Gebärdensprachen sind Sprachen, die man sieht. Das heißt, man drückt sich durch Gesten und Mimik aus. Weltweit sprechen derzeit 7 Millionen Menschen eine der Gebärdensprachen als Muttersprache.
Was viele Leute nicht wissen ist die Tatsache, dass es nicht nur eine Gebärdensprache gibt. Es gibt aber nicht nur verschiedene landesspezifische Gebärdensprachen, sondern auch verschiedene Dialekte. Gebärdensprachen entwickeln sich genauso wie Lautsprachen. In Österreich ist die österreichische Gebärdensprache seit 2005 als Sprache anerkannt. Die österreichische Gebärdensprache wird auch als ÖGS abgekürzt.
Was sind die wichtigsten Fakten die man über Gebärdensprache wissen muss? Wie funktioniert Gebärdensprachdolmetschen? Wie lebt es sich als Kind gehörloser Eltern (CODA – Children Of Deaf Adults)? Und wie sieht Gehörlosenkultur aus?
Die Radiosendung zum Nachhören
Hier kannst Du die ganze Sendung anhören:
Hier findest Du die Sendung zum Nachlesen.
Unsere Interviewpartner
- Barbara Schuster, Lehrerin für österreichische Gebärdensprache an der Universität Wien. Sie ist selbst gehörlos.
- Lydia Fenkart, Lehrerin für österreichische Gebärdensprache, Mitarbeiterin des Projekts Gestu und des österreichischen Gehörlosenbundes, engagiert sich für die Plattform „Integration und Gebärdensprache“ Sie ist selbst gehörlos.
- Isabella Rausch, Freiberufliche Dolmetscherin für österreichische Gebärdensprache und ist Kind gehörloser Eltern (CODA)
- Sabine Zeller, langjährige, selbstständige Gebärdensprachdolmetscherin
Die Sendung im Radio hören
Diese Sendung wurde auf Radio ORANGE 94.0 am 3. Dezember 2017 um 10:30 gesendet. Die Sendung konnte auch auf o94.at live gehört werden. Am 17. Dezember 2017 um 10:30 wurde sie auf Radio ORANGE 94.0 wiederholt.
Radiosendung zum Nachlesen:
Katharina Müllebner: Herzlich Willkommen zu der heutigen Sendung von „barrierefrei aufgerollt“ von BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben.
Mein Name ist Katharina Müllebner.
Unsere heutige Sendung hat den Titel „Gebärdensprachen, Sprachkultur und Inklusion“.
Gebärdensprachen sind Sprachen, die man sieht. Das heißt man drückt sich durch Gestik, Mimik und Körperhaltung aus. Weltweit sprechen derzeit 7 Millionen Menschen eine der Gebärdensprachen als Muttersprache. Was viele nicht wissen, ist die Tatsache, dass es nicht nur eine Gebärdensprache gibt. Es gibt nicht nur verschiedene landesspezifische Gebärdensprachen, sondern auch verschiedene regionale Dialekte. In Österreich ist die Gebärdensprache seit 2005 als Sprache anerkannt. Die Österreichische Gebärdensprache wird auch als ÖGS abgekürzt. In der heutigen Sendung geben wir einen Einblick in die Welt der Gebärdensprache und der Gehörlosen-Gemeinschaft.
[Überleitungsmusik]Barbara Schuster unterrichtet Österreichische Gebärdensprache und ist gehörlos. Für dieses Radiointerview brauchten wir einen Dolmetscher. Für das Radiointerview haben wir Frau Schuster auf Video aufgenommen. Auf dem Video spricht sie Gebärdensprache. Unsere Mitarbeiterin Joana Fiala spricht für das Radio ihre Antworten nach.
Was sind die wichtigsten Fakten, die man über Gebärdensprache wissen muss?
Barbara Schuster: Ganz wichtig ist zu wissen, dass Gebärdensprachen eigenständige Grammatiken haben, Auch eigene Sprachen sind. Aus einer linguistischen Perspektive werden Gebärdensprachen anderen Fremdsprachen, gesprochenen Sprachen gleichgestellt. Gebärdensprache ist anerkannt und nicht bloß eine Vereinfachung der deutschen Sprache. Und sie haben nicht die gleiche Struktur wie das geschriebene oder das gesprochene Wort, sondern funktionieren visuell und werden im Raum lokalisiert.
Katharina Müllebner: Wie unterscheiden sich Gebärdensprachen von Lautsprachen?
Barbara Schuster: Was macht den Unterschied zwischen Gebärdensprachen und Lautsprachen wie zum Beispiel Deutsch aus? Sätze werden in der Lautsprache linear strukturiert. Da werden Worte aneinandergereiht und in der Gebärdensprache wird der Raum genutzt.
Ich bringe ein Beispielsatz: Der Igel überquert die Straße. Das heißt, linear aneinander geordnet, wäre in der Gebärdensprache anders. Zuerst müsste man die Straße positionieren, dann wo der Igel steht und in welche Richtung er sich über die Straße bewegt, das heißt, die räumliche Positionierung in der Gebärdensprache ist ganz anders als die lineare Strukturierung der gesprochenen Sprache. Die Gebärdensprache kommt ohne Ton aus und das gesprochene Wort braucht die Stimme.
Katharina Müllebner: Warum sind Gebärdensprachen so wichtig?
Barbara Schuster: Sie sind deshalb wichtig für gehörlose Menschen, weil es die Erstsprachen sind und sie brauchen Zugang dazu von Kindesbeinen an. Es ist so, dass die Gebärdensprachen eigene Aufbauten und Strukturen haben und um neuronale Hirnverbindungen aufbauen und entwickeln zu können, brauchen Kinder Zugang zu Gebärdensprachen. Gebärdensprachen sitzen im Hirn an der gleichen Stelle wie gesprochene Sprachen und die müssen auch gefördert und kultiviert werden – für Kinder, die hören können.
Wenn sich also Gebärdensprachen entfalten und gut entwickeln, können später andere Sprachen wie zum Beispiel Deutsch oder Englisch erlernt werden von gehörlosen Menschen und deswegen ist es ganz wichtig, dass man die Eigenständigkeit der Gebärdensprache anerkennt.
Katharina Müllebner: Ist die Gebärdensprache in Österreich gut genug anerkannt?
Barbara Schuster: In Österreich wurde die Gebärdensprache 2005 anerkannt, dennoch hat sich in diesen zwölf Jahren, die vergangen sind, nicht sehr viel geändert, einige Dinge wohl, wie zum Beispiel, dass Gebärdensprachen ins Bewusstsein der Menschen gelangt ist. Allerdings im schulischen Bereich wird Gebärdensprache nach wie vor als wenig wichtig für gehörlose Kinder angesehen. Sie brauchen allerdings Zugang zu ihrer Erstsprache, Zugang in gebärdensprachlichen Unterricht und die Anerkennung dieses Rechts ist bis jetzt nicht spürbar. Da ist noch viel zu tun und es dürfte noch ein harter Kampf in Zukunft werden.
Katharina Müllebner: Gibt es genügende Gebärdensprachdolmetscher in Österreich?
Barbara Schuster: Meinem Eindruck nach sind es nach wie vor zu wenige. Wenn ich eine Dolmetscherin beauftragen möchte, muss ich darauf achten, ob sie Zeit hat oder verfügbar ist. Viele sind ausgebucht und mein Eindruck ist der, dass wir einen Dolmetsch-Mangel in Österreich haben und wir mehr Dolmetscherinnen brauchen. Aus der Sicht, dass wir mehr Dolmetscherinnen brauchen, lässt sich sagen, dass wir eigentlich mehr Gebärdensprach-Lehrende brauchen, die dann in Zukunft Dolmetscherinnen ausbilden. Natürlich braucht es viele Dolmetscherinnen, das ist klar, aber es braucht eben auch Gebärdensprach-Lehrende.
Katharina Müllebner: Wird Gebärdensprach-Dolmetschung in Österreich ausreichend finanziert?
Barbara Schuster: Meiner Meinung nach gibt es Unterschiede beim Bedarf. Gehörlose Personen, die am Arbeitsplatz hohen Bedarf haben, Dolmetsch-Leistungen zu bekommen, dort finde ich das Angebot vom Sozialministerium-Service in Ordnung. Im privaten Bereich allerdings ist das davon abhängig, wie die Familiensituation ist. Gibt es gehörlose Eltern, die drei Kinder haben zum Beispiel sind es drei Elternabende für jedes Kind einmal, wo es zu Besprechungen kommt. Mit drei Kindern zum Arzt gehen heißt, dass man dreifachen Bedarf hat und für diese Familien sollte mehr Budget zur Verfügung gestellt werden und in dem Fall wäre das Budget zu gering. Deswegen ist meiner Meinung notwendig, dass die Budgets individuell vergeben werden.
Der Bedarf sollte an die Bedürfnisse der Personen angepasst werden und das Budget individuell genehmigt werden. Das fehlt. Als dritten Bereich würde ich die Bildung erwähnen, Studium, Weiterbildungen und da haben wir ein riesengroßes Problem, was die Finanzierung betrifft.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Gehörlose Menschen werden durch die Gebärdensprache auch zu einer sprachlichen Minderheit. Gebärdensprache ist Teil ihrer kulturellen Identität. Aber wie sieht sie eigentlich aus, diese Gehörlosenkultur? Und wo findet man die Gebärdensprachgemeinschaft hier in Österreich? Diese und andere Fragen beantwortet uns Lydia Fenkart. Sie ist Lehrerin in Wien und selbst gehörlos. Sie gibt uns ihre Antworten in Österreichischer Gebärdensprache. Die Dolmetscherin Elke Schaumberger spricht ihre Antworten ein.
Wie ist es, als gehörloser Mensch in einer hauptsächlich lautsprachigen Welt zu leben?
Lydia Fenkart: Vielleicht muss ich zunächst einmal dazu sagen, dass ich in einer gehörlosen Familie in dritter Generation groß geworden bin. Das heißt, auch meine Großeltern sind gebärdensprachig. Meine Eltern auch. In der Schule, in der Freizeit und so weiter hatte ich natürlich auch immer wieder den Kontakt zur hörenden Welt und bin zwischen den Welten gewechselt. Das heißt, schon als Kind hatte ich eigentlich keine großen sprachlichen Barrieren erlebt, weil ich mit meinen Eltern und Großeltern in Gebärdensprache kommunizieren konnte. Natürlich wusste ich sehr schnell, dass im Kontakt mit einem Hörenden, das haben mir aber auch meine Eltern immer wieder gesagt, ich schon auch Barrieren habe in der Kommunikation, weil die eben nicht gebärdensprachig sind.
Die erste wahre Barriere habe ich im Studium erlebt. Ich wollte Jus studieren und habe gemerkt, dass ich an ganz viele Grenzen stoße. Mir wurde gesagt, ich könnte nicht Jus studieren, weil wir haben leider keine Gebärdensprach-Dolmetscher und ich habe mich dann erkundigt und gemerkt, dass mir da sehr viele Steine in den Weg gelegt werden. Zwar einerseits war es eine positive Erfahrung, einmal das Studium zu beginnen, auf der anderen Seite war es eigentlich dann eine sehr negative Erfahrung, weil ich das Gefühl gehabt habe, ich werde hier gar nicht als vollwertiger Mensch wahrgenommen ja und mir werden sozusagen die Rahmenbedingungen nicht gegeben.
Katharina Müllebner: Wie groß ist die Gebärdensprach-Gemeinschaft in Österreich?
Lydia Fenkart: Also die Gebärdensprach-Community ist eigentlich sehr groß. Bei der Gehörlosen-Community gibt es circa ungefähre Zahlen. Das sagt man zwischen 8.000 und 10.000 Personen sind das, ja, aber, wenn man die Gebärdensprach-Community berücksichtigt, das heißt, das sind ja alle Leute, die gebärdensprachig sind – hörend und gehörlos – da würde ich schon sagen, dass es mindestens eine doppelt so große Anzahl – die Gebärdensprache können, ja.
Katharina Müllebner: Wo findet man die Gehörlosen-Gemeinschaft?
Lydia Fenkart: Also, die Gebärdensprach-Community findet man heutzutage eigentlich leichter als früher, weil man sieht sie mehr in den Medien, es ist alles mehr ersichtlich. Man sieht Gebärdensprach-Dolmetscher bei diversesten Veranstaltungen im Fernsehen und so weiter. Das heißt, es ist vielleicht etwas offenkundiger als früher, weil es transparenter oder präsenter ist in den Medien. Man sieht, die Leute wissen, es gibt diese Sprache. Es ist eine visuelle Sprache, aber trotzdem gibt es aus Sicht der Gehörlosen-Community oder Gebärdensprach-Community schon heute eigentlich Schwierigkeiten, die es früher so nicht gab, denn früher war es ganz klar, wo man diese Community trifft.
Es gab Zentren, Klubs, Schulen und so weiter. In der heutigen Zeit hat sich das ziemlich verändert. Die Gebärdensprache an sich ist zwar visueller, aber eigentlich mehr als der Mensch – der gehörlose Mensch -, die werden oft einzeln integriert, sind manchmal gerade im Bildungsbereich oft isoliert und wissen wenig voneinander und haben kaum Räume sich zu treffen. Das heißt diese Community, die es früher gab in Gehörlosenvereinen und so weiter, in Gehörlosenschulen, die ist ein bisschen kleiner geworden merke ich und ich glaube, da muss man das wirklich differenziert sehen.
Katharina Müllebner: Wer gehört alles zur Gehörlosen-Gemeinschaft?
Lydia Fenkart: Also Gehörlosen-Community, das sagt eigentlich schon der Name, ist die Gruppe der gehörlosen Menschen. Da zählen Personen dazu, die schwerhörig sind gehörlos sind, Hörhilfen tragen und so weiter. Also vor kurzem war ich beim WFD bei der Konferenz in Budapest. WFD steht für World Federation of the Deaf, das ist sozusagen der Weltverband der Gehörlosen, das ist eine große internationale Konferenz, wo über 700 Personen teilgenommen haben und da ist das sozusagen auch das diskutiert worden, wer zählt jetzt eigentlich zu dieser Gehörlosen-Community und unterm Strich kann man sagen, es ist eine Person, die eine verminderte Hörfähigkeit hat, aber viel wichtiger ist, dass eine Person ist, die visuell orientiert ist und dass man diese Identifikation auch positiv erleben kann.
Katharina Müllebner: Wer gehört alles zur Gebärdensprach-Gemeinschaft?
Lydia Fenkart: Zur Gebärdensprach-Community zählen dazu auch Personen, die zum Beispiel mit Gebärdensprache aufgewachsen sind, CODAs zum Beispiel, Dolmetscherinnen und Dolmetscher Ja. Personen, die über viele, viele Jahre Kontakt zur Gehörlosen-Community haben und natürlich auch Personen, die Interesse an der Gebärdensprache haben und so weiter. All diese sind herzlich willkommen in dieser Gemeinschaft. Dazu gehören natürlich auch die Menschen, die gehörlos sind oder eine Hörminderung haben, weil sie sind ja die, die hauptsächlich Gebärdensprach-Benutzerinnen und Benutzer sind.
Katharina Müllebner: Was gehört alles zur Gehörlosen-Kultur?
Lydia Fenkart: Ja, also der Begriff enthält sehr viel. Das ist. Das könnte ich jetzt zwei bis drei Stunden ausführen. Er bezieht sich natürlich wieder auf diese Gemeinschaft, ja. Was verbindet diese Gehörlosen-Community? Die gemeinsame Sprache, die Visualität. die visuellen Elemente. Wie man sich zum Beispiel gegenseitig ruft, wen man sich was mitteilen möchte, ja. Dass man eben ein Handzeichen gibt, dass man eventuell den Lichtschalter betätigt. So Dinge, aber dazu zählen natürlich auch kulturelle Sachen wie Gehörlosen-Theater, Besonderheiten aus der Community, Auftritte von Gehörlosen, Poesie, Musik, Performances zum Beispiel. Das gehört auch zu der Gehörlosen-Kultur. Also das ist sehr, sehr vielseitig und sehr umfangreich.
Katharina Müllebner: Welche politischen Ziele hat die Gehörlosen-Gemeinschaft?
Lydia Fenkart: Die politischen Ziele der Gehörlosen-Community sind zunächst einmal die Anerkennung der österreichischen Gebärdensprache und zwar in ihrem vollen Umfang. Sodass es im Alltag auch wirklich zu spüren ist. Bislang haben wir die Anerkennung lediglich auf Papier. Das heißt, die österreichische Gebärdensprache ist in der Verfassung anerkannt, aber die gesetzliche Umsetzung fehlt dazu. Das heißt, wir erleben im Alltag viele Barrieren, zum Beispiel in der Bildung. Bilinguale Klassen zum Beispiel fehlen. Wir haben so immer diese zwei Welten. Die Gehörlosenwelt und die hörende Welt. Wir haben die Welten mit zwei ganz unterschiedlichen Sprachen, unterschiedlichen Kulturen und wir haben sie verinnerlicht oder sollen sie verinnerlichen, aber wo ist das Angebot dazu. Wie soll ein Kind eine starke Persönlichkeit bekommen und wirklich resilient sein, wenn es kaum bilinguales Angebot gibt. Das heißt, das ist das Allerwichtigste, dass dieser Punkt einmal umgesetzt wird. Dieser Punkt würde alles verändern.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: CODA ist die Abkürzung für Children of deaf adults, zu deutsch Kinder gehörloser Eltern. Isabella Rausch ist so ein CODA. Außerdem arbeitet sie als freiberufliche Dolmetscherin für Österreichische Gebärdensprache, Deutsch und International Sign. Sie erzählt, wie es ist als CODA aufzuwachsen.
Was bedeutet CODA?
Isabella Rausch: CODA. C-O-D-A ist eine Abkürzung und kommt aus dem Englischen und steht für Children of Deaf Adults, was so viel heißt wie, Kinder von gehörlosen Eltern. Also mit CODA mit C geschrieben, meint man erwachsene Personen, die mit gehörlosen Eltern aufgewachsen sind, ob das jetzt ein oder zwei Elternteile sind, spielt in dem Fall keine Rolle. KODAS mit K sind die Kids, die noch unter 18 sind, die auch eben ein oder zwei gehörlose Elternteile haben und damit wird eine Personengruppe bezeichnet, die mit Gehörlosen-Kultur, Gebärdensprach-Gemeinschaft aufwächst und aber selbst, weil sie hören können, nicht als solche zur Gehörlosen-Gemeinschaft dazu gehören.
Katharina Müllebner: Sind CODA immer hörend?
Isabella Rausch: Der Begriff kommt ja aus Amerika und die Person, die den Begriff geprägt hat, kommt aus der Musikwissenschaft. Und CODA steht für eine Abwandlung und Abweichung im musikalischen Zusammenhang und insofern meint man nicht-gehörlose Kinder, die gehörlose Eltern haben, sondern wirklich immer hörende Kinder. Also als Abwandlung, was einen gehörlosen Menschen ausmacht, weil die Personen aufwachsen mit den Werten und der Kultur der Gehörlosen-Gemeinschaft, aber nicht selbst gehörlos sind. Jetzt ist es so, dass dieses Hörvermögen vielleicht nicht das Wichtigste ist, aber es ist doch das ausschlaggebende Merkmal, um sich zur Gehörlosen-Gemeinschaft zugehörig zu fühlen.
Katharina Müllebner: Sind Kinder von gehörlosen Eltern auch gehörlos?
Isabella Rausch: Die meisten Menschen glauben, dass Gehörlosigkeit vererbbar ist. Ist es auch aber nur in fünf Prozent der Fälle. Das heißt die meisten gehörlosen Eltern bekommen hörende Kinder, 95 Prozent davon.
Katharina Müllebner: Sind CODA die billigeren Dolmetscher?
Isabella Rausch: Die Frage ob Kinder, die gehörlose Eltern haben, billiger sind, sie kosten gar nichts. Das heißt in Wahrheit kümmert sich der Staat nicht darum, dass gehörlosen Menschen Barrierefreiheit gewährleistet wird, sondern überträgt diese Verantwortung einfach den Kindern. Ich finde Kinderarbeit ist etwas, das in Österreich sowieso nicht erlaubt ist, zum einen, zum anderen kann ein Kind, was Thematiken betrifft wie Mietvertrag unterfertigen oder Bankgeschäfte erledigen, die Tragweite der gesprochenen Worte oft nicht verstehen.
Ich denke mal, kritische Situationen, wo es um eine Krebsdiagnose geht, um Haus verlieren oder nicht Haus verlieren, um einen Arbeitsplatz zu behalten oder zu verlieren. Da geht es wirklich um lebensentscheidende Themen. Da sind Kinder in ihrer Rolle überfordert, weil sie ja zum einen abhängig sind von ihren Eltern und zum anderen auch den Eltern helfen wollen. Das heißt, dieser Konflikt ist etwas, der tiefe psychologische Spuren hinterlässt. Kinder, die Verantwortung für ihre Eltern übernehmen müssen, haben früher oder später das Problem, dass sie sich mit dieser Überforderung auseinandersetzen müssen.
Katharina Müllebner: Haben Sie von Anfang an Gebärdensprache gelernt? Sind Sie sozusagen zweisprachig aufgewachsen?
Isabella Rausch: Kinder, die eine Sprache zu Hause mitbekommen, erwerben eine Sprache. Das heißt, sie lernen es nicht. Wenn eine Sprache gelernt wird, braucht es einen strukturierten Unterricht. Das heißt, Kinder in dem, also weiß ich nicht, Gymnasium oder Volksschule lernen Englisch in der Schule, aber Kinder die zu Hause Gebärdensprache angeboten bekommen, weil eben Eltern gebärden, erwerben die Sprache. Das heißt, das ist ein natürlicher Zugang zur Sprache und ja, ich bin mit Gebärdensprache aufgewachsen und bin bilingual deutsch und österreichische Gebärdensprache aufgewachsen.
Die meisten Eltern, die gehörlos sind, wachsen aber nicht in einem gebärdensprachigen Umfeld auf, weil ja nur fünf Prozent selbst gehörlos auch gehörlose Kinder kriegen. Da haben alle anderen 95 Prozent, die gehörlos sind, hörende Eltern. Das heißt, die meisten Menschen, die gehörlos sind, haben hörende Verwandte und können zu Hause Gebärdensprache nicht anwenden, weil weder die Verwandten, die Geschwister, die Eltern, Gebärdensprache können und in der Situation ist es oft schwierig, wenn dann die Kinder auch hören, dass dann Gebärdensprache trotzdem angewendet wird, das heißt, ich plädiere dafür, dass gehörlose Eltern mit ihren Kindern, egal ob sie hören oder gehörlos sind, Gebärdensprache als Erstsprache verwenden sollen, weil dann die Kommunikation besser funktioniert und auch die Verständigung zwischen den Eltern und den Kindern reibungsloser ist.
Katharina Müllebner: Wie hat Sie die Gehörlosigkeit Ihrer Eltern in Ihrer Entwicklung beeinflusst?
Isabella Rausch: Also die Gehörlosigkeit meiner Eltern war mir in jüngeren Jahren nicht bewusst und es waren meine Eltern und darüber habe ich nicht nachgedacht, ob sie gehörlos sind oder nicht. Ich habe auch den Unterschied zwischen gehörlosen und nicht-gehörlosen Menschen nicht verstanden. Mit dem Eintritt in die Schule ist es mir dann klargeworden, dass das was ich zu Hause erlebe, eine Seltenheit ist und dass die meisten Kinder in meiner Schule, also ich war die einzige, hörende Eltern haben. Das heißt, ich kannte es gar nicht, wie es ist, mit hörenden Eltern zu leben.
Die Gehörlosigkeit per se war für mich das Problem würde ich sagen weniger, sondern wie die Menschen damit umgegangen sind. Das heißt, innerhalb meiner Familie waren meine Eltern beide die einzigen gehörlosen Menschen. Alle anderen Verwandten sind hörende Menschen und im Umgang mit meinen gehörlosen Eltern habe ich beobachtet, wieviel nicht funktioniert. Das heißt, die Gehörlosigkeit selbst war nicht das Problem, sondern wie die Menschen/ das Umfeld mit meinen Eltern und der Gehörlosigkeit meiner Eltern umgegangen ist.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Gebärdensprach-Dolmetscherinnen und -Dolmetscher leisten einen zentralen Beitrag zur Inklusion gehörloser Menschen. Sie übersetzen Lautsprache in Gebärdensprache und umgekehrt. Mit ihrer Arbeit ermöglichen sie gehörlosen Menschen eine Teilhabe in einer Gesellschaft, die meist nur Lautsprache spricht. Sie dolmetschen nicht nur im Falle unserer Radiosendung, sondern seit vielen Jahren auch bei öffentlichen Veranstaltungen, übersetzen Fernsehsendungen und vielem mehr. Sabine Zeller ist seit vielen Jahren selbstständige Dolmetscherin. Sie stellt uns ihren Beruf vor und erklärt uns, wie Gebärdensprachdolmetschen funktioniert.
Warum haben Sie sich entschieden, Gebärdensprach-Dolmetscherin zu werden?
Sabine Zeller: Zum einen bin ich Kind gehörloser Eltern. Das heißt, ich bin eine CODA. Für mich war immer klar, mit Gebärdensprache etwas zu tun, wobei mein Kindheitswunsch immer war, Lehrerin zu werden und das war auch mein Erstberuf. Ich war Lehrerin für gehörlose Menschen. Für gehörlose Kinder und habe das auch 14 Jahre lang praktiziert. Pädagogin bin ich nach wie vor noch und das liegt mir sehr am Herzen und Gebärdensprach-Dolmetschen war zu meiner Zeit, als ich noch Kind war überhaupt nicht üblich. Es gab keine Dolmetscherinnen. Das Dolmetschen kam erst und als CODA kam ich auch immer wieder in Situationen, wo ich gedolmetscht habe, ohne zu wissen, was ich da tue, ohne zu wissen, wie man es richtig tut und habe dann die erste Chance genützt, wo ich eine Ausbildung zur Gebärdensprach-Dolmetscherin machen konnte.
Katharina Müllebner: Wie funktioniert das Gebärdensprach-Dolmetschen?
Sabine Zeller: Beim Gebärdensprach-Dolmetschen gibt es zwei Richtungen. Die Person, die hört, spricht. Und ich höre zu und versuche, das Gesprochene in Gebärden zu dolmetschen oder die gehörlose Person gebärdet, dann sollen es hörende Menschen verstehen und ich spreche das, was gebärdet wird.
Katharina Müllebner: Wie lange benötigt man, um Gebärdensprach- Dolmetschen gut zu beherrschen?
Sabine Zeller: Voraussetzung ist natürlich, dass man die Gebärdensprache gut beherrscht. Dafür braucht man schon einige Jahre. Und dass man Gebärdensprach-Dolmetschen gut beherrscht, ist einerseits die Ausbildung, die mindestens drei Jahre dauert und dann ist es in erster Linie sehr viel Übung, dass man es sehr gut kann. Die Ausbildung für Gebärdensprach-Dolmetscherinnen ist derzeit in Österreich auf unterschiedlichste Art und Weise möglich. Zum einen kann man dieses Fach an der Universität Graz studieren. Das ist ein Vollzeitstudium.
Zum Anderen kann man Gebärdensprach-Dolmetschen auch als Fachausbildung in Linz absolvieren und der dritte Weg ist, dass jemand schon sehr gut Gebärdensprache beherrscht. Das ist Voraussetzung und dann nur mehr das Werkzeug für das Dolmetschen in die Hand bekommt und dieses ist berufsbegleitend und ein Angebot, dass von unserem Dolmetsch-Verband, dem österreichischen Gebärdensprach- Dolmetscherinnen-Verband, angeboten wird.
Katharina Müllebner: Was ist der schwierigste Aspekt beim Dolmetschen?
Sabine Zeller: Das Dolmetschen ist eine sehr vielschichtige Tätigkeit. Die Herausforderung ist sicherlich, dass wir in sehr unterschiedlichsten Situationen arbeiten und mit sehr vielen verschiedensten Menschen zu tun haben.
Auf der einen Seite ist da immer diese hörende Person oder die hörenden Personen und auf der anderen Seite sind gehörlose Personen und unsere Aufgabe ist es für beide Seiten, für beide Gesprächspartnerinnen, dem jeweils anderen zugängig zu machen, was der andere gesagt hat und dieses zugängig machen bedeutet, wenn jemand sehr aggressiv spricht, dann soll das gehörlose Person, die ja diesen aggressiven Ton nicht hört. Sie muss es sehen und umgekehrt, die gehörlose Person, die vielleicht sehr poetisch gebärdet, sehr klein gebärdet und vielleicht fast flüstert, dass ich das wiederum der hörenden Person vermitteln kann. Und ich glaube, das ist diese große Herausforderung, dass man am Punkt ist beim Dolmetschen, dem jeweils anderen, die Person, was sie ausdrücken möchte plus der Charakter der Person, dass man das mittransportiert.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Gebärdensprache ist ein Teil der sprachlichen Vielfalt dieser Welt. Sie ist wichtig für die Identität und die Kultur gehörloser Menschen. Gebärdensprach-Dolmetscherinnen und –Dolmetscher sind sehr wichtig dafür, dass gehörlose Menschen an der überwiegend hörenden Welt teilhaben können. Gebärdensprachen sind interessant und vielfältig. Es lohnt sich also einen Blick darauf zu werfen.
Das war „Gebärdensprachen – Sprachkultur und Inklusion“ aus der BIZEPS-Sendereihe „barrierefrei aufgerollt“.
Alle Informationen zu dieser Sendung finden Sie auf unserer Internetseite barrierefrei-aufgerollt.at/sendung7.
Diese Sendereihe ist auf Radio ORANGE 94.0 zu hören.
Redaktion: Martin Ladstätter und Katharina Müllebner
Technik: Markus Ladstätter
[Musik barrierefrei aufgerollt] Musik mit Text: barrierefrei aufgerollt – kurz, kompakt und leicht verständlich
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