als auch die Person, von der sie angegeben hat, dass sie diskriminiert wurde von dieser, bei einer Einigung zu begleiten.
Sollte so eine Einigung zustande kommen, ist das Schlichtungsverfahren beendet. Sollte es nicht zu einer Einigung kommen in diesem Verfahren, steht dann der Klagsweg offen.
Katharina Müllebner: Was ist das Ziel eines solchen Schlichtungsverfahrens?
Petra Kerschbaum: Das Ziel von Schlichtungen ist, außergerichtlich eine Einigung zwischen der behinderten Person und ihrem Schlichtungspartner herbeizuführen, sodass die behinderte Person den Klagsweg zum Gericht nicht mehr bestreiten muss. Das heißt, es ist eine kostengünstige, niederschwellige Möglichkeit, zu einer Einigung zu gelangen.
Katharina Müllebner: Bitte gehen Sie doch mal auf den Ablauf so eines Schlichtungsverfahrens ein.
Petra Kerschbaum: Das Sozialministeriumsservice erhält einen Schlichtungsantrag von der behinderten Person, in der sie darlegt, was ihr widerfahren ist, von wem ihr das widerfahren ist. Das Sozialministeriumsservice lädt dann die behinderte Person und die namhaft gemachte Person zu einem persönlichen Gespräch ein. Wir versuchen dann in diesem persönlichen Gespräch, diese beiden Menschen am Weg zu einer Einigung zu begleiten, einen Interessensausgleich zu begleiten und das kann stattfinden mittels eines oder auch mehreren Gesprächsterminen. In diesen Gesprächen sind viele, viele Lösungsmöglichkeiten vorstellbar.
Was beide Menschen sich miteinander ausmachen, um zu einer Einigung zu gelangen, ist sehr unterschiedlich. Manchmal reicht eine Entschuldigung, manchmal werden Umbaumaßnahmen in die Wege geleitet, manchmal werden Schadenersatzleistungen gezahlt. Das ist sehr individuell, worauf die Schlichtungspartner sich verständigen.
Katharina Müllebner: Was sind denn eigentlich die Aufgaben einer Schlichtungsreferentin oder eines Schlichtungsreferenten?
Petra Kerschbaum: Schlichtungsreferentinnen haben die Aufgabe, einen Antrag auf Einleitung eines Schlichtungsverfahrens in der Form zu behandeln, dass sie die Schlichtungspartner zu einem persönlichen Gespräch einladen und in diesem persönlichen Gespräch dann auf deren beider Weg zu einer gütlichen Einigung zu begleiten.
Schlichtungsreferentinnen nehmen also nicht Partei für die eine oder andere Person. Sie beurteilen und bewerten den Sachverhalt nicht, sondern sie moderieren dieses Gespräch, sie begleiten es, achten darauf, beispielsweise, dass beide Gesprächsteilnehmer aussprechen dürfen, ihre Sichtweise darlegen können, ihre Vorstellungen äußern können und möglicherweise eben auf diesem Weg zu einer Einigung kommen können.
Katharina Müllebner: Wo liegen Ihrer Meinung nach die Herausforderungen bei einem solchen Verfahren?
Petra Kerschbaum: Grundsätzlich ist eine große Herausforderung, dass manchmal sich die behinderten Menschen erwarten, dass die Diskriminierung beendet wird, dass wir darüber, also dass das Sozialministeriumsservice oder auch ein Gericht darüber entscheidet, dass die Diskriminierung untersagt wird.
Diese Erwartungshaltung muss man leider relativieren, denn wenn die Schlichtung nicht zu einem positiven Ergebnis, zu keiner Einigung führt und es zu einem Gerichtsverfahren kommt, ist im Wesentlichen seitens des Gerichts möglich, Schadenersatz zuzusprechen und nur in ganz wenigen Ausnahmen, ist es möglich, etwas Anderes als Schadensersatz zu erhalten.
Katharina Müllebner: Warum sollte man denn eigentlich schlichten und nicht klagen vor Gericht?
Petra Kerschbaum: Weil man sich natürlich, wenn man das Gericht um eine Entscheidung anruft, einem gewissen Klagsrisiko aussetzt. Das heißt, man hat natürlich ein finanzielles Risiko. Außerdem ist es möglich, im Zuge einer Schlichtung durchaus auch Dinge zu erreichen, die man vor Gericht gar nicht erreichen könnte, beispielsweise eine Entschuldigung oder einen gemeinsamen Plan, wie man in Zukunft mit gewissen Problemstellungen umgeht. Das könnte das Gericht gar nicht anordnen.
Katharina Müllebner: Wenn ich jetzt eine Schlichtung machen will, wo kann ich die einbringen?
Petra Kerschbaum: Beim Sozialministeriumsservice. Wir haben neun Landesstellen. Grundsätzlich kann man in jeder Landesstelle, die man sich aussucht und wo man einen Grund dazu hat, dass man es in einem bestimmten Bundesland schlichten möchte, die Schlichtung durchführen. Ansonsten würde ich dazu raten, es einfach beim, in der Landesstelle seines Wohnorts einzubringen.
Katharina Müllebner: Was könnte Ihrer Meinung nach bei Schlichtungen noch verbessert werden?
Petra Kerschbaum: Es könnte verbessert werden, dass Diskriminierungen tatsächlich abgestellt und untersagt werden können und dass es nicht so ist wie es derzeit ist, dass behinderte Menschen über den Umweg einer Schadenersatzforderung letztlich dann die Diskriminierung abstellen können.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Eine weitere Stelle, an die man sich wenden kann, wenn es um Diskriminierung geht, ist der Klagsverband. Die Juristin und Expertin für Antidiskriminierung, Andrea Ludwig, ist Leiterin der Rechtsdurchsetzung beim Klagsverband. Wir haben mit ihr über die Aufgaben des Klagsverbands gesprochen.
Frau Ludwig, würden Sie uns einmal erklären, was der Klagsverband ist?
Andrea Ludwig: Der Klagsverband ist ein Verein und dieser Verein wurde im Jahr 2004 gegründet. Wir haben Mitglieder und unsere Mitglieder sind auch Vereine. Das sind im Moment 49. Eine Hauptaufgabe des Klagsverbands ist es, Mensch zu unterstützen. Und zwar Menschen, die diskriminiert worden sind.
Die Anfragen, also diese Fälle kommen von unseren Mitgliedern. Wir schauen uns das dann an. Und wir sagen, ob man dort klagen kann oder nicht. Und wenn eine Klage möglich ist, dann unterstützt der Klagsverband bei der Rechtsdurchsetzung. Das heißt, wir vertreten vor Gericht. Das Klagsverbandsteam ist klein. Wir machen sehr viel Arbeit, aber diese Arbeit machen drei Personen. Und wir haben drei Bereiche. Ein Bereich ist die Öffentlichkeitsarbeit. Der andere Bereich sind Stellungnahmen zu Gesetzen und politische Arbeit. Und ein ganz wichtiger Bereich ist eben die Rechtsdurchsetzung und rechtliche Beratung und das sind drei Personen, die jeweils in diesen drei Bereichen arbeiten.
Katharina Müllebner: Und wer kann sich jetzt alles an den Klagsverband wenden?
Andrea Ludwig: Wir haben eben Mitglieder und diese Mitglieder sind Vereine. Und diese Vereine machen Beratung. Und nur wer eben Mitglied ist, kann sich an uns wenden. Das bedeutet, die Vereine, die Fragen haben, melden sich eben für rechtliche Anfragen im Bereich Gleichbehandlung beim Klagsverband. Und wir unterstützen sie dann und suchen eine Lösung.
Katharina Müllebner: Wie unterstützt jetzt der Klagsverband zum Beispiel mich als Einzelperson?
Andrea Ludwig: Ganz wichtig ist, Personen können sich nicht direkt an den Klagsverband wenden. Es ist immer vorher eine Beratung durch eines unserer Mitglieder notwendig. Und die Mitgliedsvereine entscheiden dann, ist es ein wichtiger Fall, ist es eine wichtige Rechtsfrage, die wir uns anschauen müssen. Es ist meistens dann eine wichtige Rechtsfrage, wenn es noch keine Entscheidung dazu gibt. Wenn wir noch nicht genau wissen, ist das Diskriminierung oder nicht.
Und wenn es ganz viele Menschen zum Beispiel betrifft. Dann wird der Mitgliedsverein den Klagsverband um Hilfe bitten. Wir können die Person, die sich diskriminiert fühlt, noch einmal beraten. Wir können der Person die rechtlichen Möglichkeiten noch einmal erklären, was auch immer wichtig ist. Wir können sagen, was es bedeutet ein Gerichtsverfahren zu führen und wir können dann auch bei Gericht vertreten in gewissen Fällen. Und eben da immer zur Seite stehen und unterstützend dabei sein und eben im Verfahren immer ansprechbereit sein für die Person, falls irgendwelche Fragen auftauchen.
Katharina Müllebner: Wenn man jetzt als Laie an Klagen denkt, kommt einem gleich das Geld in den Sinn. Das kostet viel Geld. Kostet auch die Hilfe des Klagsverbands Geld?
Andrea Ludwig: Der Klagsverband hat ein Budget. Ein kleines Budget. Das heißt, wir können bei den Klagen Geld dazugeben, mitfinanzieren. Wir können aber nicht alles finanzieren. Das heißt, wir müssen schauen, dass wir gemeinsam das Geld für eine Klage aufstellen. Das bedeutet, dass der Verein, der die Klage an den Klagsverband weitergibt, sich beteiligt oft. Aber auch die Einzelperson sollte sich mit einem geringen Betrag an diesem Verfahren beteiligen.
Katharina Müllebner: Nicht alle unsere Zuhörerinnen und Zuhörer wissen ja wahrscheinlich, wie so eine Klage abläuft. Könnten Sie deshalb genauer auf den Ablauf so einer Klage eingehen?
Andrea Ludwig: Für eine Klage ist etwas Vorarbeit notwendig. Das heißt, es gibt eine Beratung. Dann schaut sich der Klagsverband das an und beim Klagsverband gibt es noch mal eine Entscheidung. Einen Klagsausschuss haben wir eingerichtet. Das ist ein Gremium, in dem sieben Menschen sind, die sich das anschauen, ob das Verfahren wichtig wäre, ob es genug Finanzierung für das Verfahren gibt.
Und dann, wenn es ein okay von diesem Klagsausschuss gibt, dann können wir die Klage einbringen. Wenn die Klage eingebracht worden ist, muss man etwas warten, weil die Gegenseite zumeist die Möglichkeit hat zu bezahlen. Das sind immer vier Wochen. Und wenn das nicht der Fall ist, dann gibt es sogenannte mündliche Verhandlungen.
Das heißt, alle treffen sich bei Gericht und dann wird der Sachverhalt dort geklärt und dann muss man wieder warten, was ganz oft bei einem Verfahren ist, auf ein Urteil.
Und dann gibt es oft noch die Möglichkeit dieses Urteil, wenn es für eine betroffene Person negativ ist, anzugreifen. Das heißt, man kann noch einmal in eine zweite Instanz gehen und ein anderes Gericht schaut sich das noch einmal an, den Fall. Und man kann sagen, dass es eine Zeitlang dauert bis man eine endgültige Entscheidung hat. Manchmal dauert es ein Jahr. Und manchmal dauert es aber auch etwas länger.
Katharina Müllebner: Es können ja nicht nur Einzelpersonen diskriminiert werden, eine Diskriminierung kann auch eine ganze Gruppe von Personen betreffen. Deshalb gibt es die Möglichkeit einer sogenannten Verbandsklage. Bitte erklären Sie uns, was das ist.
Andrea Ludwig: Eine Verbandsklage ist eine ganz wichtige Klage. Eine Verbandsklage bedeutet, dass nicht mehr die Einzelperson klagen muss. Bei einer Verbandsklage können Organisationen, eben Verbände, so wie es im Wort auch drinnen steht, für Einzelperson klagen. Das bedeutet im Detail, dass der Klagsverband, der so ein Verbandsklagerecht hat, Klagen kann, wenn gewisse Voraussetzungen vorliegen.
Und die Voraussetzungen sind, dass mehrere Personen, mehrere Menschen mit Behinderung betroffen sind von dieser Diskriminierung. Das ist oft bei Barrieren der Fall. Diese Barrieren betreffen viele und benachteiligen viele Menschen. Dann kann der Klagsverband sagen: Wir wollen hier etwas dagegen tun, weil wir finden, das ist eine Diskriminierung. Dann kann der Klagsverband eine Klage einbringen. Muss natürlich wie eine Einzelperson auch vorher schlichten.
Ein Schlichtungsverfahren machen. Und wenn das negativ endet, gibt es eine Klage. Und es muss keine Einzelperson vor Gericht mehr aussagen, sondern das macht wirklich der Verband, der Klagsverband allein. Und es gibt zudem auch noch eine weitere Verbesserung im Vergleich zu einer Klage, die eine Einzelperson führen muss.
Bei einer Verbandsklage kann man klagen auf die Feststellung der Diskriminierung. Bei einer Einzelklage kann ich auf Schadensersatz klagen. Und es ist ganz wichtig, wenn auf Feststellung geklagt wird, dann ist das für Einzelperson zum Beispiel dann einfacher da gegen diese Barriere, gegen diese Diskriminierung vorzugehen.
Aber es gibt noch eine andere, wie ich finde auch sehr, sehr wichtige Regelung. Wenn es große Unternehmen, große Kapitalgesellschaften betrifft, dann darf der Klagsverband unter anderem auch auf Unterlassen und Beseitigen klagen. Das heißt, man kann dann verlangen, dass eine Barriere von diesem großen Unternehmen beseitigt wird.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Bei Diskriminierung ist es sinnvoll und wichtig sich dagegen zu wehren. Denn nur so kann ein Bewusstsein über Ungleichbehandlung und Barrieren geschaffen werden. Oft kann schon bei einer Schlichtung eine Einigung erzielt werden und so ist der Gang zum Gericht gar nicht mehr nötig.
Das war „Diskriminierung – wie komme ich zu meinem Recht?“ aus der BIZEPS-Sendereihe „barrierefrei aufgerollt“.
Alle Informationen zu dieser Sendung finden Sie auf www.barrierefrei-aufgerollt.at.
Sie hörten diese Sendung auf Radio ORANGE 94.0.
Redaktion: Martin Ladstätter und Katharina Müllebner
Technik: Markus Ladstätter
[Musik barrierefrei aufgerollt] Musik mit Text: barrierefrei aufgerollt – kurz, kompakt und leicht verständlich