Eine Frau im Rollstuhl ist beim Einkaufen. Ein anderer Kunde bleibt stehen, sieht sie mitleidig an und sagt: „Das ist ja furchtbar, was Sie alles durchmachen!“
Ein gehörloser Mann erzählt einem nichtbehinderten Publikum, dass er studiert hat. Ein Zuhörer kommt daraufhin auf ihn zu und sagt: „Unglaublich, was Sie alles erreicht haben, großartige Menschen wie Sie sind eine Inspiration!“
Diese Beispiele sind Formen von Ableismus. Was das ist und wie es sich im Alltag von Menschen mit Behinderungen auswirkt – darüber sprechen die Bildungswissenschaftlerin und BIZEPS-Mitarbeiterin Katharina Müllebner und die Kulturwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Disability Studies Katharina Steiner.
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Wien: Auf Radio ORANGE am 3. April 2022 um 10:30 Uhr. Die Sendung kann auch auf o94.at live gehört werden. Die Wiederholung gibt es am 17. April 2022 um 10:30 Uhr.
St. Pölten: Im campus & city Radio am 14. April 2022 um 17 Uhr. Die Sendung kann auf cr944.at live gehört werden.
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Die Sendung zum Nachlesen
[Musik mit Text: barrierefrei aufgerollt – kompakt und leicht verständlich]
Markus Ladstätter: Herzlich willkommen, bei barrierefrei aufgerollt. Dieses Mal moderiere ich, Markus Ladstätter. Da meine Kollegin Katharina Müllebner als Gesprächsteilnehmerin zu hören sein wird. ES geht in dieser Sendung um den sogenannten Ableismus, der Abwertung von behinderten Menschen aufgrund von Vorurteilen und wie sich das gesellschaftlich auswirkt. Darüber diskutieren meine Kollegin Müllebner und Katharina Steiner, Kulturwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Disability Studies.
Katharina Müllebner: Danke, Markus, Hallo Katharina Steiner. Schön, dass Sie das sind.
Wenn wir in die Diskussion einsteigen, möchte ich zunächst mit einem eigenen Ableismus Beispiel aus meinem Alltag beginnen: Als ich noch studierte habe, habe ich mit einer Kollegin zusammen eine Arbeitsaufgabe gemacht. Das ist erst Mal nichts ungewöhnliches und Teil des Studienalltags.
Ungewöhnlich war allerdings die Reaktion der Kollegin, denn sie hat mich gelobt. Und das Ganze nicht nur einmal, sondern ganz ganz oft und hat immer wieder betont, wie klug ich doch bin und wie außergewöhnlich es ist, dass ich studiere.
Und das ist sozusagen mein Ableismus Beispiel, weil damit, dass sie etwas völlig Normales, was ich gemacht habe, überhöht dargestellt hat und mich dafür gelobt hat, hat sie eine Unsicherheit ausgedrückt in Bezug auf mich.
Und das ist etwas, was behinderte Menschen ziemlich häufig erleben, aus meiner Erfahrung und aus Erfahrung meiner Kollegen, dass halt ständig so etwas gesagt wird, wie „toll, dass Du das trotzdem machst“, „toll, dass Du trotzdem ausgehst“, „toll, dass Du trotzdem zum Friseur gehst“.
Und Ableismus ist halt für mich, wenn Menschen bestimmte Vorstellungen haben, auf die Fähigkeiten einer Personengruppe bezogen, z.B. ein Mensch sollte das und das können und wer das nicht kann, wird eben als abweichend wahrgenommen. Das führt zu seltsamen Reaktionen im Alltag oder auch im schlimmsten Fall zu Diskriminierung. Wie sehen Sie das, Katharina Steiner und wo ist Ihnen das schon mal begegnet?
Katharina Steiner: Danke für die Einladung zunächst einmal. Ich kann das nur bekräftigen, wobei Ableismus kann sich in sehr vielen Formen zeigen. Es kann sich, wie Sie sagen eben in Überbetonung zeigen, wie zum Beispiel „Ach wie toll Sie das machen“, oder so, trotz Rollstuhlfahrer und trotz Blindheit rausgehen oder zur Schule gehen. Wie toll das doch ist. Diese Überbetonung auf die Behinderung. Es kann sich auch zeigen in der Reduktion, z.B. wie man auf die Behinderung reduziert wird.
Mir persönlich ist es passiert 2013. Ich war in Amerika und komme zurück von Amerika und war sehr selbstbewusst und sehr selbstsicher und voller Motivation und Elan.
Und war wieder zurück in Graz und habe auf die Straßenbahn gewartet und auf einmal kam eine alte Frau und sagt: „Na, wie schlimm, im Rollstuhl, im Rollwagerl landen, na, so möchte ich nie enden. Aber eh gut, dass es so etwas gibt.“
Und dann wurde mir klar, dass der Rollstuhl als etwas sehr Schlimmes dargestellt wird. Also als ein Defizit. Und dass ich einfach auf die Behinderung als etwas Negatives hingewiesen wurde.
Dass die Einschränkungen deutlich gemacht wurden und nicht die Fähigkeiten, die ich trotzdem habe, die ich mit Behinderung habe. Und das war schon sehr ableistisch und sehr abwertend und nicht sehr ermutigend, sondern eher traurig und erschreckend gesellschaftlich gesehen.
Und das zeigt eben auch, wie viele Kommentare das sein können, auch so niederschwellige Kommentare. Das können auch Strukturen sein, wie zum Beispiel fehlende Dolmetscher für Gebärdensprache oder fehlende Rampen, die auch diskriminierend sind, die auch strukturell ableistisch sind.
Ableismus ist auch oft mehr als nur Behindertenfeindlichkeit, es verweist auch auf die Strukturen dahinter. Und das kann sich an ganz vielen Beispielen zeigen.
Markus Ladstätter: Ableismus betreffend, warum glauben Sie, gibt es Ableismus in unserer Gesellschaft überhaupt? Und welchen Zweck, wenn man das so sagen kann, dient der überhaupt?
Katharina Steiner: Einerseits, also Danke.. einerseits verweist er einfach auf Differenzen. Und Differenzen sind ja generell nicht so schlecht. Aber die Wertung dahinter ist dann eben problematisch. Und warum es ihn gibt, das ist eine gute Frage. Und das ist ähnlich wie bei Rassismus zum Beispiel auch. Diese Differenzierung mit Wertung, mit negativer Wertung in der Regel. Das verweist auch auf Machtstrukturen.
Menschen ohne Behinderung sehen sich als mächtiger und sind in der Gesellschaft oft bevorzugt, haben mehr Chancen und es ist viel leichter, die auf diese Art bestehenden Machtstrukturen so belassen und diese auch eben zu bestärken als sie aufzubrechen.
Da gibt es noch Parallelen zu Rassismus oder zu Sexismus. Dass da eben bestehende Strukturen bestärkt werden. Und das sind zum Teil auch Kommentare und unbewusste Handlungen, durch Kommentare, durch Handlungen, durch Strukturen eben.
Katharina Müllebner: Ja, ich glaube auch, dass es teilweise eine unbewusste Geschichte ist, dass es die Leute nicht absichtlich machen. Zum Beispiel diese scheinbar übertriebenen positiven Reaktionen.
Dass die auch aus einer Unsicherheit heraus entstehen, dass man einfach nicht gewohnt ist, mit Menschen mit Behinderung zu interagieren, weil eben Inklusion immer noch leider nicht Standard ist.
Und dass man sich aber diese Unsicherheit nicht anmerken lassen will, weil es nicht gesellschaftlich angesehen ist, dass mich behinderte Menschen unsicher machen. Daher muss ich das mit etwas scheinbar Positivem überspielen.
Ich muss den loben, ich muss irgendwas machen, aber dadurch wird diese Desinteraktion erst komisch.
Was Sie auch gesagt haben, dieses Strukturelle, dass die Strukturen immer an der nichtbehinderten Mehrheitsgesellschaft ausgerichtet sind und Menschen mit Behinderungen immer erst nachher leider mitbedacht werden, wenn überhaupt.
Katharina Steiner: Und wir wachsen ja auch mit diesen Strukturen auf und verinnerlichen diese Strukturen auch und wenn wir immer wieder hören und immer wieder erfahren, dass Behinderung etwas Schlechtes ist, das es aufzuheben gilt, zu korrigieren gilt, dann verinnerlichen wir das auch irgendwie.
Und wenn wir immer wieder hören, dass es ein Aufwand ist, wenn man jetzt eben für Rollstuhlfahrer extra die Rampe raus machen muss bei der Straßenbahn oder beim Bus. Dass dann der Busfahrer extra aufstehen muss, da ist dann auch eine gewisse Scham und dass man sich als Belastung empfindet und das merken wir uns einfach auch als Menschen und das macht es dann auch nicht gerade leicht, diese Struktur da auszubrechen. Genau.
Katharina Müllebner: Ganz genau, das ist dieser eigene verinnerlichte Ableismus, den man eben dadurch hat, weil einem dauernd vermittelt wird, dass man nicht hineinpasst. Man wird operiert, weil der Körper nicht passt. Leute, die mit einem zu tun haben, werden übertrieben gelobt. Meine Mutter wurde immer gelobt, was für eine Herausforderung das mit mir ist und dann kriegt man das auch selber mit.
Man passt nicht rein und dann ist man auch selber in Gefahr ableistisch zu werden, indem man sich zum Beispiel von Anderen abgrenzt. Ganz typische Sachen, sind bei mir zum Beispiel, dass ich, wenn mir Jemand erzählt, dass Jemand blind ist, dass ich sage: Ja, blind sein, das könnte ich mir gar nicht vorstellen. Also ich bewerte die Behinderung, obwohl ich gar keine Ahnung davon habe, wie der sich eigentlich fühlt.
Katharina Steiner: Genau, oder was ich auch kenne, ist eben, dass ich bewusst auf Sachen verzichte, damit andere Menschen keinen Umweg für mich machen müssen. Da sag ich zum Beispiel: „Sorry, ich mache das schon. Ich komme dann nach“, damit nicht alle einen Umweg gehen müssen oder so, oder dass wir, dass man eben vorgreift und sich eben bewusst andere Wege sucht.
Katharina Müllebner: Oder dass man sich überschwänglich bedankt, wenn der jetzt die Rampe auspackt, bei dem Bus. Ja, weil man halt glaubt, dass das was… dabei müsste das selbstverständlich sein. Also ja..
Katharina Steiner: Genau, und ganz, ganz oft sind dann eben auch so Folgen wie Selbstzweifel oder Selbstunterschätzung auch, weil man sich das nicht zutraut eben. Weil man immer wieder von außen hört, „Ja, Menschen mit Behinderungen können das ja gar nicht machen.“ „Und es geht doch gar nicht.“ „Oder, wie kannst du nur daran denken“ oder „sei doch dankbar, für das was du machst.“ Oder „Sei doch dankbar, für das, was du eh kannst.“ Anstatt dass man sagt: Ich möchte deine Fähigkeiten fördern und ich möchte dich als Person einfach auch sehen. Oder als Mensch eben wahrnehmen.
Markus Ladstätter: Also Katharina, du hast ja vorher das Beispiel erwähnt, dass du das selbst vergleichst mit anderen Behinderungen. Wie gehst du denn damit um, wenn du selbst merkst, dass du eigentlich ableistisch denkst?
Katharina Müllebner: Das ist schon mal der erste Schritt, dass man es überhaupt merkt, dass man ableistisch denkt, das kann sehr schwer sein. Weil eben für mich die Ursache darin liegt, wenn man behindert ist, bekommt man von Anfang an mit, irgendwas passt nicht, man muss operiert werden vielleicht, man muss, es ist nichts selbstverständlich, man muss beweisen, dass man in eine Integrationsschule kann, dass man keinen ASO-Lehrplan braucht. Man muss sich ständig beweisen.
Und aus dem Grund, dass man sich ständig beweisen muss, muss man sich auch ständig zu anderen abgrenzen, die weniger können, weil man sagt, die können ja weniger und ich kann mehr, deswegen passe ich da rein. Es ist so ein etwas stellenweise Unbewusstes und der erste Schritt, dass man das erkennt. Man muss es erst einmal erkennen, dass solche Sachen, wie wenn ich zum Beispiel sage: „Blind sein, könnte ich mir gar nicht vorstellen.“ Da muss man das erst erkennen, dass das ableistisch ist, weil ich nehme etwas von Blindheit an, was ich eigentlich gar nicht annehmen kann, weil ich nicht weiß, wie das ist.
Markus Ladstätter: Also geht es eigentlich, um das unterbewusste Weitertragen dieser internalisierten Verhaltensweisen.
Katharina Müllebner: Genau, dass man diesen bewusst wird und dass man bewusst sich reflektiert. Wie redet man als Behinderter selbst über andere Menschen mit Behinderungen? Dass man sich ganz genau anschaut, wie man reagiert, wie..
Es kann einem auch passieren, dass Einem, wenn man eine Behinderung nicht gewohnt ist, dass man dann selber unsicher reagiert, obwohl man doch selber behindert ist. Und dass man eben diesen Reaktionen nachspürt und ganz genau schaut, wie reagiere ich drauf? Wie gehe ich damit um? Was wäre besser? Das verlangt sehr viel an Selbstreflexion.
Wir werden nie ganz unableistisch sein, sage ich mal leider, weil das halt irgendwie auch die Gesellschaft uns aufzwingt, fast schon unbewusst.
Aber wichtig ist, dass man den Reaktionen aufspürt.
Und ja, und ganz wichtig ist eben auch Inklusion, dass Ableismus weniger wird, wenn die Gesellschaft offener wird für die Vielfalt von Andersartigkeit oder Behinderungen. Dann ist es auch nicht so ein Problem, weil dann ist es nichts mehr Neues, einen Menschen im Rollstuhl zu sehen oder einen Menschen mit einer schweren Mehrfach-Behinderung zu sehen, weil wir in der Mitte der Gesellschaft sind. Da muss ich auch nicht mehr.. oder wie sehen Sie das, Frau Steiner?
Katharina Steiner: Ganz gleich wie Sie. Ich finde auch Reflektion sehr wichtig. Aber auch der Austausch ist sehr wichtig und da auch der Austausch unter behinderten Menschen mit Menschen mit Behinderung.
Und da auch einfach zu fragen, okay, wie machst du das, wie lebst du? Ganz neutral zu fragen, erzähl mir doch von deiner Welt, erzähl mir doch von deinem Alltag und nicht gleich so wertende Kommentare.
Es passiert ziemlich leicht, dann rutschen solche Muster raus, aber einfach zu versuchen, möglichst wertfrei zu fragen und zuzuhören, in den Dialog zu treten, in den Austausch zu treten.
Und da kann man voneinander auch sehr viel lernen. Und auch sehr viel, ja, sehr viel lernen und mitnehmen und nach und nach auch viele, viele Hürden und Barrieren im Kopf auch abbauen und offener werden. Das gilt für Menschen mit Behinderung, und Menschen ohne Behinderung. Das ist für alle wichtig.
Markus Ladstätter: Wenn ich Sie noch mal zusammenfassen darf, dann hätte ich das so verstanden, dass Sie meinen, dass man selbst immer irgendwie wertend gegenüber anderen handelt, aber dass man sich seiner Wertungen einfach bewusst sein soll und darüber reflektieren muss.
Katharina Steiner: Also zumindest versuchen muss. Ja. Also man muss aber, ja… ich mein, es klingt so hart und so fordernd, aber dass es durchaus einen Versuch wert ist, eben sich auf Augenhöhe zu begegnen und versuchen zu reflektieren. Genau.
Markus Ladstätter: Frau Steiner, Sie haben vorher schon mal kurz erwähnt den Vergleich mit Sexismus und Rassismus. Inwiefern gibt’s da, oder inwiefern sehen Sie da Parallelen zu Ableismus?
Katharina Steiner: Bei allen drei Kategorien gibt es existierende Machtstrukturen. Das heißt eben, dass gewisse Formen in unserer Gesellschaft anerkannt sind und manche weniger anerkannt sind.
Bei Sexismus zum Beispiel, sind Männer nach wie vor mehr anerkannt als Frauen. Frauen lassen sich oft mehr gefallen, müssen sich mehr gefallen lassen in der Gesellschaft. Und ähnlich ist es auch bei Menschen mit Behinderungen.
Bei Rassismus gibt auch noch marginalisierte Gruppen, sprich Gruppen, die einer Minderheit angehören, die nicht so vertreten sind in der Gesellschaft, z.B. Menschen mit dunkler Hautfarbe oder auch einer anderen Religion. Und die müssen sich einfach noch mehr gefallen lassen und sich gewissen Machtgefällen und Machtstrukturen unterwerfen. Das heißt, sie müssen sich Kommentare gefallen lassen, erfahren Ungleichheiten, erfahren Diskriminierungen. Und das ist eben ähnlich wie bei Menschen mit Behinderungen. Da gibt es eben gewisse Chancenungleichheiten bei allen drei Kategorien.
Katharina Müllebner: Ja, diese Strukturen, die halt dahinterstecken, dass wir gewisse Menschen… wir haben Vorstellungen, was ist männlich, was ist weiblich. Wir haben Vorstellungen, was gehört in eine bestimmte Kultur und was nicht.
Und das beeinflusst ganz massiv, wie wir Menschen bewerten. Und das kann halt im schlimmsten Fall zu einer nicht-neutralen Bewertung führen.
Diese negativen Bilder, die mit Dingen verknüpft sind, wie zum Beispiel, dass regelmäßig, wenn in der Berichterstattung von Kriminalität die Rede ist, oft hervorgehoben wird, derjenige hat eine psychische Behinderung oder derjenige ist Ausländer. Das erzeugt gewisse Bilder im Kopf, wie dass man das mit Negativem verknüpft.
Und dahinter stecken Machtstrukturen, wie Frau Steiner eben gesagt hat, dass die Mehrheitsgruppe sich gegenüber Minderheiten abgrenzt, mit bestimmten Vorstellungen, teilweise bewusst und teilweise unbewusst.
In der Politik passiert das zum Beispiel bewusst, dass bewusst eingesetzt wird von manchen Parteien, das Bild des Ausländers als verunsichernd, gefährlich. Das wird bewusst eingesetzt. Da wird bewusst Diskriminierung eingesetzt oder das Bild eines Behinderten als schwach, hilfsbedürftig, sodass man sich keine Gedanken machen muss um deren Inklusion, weil, es ist ja besser, wenn sie nicht inkludiert sind. Das kann auch ein bewusst eingesetzter Machtmechanismus sein. Es passiert nicht immer alles unbewusst.
Katharina Steiner: Genau, wenn ich vielleicht etwas ergänzen darf. Und gerade bei Menschen mit Behinderungen gibt es oft so zwei Kategorien, die vorherrschen. Das Bild des Opfers, das arme Hascherl, der arme Mensch mit Behinderungen, der arme Rollstuhlfahrer oder Mensch im Rollwagerl, der nichts kann. Das arme Opfer.
Und dem gegenüber steht dann eben der Held und die Heldin, die trotz Gehbehinderung oder trotz Rollstuhlfahrer sein arbeiten gehen kann, Familie hat, einkaufen geht, diese zwei Bilder werden bewusst oder teilweise unbewusst reproduziert, also wieder und wieder belebt und immer wieder in der Gesellschaft weitergetragen.
Katharina Müllebner: Ja, da wird doch uns ein gewisses leistungsorientiertes Denken so aufgedrückt, wenn Einem ständig Menschen mit Behinderung vorgehalten werden, die das und das erreichen und dann und nur dann bekommst du in der Gesellschaft Aufmerksamkeit, wenn du besonders erfolgreich bist. Es reicht nicht, wenn du einfach normal dein Leben lebst, du musst irgendwas Außergewöhnliches machen damit du überhaupt wahrgenommen wirst.
Und natürlich sind wir dann in ableistischen Mustern drin, weil natürlich bewerten wir ständig unsere Leistung, bewerten wir ständig die Leistung von anderen, weil es ja irgendwie von uns – verlangt, kann man nicht sagen, aber so ein unterschwelliges von uns Verlangen ist.
Katharina Steiner: Genau. Ja.
Markus Ladstätter: Wenn ich jetzt der Diskussion soweit folge, hätte ich das jetzt für mich so verstanden, dass Ableismus sehr viel mit Denkmustern zu tun hat.
Aber wenn Sie vielleicht noch mal auf die Fragen eingehen könnten, wenn ich jetzt an Sexismus und Rassismus denke, die ja oft sehr offen zur Schau gestellt werden. Ist Ableismus nur quasi ein verdecktes Verhaltensmuster oder kann es auch offen zur Schau getragen werden?
Katharina Steiner: Ableismus kann eben ganz viele Formen annehmen. Er kann eben offen zur Schau gestellt werden, es kann aber eben auch durch Kommentare passieren, es kann aber auch durch fehlende Infrastruktur passieren. Weil Ableismus ist mehr als nur Behindertenfeindlichkeit.
Es zeigt auch die Strukturen dahinter auf, die Praxen dahinter, die diskriminierendes Verhalten ermöglichen und diese Praxen ermöglichen. Ableismus kann eben sein, wie gesagt, Kommentare, kann aber auch sein abwertende Blicke, Benachteiligung gegenüber Menschen mit Behinderungen.
Es kann auch allgemeine Chancenungleichheit sein, das ist ein sehr breiter Begriff, den man einfach sehr breit auffassen kann und der sich im Alltag eben auch ganz stark zeigt durch verschiedenste Situationen im Alltag.
Eben durch Kommentare wie: „Toll, dass du trotz Behinderung rausgehst.“ Oder Kommentare wie, “Na, so möchte ich nie enden“, oder aber eben auch durch fehlende Gelder für Gebärdensprachdolmetscher, oder eben auch durch Scham und Selbstzweifel, die einfach verinnerlicht worden sind. Diese Gefühle aufgrund der Behinderung, dass ich mich selbst als Belastung empfinde, weil ich eine Behinderung habe und die Gesellschaft nicht barrierefrei die Umwelt gestaltet. Und weil ich dann eben da den Busfahrer fragen muss, ob er die Rampe rausmacht und dass ich dafür Scham empfinde oder Schuld empfinde. Das sind alles Zeichen für Ableismus.
Markus Ladstätter: Kann man das dann so verstehen, dass jede Form der Diskriminierung gegenüber behinderten Menschen gleich Ableismus ist, ist das gleichzustellen?
Katharina Steiner: Ja und nein. Ja, weil jeder… Also Ableismus ist mehr als nur… Aber ja, eigentlich ja. Kurz gefasst: Eigentlich ja. Ja, so könnte man es auch sehen. Wie sehen Sie das?
Katharina Müllebner: Ich sehe, dieser Ableismus ist das strukturelle Baugerüst hinter diskriminierenden Handlungen. Aufgrund, dass wir Behinderung anders bewerten, dass wir schlechter bewerten, kann es zu diskriminierenden Handlungen kommen, kommt es sehr häufig zu diskriminierenden Handlungen.
Ich sehe es nicht unbedingt. Eine Diskriminierung ist für mich mehr was wie eine abgeschlossene Handlung. Aber Ableismus ist für mich persönlich das Baugerüst hinter Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen. Baugerüst, wenn man so etwas sagen kann.
Es ist, ja, selber eigentlich keine, obwohl es selber auch irgendwie, da haben Sie schon recht, dieses Denken, dass Menschen mit Behinderungen automatisch anders sind, ist ja auch schon eine Form von Diskriminierung.
Aber es ist eine Struktur, die zu Diskriminierung führt, die zu diskriminierenden Handlungen begünstigt. Wenn es diese Struktur nicht gäbe, gäbe es weniger diskriminierende Handlungen gegen behinderte Menschen.
Katharina Steiner: Würden Sie sagen, dass diskriminierende Handlungen, die Strukturen dahinter sichtbar machen? Also dass zum Beispiel durch gewisse Kommentare oder gewisse abwertende Kommentare, die diskriminierenden oder die Strukturen dahinter sichtbar werden? Die gesellschaftlichen Strukturen?
Katharina Müllebner: Da scheinen ableistische Strukturen durch. Schon wenn du hörst, zum Beispiel das, was Sie gehört haben, ist ein ganz typisches Beispiel: Oh, Sie tun mir so leid. Dieses: Sie tun mir so leid, sagt, Behinderung ist etwas Furchtbares. Das muss weg. Das möchte ich nicht haben.
Und da scheint die ableistische Struktur durch. Oder dieses: Du bist so toll, weil du was ganz was Alltägliches, da scheint auch durch, du kannst es ja nicht. Ein Wunder, dass du das kannst, aber du kannst es eigentlich nicht, weil behinderte Menschen können nichts. Da scheint hinter diesen diskriminierenden Handlungen eindeutig Ableismus durch.
Es ist sozusagen, wie wenn er sich dauernd verkleiden würde in einem anderen Kostüm, entweder in einem Lob oder in einem, wirklich in einem diskriminierenden Kommentar, dass du wirklich abgewertet wirst: Du kannst es doch nicht, bleib zu Hause. Wie wenn gesagt wird, behinderte Menschen dürfen hier nicht rein. Oder für die paar Rollis machen wir doch keine Barrierefreiheit. Da scheint Ableismus durch. Wir sind es nicht wert, wir sind anders, da scheint es durch.
Markus Ladstätter: Gut. Sie haben jetzt Beide einige Beispiele für ableistisches Verhalten genannt und auch ein bisschen die Theorien erörtert, die dahinterstecken könnten. Welche Strategien können wir einsetzen, um Ableismus zu begegnen? Katharina.
Katharina Müllebner: Da gibt es, also die hauptwichtigste Strategie – und hier beißt sich die Katze in den Schwanz – wäre Inklusion. Warum beißt sich die Katze in den Schwanz?
Weil wir nur Inklusion kriegen, wenn wir das ableistische Denken überwinden und wir das ableistische Denken nur eindämmen können, wenn Menschen mit Behinderung endlich in der Mitte der Gesellschaft ankommen. Das ist ein großes Problem.
Im Kleinen können wir Ableismus durch Reflexion und durch Aufklärung bekämpfen, da sagen wir, dass wir ganz genau schauen, wie verwenden wir unsere Sprache? Wie bewerten wir uns selber? Warum bewerten wir Dinge bei uns selber schlecht, wenn wir selber eine Behinderung haben? Warum muss ich mich gegen andere abgrenzen? Inwiefern lasse ich mich von Bildern in den Medien verführen? Also Reflexion und Inklusion sind für mich gute Werkzeuge dagegen sozusagen.
Katharina Steiner: Dazu würde ich noch ergänzen, eben zur Reflexion und Inklusion, was ich super finde. Aber was ich noch eine ganz, ganz, ganz, ganz wichtige Baustelle finde, noch, den Dialog einfach auf der Straße, der möglichst wertneutrale Dialog auf Augenhöhe.
Dass man fragt: Wie machst du das? Oder auch neutral fragt: Kann ich dir was helfen? Wenn einer sagt, nein, dann passt das, ist okay. Und das aber auch so hinnehmen oder möglichst offen auf Menschen zugehen. Und den Dialog suchen. Genau, das ist auch ganz wichtig. Meiner Meinung nach ergänzend.
Markus Ladstätter: Ja, vielen Dank, Frau Steiner und vielen Dank Katharina! Das war eine sehr spannende Diskussion zum Thema Ableismus.
Die Diskussion hat gezeigt, dass Ableismus oft im Verborgenen wirkt, aber doch äußerst einflussreich ist, wenn es darum geht, wer in unserer Gesellschaft drinnen ist und wer draußen.
Wir alle können ableistisch sein, egal ob wir behindert oder nicht behindert sind. Wir alle haben Vorstellungen darüber, was normal ist und was nicht. Und diese Vorstellungen beeinflussen unser Handeln gegenüber Anderen, damit Ableismus nicht im Verborgenen bleibt, ist es wichtig, darüber zu reden.
Ich hoffe, die heutige Diskussion über Ableismus war für Sie liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ein Denkanstoß, über Ableismus in Ihrem eigenen Leben nachzudenken.
Alle Informationen zu dieser Sendung finden Sie auf unserer Internetseite www.barrierefrei-aufgerollt.at. Wie immer gibt es dort auch weiterführende Informationen zum Thema.
Wenn Sie das Thema von heute noch vertiefen wollen und über Diskriminierung nachdenken möchten, hören Sie doch in unsere Sendung 40 mit dem Titel: Was tun gegen Vorurteile, hinein. Es verabschiedet sich das Redaktionsteam Katharina Müllebener, Markus Ladstätter und Martin Ladstätter.
[Musik mit Text: barrierefrei aufgerollt – kompakt und leicht verständlich]