In dieser Sendung geht es um eine geplante Mission der Europäischen Weltraum Organisation ESA und um die Frage, ob Menschen mit Behinderungen daran teilnehmen können.
Zwischen 31. März und 18. Juni 2021 suchte die Europäische Weltraum Organisation ESA zum ersten Mal auch Personen mit einer körperlichen Behinderung. Ziel der ESA ist es, den Weltraum für alle Personen zugänglich zu machen.
Insgesamt haben sich 247 Personen mit einer Behinderung beworben. Im Jänner 2022 sind 29 davon in ein engeres Auswahlverfahren gekommen.
barrierefrei aufgerollt hat mit Rüdiger Seine, dem Leiter der Astronauten-Ausbildung des Europäischen Astronautenzentrums in Köln gesprochen.
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Interessante Links:
- Astronautinnen und Astronauten mit Behinderung gesucht
- ESA: Astronautinnen und Astronauten gesucht – Wer hat sich beworben?
- European Space Agency wählt Kandidatinnen und Kandidaten für die Weltraummission aus
- Internetseite der ESA
- Jährliche Pressekonferenz des Generaldirektors der ESA vom 18. Jänner 2022 (Englisch)
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Wien: Auf Radio ORANGE am 6. Februar 2022 um 10:30 Uhr. Die Sendung kann auf o94.at live gehört werden. Die Wiederholung gibt es am 20. Februar um 10:30 Uhr.
St. Pölten: Im Campus & City Radio am 10. Februar 2022 um 17 Uhr. Die Sendung kann auf cr944.at live gehört werden.
Graz: Im Radio Helsinki am 11. Februar 2022 um 17 Uhr. Die Sendung kann auch auf helsinki.at live gehört werden.
Salzburg: Auf Radiofabrik am 14. Februar 2022 um 18 Uhr. Die Sendung kann auch auf radiofabrik.at live gehört werden.
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Katharina Müllebner: Herzlich willkommen bei barrierefrei aufgerollt, der Sendung von BIZEPS, Zentrum für selbstbestimmtes Leben. Mein Name ist Katharina Müllebner. In dieser Sendung nimmt barrierefrei aufgerollt Sie mit in die unendlichen Weiten des Weltalls. Wollten Sie, als sie klein waren, Astronautin oder Astronaut werden? Ich persönlich kannte den Weltraum nur aus Science-Fiction-Filmen. Ins All fliegen können nur Leute, die körperlich besonders fit sind, dachte ich mir.
Doch zwischen 31. März und 18. Juni 2021 suchte die European Space Agency – kurz ESA – Astronautinnen oder Astronauten für künftige Missionen. Erstmalig wurden aber auch Personen mit einer körperlichen Behinderung gesucht.
Der Österreicher Josef Aschbacher ist seit 2021 Generaldirektor der European Space Agency. Im Rahmen seiner jährlichen Pressekonferenz im Januar 2022 äußerte er sich zum Programm der ESA für Menschen mit Behinderungen folgendermaßen: Die Para-Astronauten-Kampagne ist weltweit einzigartig. Wir wollen damit auch zeigen, dass der Weltraum nicht nur für eine Elite spezieller Piloten ist. Wir würden es gerne Leuten mit Behinderungen ermöglichen, in den Weltraum zu fliegen. Und das ist der Grund, warum wir das tun. Natürlich braucht es spezielle Nachforschungen und wahrscheinlich sind auch ein paar Anpassungen im Weltraum und auf dem Weg dorthin nötig. Und das ist genau das, was wir jetzt tun. Nachzuforschen, was es dazu braucht. Aber wir sind als ESA bestrebt, den Weltraum für jedermann zu öffnen.
Menschen mit Behinderung im All – könnte das tatsächlich bald Realität sein? Wir von barrierefrei aufgerollt wollten das genauer wissen und haben Rüdiger Seine, den Leiter der Astronautenausbildung des Europäischen Astronautenzentrums in Köln zu Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der European Space Agency befragt.
Insgesamt haben sich 257 Personen mit einer Behinderung aus den ESA-Mitgliedstaaten beworben. Zwei davon stammen aus Österreich. Wir wollten wissen, welche Aufgaben Menschen mit Behinderungen bei der ESA tatsächlich übernehmen können. Werden sie wirklich ins All fliegen können? Welche Voraussetzungen muss man mitbringen, um Astronautin oder Astronaut zu werden? Und wie soll herausgefunden werden, unter welchen Bedingungen eine Raumfahrt mit Behinderung möglich ist?
Wir entschuldigen uns dafür, dass die Audioqualität an ein paar Stellen nicht so gut ist. Nein, Rüdiger Seine war zum Zeitpunkt des Interviews nicht im Weltall, sondern in Deutschland in seinem Büro. Offenbar ist das deutsche Internet nicht ganz so gut. Wir wünschen ihn trotzdem viel Spaß bei der Sendung.
[Überleitungsmusik]Also wir sprechen heute mit Herrn Rüdiger Seine, dem Leiter der Astronautenausbildung des Europäischen Astronautenzentrums in Köln. Hallo Herr Seine.
Rüdiger Seine: Hallo Frau Müllebner.
Katharina Müllebner: Behinderungen in einer Stellenausschreibung der European Space Agency als Astronautinnen oder Astronauten. Das hat es noch nie gegeben. Wieso erhalten Menschen mit Behinderungen jetzt die Chance, da mitzumachen und ins All zu fliegen?
Rüdiger Seine: Ja, das ist im Wesentlichen für die Europäische Raumfahrtagentur ESA einfach jetzt mal an der Zeit, dass wir versuchen, unsere eigenen Möglichkeiten, die wir haben, als Raumfahrtagentur zu nutzen, um wirklich mehr Inklusivität möglich zu machen.
Die Europäische Raumfahrtagentur sucht ja im Moment vor allen Dingen erst mal jemanden, der uns hilft, den Flug eines Menschen mit einer körperlichen Einschränkung ins Weltall vorzubereiten.
Wir können noch nicht sagen, dass das klappen wird, aber wir wollen jetzt mal unsere Bemühungen zur Inklusivität erhöhen, um das möglich zu machen. Denn im Zweifel ist eine körperliche Einschränkung auf der Erde keine Einschränkung, die im Weltall noch ins Gewicht fällt bei Schwerelosigkeit. Wir können im Moment noch keinen Raumflug anbieten, aber wir wollen den Weg ebnen in einem Projekt, das wir Para-Astronaut- Projekt nennen, damit Menschen mit einer körperlichen Einschränkungen dann auch im Weltall arbeiten können.
Katharina Müllebner: Bevor es mit dem Interview weiter geht, kommen wir kurz zu einer Erklärung. Was ist eigentlich die ESA?
Das Wort European Space Agency, kurz ESA, bedeutet auf Deutsch übersetzt Europäische Raumfahrtorganisation. Die ESA wurde 1975 gegründet. 22 Staaten sind bei der ESA Mitglied.
Das Ziel der Gründung war damals, die europäischen Raumfahrtaktivitäten besser zu koordinieren und eine eigene Raumfahrt gegenüber der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten zu entwickeln. Heute setzt sich die ESA dafür ein, dass die Erforschung des Weltraums allen zugutekommt. Die ESA baut Raketen und Satelliten und bildet Astronautinnen und Astronauten aus. Mithilfe der Satelliten überwacht die ESA sozusagen die Erde. Die sogenannten Erdbeobachtungs-Satelliten ermöglichen es, verschiedene Vorgänge wie zum Beispiel das Wetter oder den Klimawandel zu beobachten.
Auch sind Satelliten wichtig für alltägliche Technologien, wie zum Beispiel das Internet oder das Fernsehen. Ein weiteres Arbeitsfeld der ESA ist die Forschung. So widmen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der ESA verschiedenen Themen. Neben Forschungsgebieten wie zum Beispiel Astronomie oder der Forschung über die Planeten, beschäftigt man sich auch mit der Frage nach den Möglichkeiten eines Lebens im All. Ist es zum Beispiel möglich, Lebensmittel im All anzubauen oder könnte man auf dem Mars leben?
Was sind die Auswirkungen des Klimawandels? Diese und andere Fragen könnten durch die Erforschung des Weltalls beantwortet werden. Auch geht es natürlich darum, neue Teile des Weltalls zu entdecken.
Das sind nur einige der spannenden Aufgabenfelder, mit denen sich die ESA beschäftigt. Wie können Menschen mit Behinderungen ein Teil der Raumfahrtgeschichte werden? Dazu jetzt mehr.
An dieser Stelle frage ich noch mal nach: Was meinen Sie damit, dass eine Einschränkung, die auf der Erde eine Rolle spielt, im Weltall vielleicht gar keine Rolle spielt? Könnten Sie dafür ein Beispiel nennen oder kann man das jetzt noch nicht sagen?
Rüdiger Seine: Doch, dafür kann ich ein Beispiel nennen. Wenn Sie sich vorstellen, jemand hat eine Beeinträchtigung, die das Gehen schwer macht. Sie müssen ja in der Raumstation nicht gehen, sie schweben durch die Raumstation, also alles, was sozusagen die Beine betrifft, mit denen wir eigentlich auf der Raumstation nichts machen als Astronauten, ist gegebenenfalls in der Raumstation völlig ohne Belang.
Katharina Müllebner: Wie werden jetzt die Bedingungen ermittelt, unter denen Menschen mit Behinderungen ins All fliegen können?
Rüdiger Seine: Das ist sozusagen jetzt der spannende Teil des Prozesses. Wir haben ja als Europäer keine eigene Möglichkeit, in das Weltall zu kommen mit Menschen. Das heißt, wir sind angewiesen auf unsere Kollegen aus Russland oder auf die amerikanischen Kapseln, um zur Raumstation zu kommen. Und wir reden jetzt mit den Betreibern dieser Kapselsysteme, um herauszufinden, wo die Schwierigkeiten sind, an welchen Stellen gegebenenfalls Sicherheitsbedenken bestehen und was wir möglich machen können. Sprich, welche körperlichen Einschränkungen schwerwiegende Sicherheitsbeeinträchtigung geben, sodass ein sicherer Flug möglich wäre.
Katharina Müllebner: Also Sie wissen noch gar nicht, welche Art von Beeinträchtigung da ausgeschlossen ist. Gibt es beim Bewerbungsverfahren irgendwelche Einschränkungen, dass Sie sagen, diese Beeinträchtigung ist schon zu schwer oder wie ist das?
Rüdiger Seine: In der Tat, wir haben für dieses erste Verfahren und für dieses Pilotprojekt haben wir uns sehr stark eingegrenzt, sozusagen welche Beeinträchtigungen wir zulassen, und das sind im Wesentlichen Beeinträchtigungen der unteren Extremitäten, also der Füße, des unteren Beines und Kleinwüchsigkeit, geringere Körpergröße.
Das sind für uns sozusagen, um den Ansatz einfacher zu machen, Einschränkungen, die wir denken, über die man hinwegkommen kann bei dem Kapselsystem.
Selbstverständlich ist das noch keine tolle Ausweitung der Möglichkeiten, sehen wir auch so. Aber man muss irgendwo anfangen und wenn wir mit internationalen Partnern reden, ist es gut, zumindest schon mal einen definierten Umfang zu haben. Wir haben aber durchaus eine ganze Menge an Bewerbungen auch aus diesem Feld erhalten.
Katharina Müllebner: Also mein Kollege und ich sind Rollstuhlfahrer. Das würde wahrscheinlich nicht gehen, oder?
Rüdiger Seine: In der Tat, in diesem ersten Schritt wird Rollstuhlfahrern das nicht möglich sein, einfach weil zurzeit die Kapseln so eng gebaut sind, dass man, ohne die Beine gut bewegen zu können in irgendeiner Weise, kaum bis in die Kapsel kommt. Es sind auch immer im Moment noch größere Treppenanlagen und diese Türme, die sie neben den Raketen normalerweise stehen sehen, durch die die Astronauten in die Rakete kommen, die sind, weil sie schwere Belastung während des Starts aushalten müssen, sehr teuer.
Da kann man auch nicht sozusagen einfach mal einen Aufzug mit einbauen, wo der nicht vorgesehen ist. Also das müssen wir dann Schritt für Schritt aufweiten. Uns ist wichtig, dass wir den Anfang machen und mal versuchen, das insgesamt als Konzept zu etablieren und dann auch tatsächlich möglichst eine solche Mission fliegen können, wo dann der Teilnehmer auch zeigt, dass es eben nicht nur die Möglichkeit gibt zu fliegen, sondern dann auch wissenschaftliche Projekte durchzuführen und wie jeder andere Astronaut auch die gleiche Arbeit auf der Raumstation zu machen.
Katharina Müllebner: Jeder andere Astronaut, Sie sagen es: Welche Voraussetzungen muss man mitbringen, um Astronautin oder Astronaut werden zu können?
Rüdiger Seine: Die Voraussetzungen für Astronauten sind natürlich relativ hoch. Wir verlangen für die jetzt laufende Auswahlkampagne einen Hochschulabschluss in Naturwissenschaften oder Mathematik oder Ingenieurwissenschaften. Darüber hinaus sehr gute Englischkenntnisse, möglichst Erfahrung mit Auslandsaufenthalten, gute Kommunikationsfähigkeit.
Und noch eine ganze Reihe anderer Dinge. Es ist schon eine sehr anspruchsvolle Tätigkeit. Es ist aber andererseits in den körperlichen Voraussetzungen gar nicht so streng, wie die meisten Menschen sich das vorstellen.
Wir suchen als Astronauten nicht Superfrauen und Supermänner, sondern wir suchen eigentlich normal gesunde Individuen, die als Generalisten in der Lage sind, vieles zu lernen und sich auf viele Dinge einzustellen. Da glauben wir, dass Menschen mit körperlichen Einschränkungen vielleicht sogar besser gewappnet sind, weil sie gezwungen sind, sich häufig umzustellen und auf andere Dinge einzustellen, die für ganz gesunde Menschen schon schwierig einzugehen wären.
Katharina Müllebner: Also man braucht jetzt gar keine super sportlichen Fähigkeiten, was für körperliche Fähigkeiten braucht man genau?
Rüdiger Seine: Wie gesagt, im Wesentlichen braucht man einen gesunden, normal fitten Menschen. Wir haben keine hohen Anforderungen. Die Details kann ich Ihnen nicht nennen, aber Sie können davon ausgehen, normalerweise ein Mensch, der nach, sagen wir mal, zwei Kilometern Laufen, 500 Metern Schwimmen, nicht zusammenbricht, der ist für uns schon fit genug. Also eine normale körperliche Fitness, keine super Sportler. Im Gegenteil, Leistungssportler haben in der Regel nicht die richtige Konstitution für uns, sondern wir suchen schon wirklich normal fitte Menschen.
Katharina Müllebner: Welche Testverfahren muss man jetzt als angehende Astronautin oder angehender Astronaut durchlaufen? Wie wird es überprüft, ob man geeignet ist?
Rüdiger Seine: Die Tests sind relativ aufwendig. Unsere Testkampagne läuft über anderthalb Jahre. Das ist ein mehrstufiges Verfahren, wir haben schon bei der Bewerbung eine ganze Menge Informationen abgefragt. Auf Basis der Informationen haben wir dann die Teilnehmerzahl schon mal deutlich reduzieren können, weil gewisse Voraussetzungen nicht erfüllt waren.
Als nächster Schritt kommt eine psychologische und psycho-motorische Testung, die in einem computerisierten Verfahren durchgeführt wird. Das ist so etwas, was auch Airlinepiloten zum Beispiel durchlaufen oder Kampfpiloten von den Streitkräften durchlaufen. Das sind also sehr stark standardisierte Tests.
Danach gibt es eine zweite Runde psychologischer Testung und kommunikativer Testung. Und da bilden wir auch schon Gruppen und sehen uns an, wie Teamverhalten aussieht, wie Interaktivität aussieht. Und wenn man da durchgekommen ist, dann kommt man in die erste Runde unserer medizinischen Auswahl, wo dann eben die ersten Gesundheitstests durchgeführt werden.
Und darauf folgt ein weiteres Assessment Center, wo noch mal in Kleingruppen gearbeitet und beobachtet wird. Und abschließend dann noch mal Interviews, in denen die letzten Kandidaten dann aussortiert werden.
Katharina Müllebner: Und wie sieht jetzt das konkrete Training für eine Mission aus?
Rüdiger Seine: Das Missionstraining für die Astronauten ist etwa zwei Jahre lang und in den zwei Jahren lernen sie im Prinzip alle Fertigkeiten und alle Hintergründe, die sie brauchen. Das sind zum einen Vorbereitung auf den Flug mit der Rakete, dann aber auch die Wartung und Aufrechterhaltung des Raumschiffs ISS und natürlich unsere wissenschaftlichen Experimente, die die Astronauten für die Wissenschaftler auf der Erde dann durchführen sollen. Das sind im Wesentlichen die Kerninhalte.
Katharina Müllebner: Wie viele Menschen sollen jetzt mitfliegen auf die Mission?
Rüdiger Seine: Die Internationale Raumstation ist ja seit 20 Jahren permanent besetzt. Wir haben üblicherweise zwei Kapseln in der Internationalen Raumstation angedockt. Die Russen transportieren auf einem solchen Sojus-Flug drei Personen. Die Amerikaner mit der SpaceX-Kapsel vier Personen.
Wir haben also üblicherweise für den Halbjahreszeitraum, die ein Astronaut auf der Raumstation verbringt, sieben Personen in der Mission, aber beim Transport sind es dann eben nur drei oder vier, je nach Kapsel.
Katharina Müllebner: Sie haben nach behinderten Menschen gesucht. Wie viele BewerberInnen mit Behinderungen suchen Sie konkret?
Rüdiger Seine: Also wir planen einen Menschen mit Behinderung auszuwählen, eventuell noch einen zweiten als sozusagen Ersatzkandidaten. Es haben sich immerhin 260 beworben, die auf unsere Auswahlkriterien passen.
Es ist also schon ein relativ gutes Bewerberfeld. Wir sind da sehr froh, dass wir so viel Echo gehabt haben. Und jetzt läuft das Bewerbungsverfahren. Dann werden wir sehen, wie wir da rauskommen.
Katharina Müllebner: In welcher Phase des Bewerbungsverfahren befinden uns gerade? Die Bewerbung lief vom 31. März bis 18. Juni 2021. Wie weit sind Sie da jetzt?
Rüdiger Seine: Wir sind mit der mit der automatisierten Bewerbersortierung durch und befinden uns jetzt in der ersten Phase der psychologischen und psycho-motorischen Testung. Die wird jetzt bald abgeschlossen sein. Und dann gehen wir in die Phase mit den ersten Gruppenübungen, Interviews und Gesprächen.
Katharina Müllebner: Was passiert, wenn das Auswahlverfahren abgeschlossen ist?
Rüdiger Seine: Am Ende des Auswahlverfahrens wählt der Generaldirektor der Europäischen Raumfahrtagentur die erfolgreichen Kandidaten aus. Die werden eingestellt und gehen dann in ein etwa ein Jahr dauerndes Grundlagentraining, in dem wir erste Kenntnisse vermitteln und in dem wir die unterschiedlichen Einstiegskenntnisse, die die Leute mitbringen werden, angleichen, sodass sie dann ausgewählt werden können für eine Mission zur Internationalen Raumstation.
Katharina Müllebner: Es wird auch nach einem sogenannten Reserveteam gesucht, was macht dieses Reserveteam?
Rüdiger Seine: Das Reserveteam ist eine neue Einrichtung, die wir eingeführt haben, wir können ja aus dem großen Bewerberfeld nur sehr, sehr wenige Leute nehmen. Wir sprechen von vier bis sechs Astronauten. Die Auswahl ist, das haben Sie im Interview schon gemerkt, recht aufwendig.
Und wir wollen jetzt mit diesem Reserveteam die Möglichkeit vorhalten, dass, wenn zusätzliche Fluggelegenheiten sich ergeben, wir in der Lage sind, kurzfristig aus diesem Reserveteam noch nachrekrutieren zu können, die dann gegebenenfalls kurzfristig einspringen können, falls mal ein Astronaut ausfällt oder falls beispielsweise eines unserer Mitgliedsländer Interesse hätte, eine zusätzliche Mission fliegen zu wollen, um nationale Experimente mit mehr Möglichkeiten auszustatten.
Katharina Müllebner: Und was macht dieses Reserveteam, wenn es auf die Mission wartet? Es muss ja auch irgendwas machen auf der Erde, nehme ich an?
Rüdiger Seine: Ja, die Idee bei dem Reserveteam ist eigentlich, dass wir diese Leute gar nicht in die Europäische Raumfahrtagentur aufnehmen, sondern was passieren wird, ist, dass wir die Leute in ihren ursprünglichen Berufen belassen. Nur gelegentlich zu kleineren Trainingsgelegenheiten mit einladen und sie auch mit einladen, um die Raumfahrt in den Mitgliedstaaten bekannter zu machen.
Denn leider ist es immer noch so, dass zwar jeder in Europa von der NASA gehört hat, aber viele Menschen noch nie von der ESA, der Europäischen Raumfahrtagentur, gehört haben. Wir wollen dieses Reserveteam also auch ein bisschen als Botschafter für die europäische Raumfahrt einsetzen.
Katharina Müllebner: Jetzt stelle ich eine Frage von vorhin: Wenn ein Astronaut aufgrund einer Einschränkung Hilfsmittel benötigen würde, können die dann mitgenommen werden? Oder ginge das nicht?
Rüdiger Seine: Das muss man sicherlich für den Einzelfall sich ansehen. Wir haben schon gemerkt, dass es ausgesprochen schwer ist, körperliche Einschränkungen überhaupt in Kategorien zu pressen und deshalb muss das sicherlich individuell betrachtet werden. Im Prinzip kann man Dinge mitnehmen. Das muss man je nachdem sehen, um was es sich handelt, solange es sich um sozusagen passive Gegenstände handelt, sollte das relativ einfach sein. Alles was Motoren, Batterien und benötigt, ist sicherlich deutlich schwerer mitzunehmen.
Katharina Müllebner: Wir haben von einem sehr aufwendigen Test und Auswahlverfahren gesprochen. Muss ein Mensch mit Behinderung dieselben Testverfahren durchlaufen, oder wie ist das?
Rüdiger Seine: Ja, in der Tat, alles was sozusagen psychologische, intellektuelle, kommunikative, interaktive Testung ist, wurde für alle Bewerber gleich gehandhabt. Ganz offensichtlich werden wir an den medizinischen Tests entsprechend individuell anpassen müssen.
Natürlich wollen wir ausschließen, dass der Raumflug für die Bewerber ein Risiko darstellt, aber wir können andererseits nicht sozusagen nullachtfünfzehn das gleiche Muster durchführen, weil natürlich die körperliche Einschränkung an manchen Stellen eben ihre Konsequenzen hat und das Standardverfahren dann unfair wäre.
Katharina Müllebner: Und wie wirkt sich so ein Raumflug auf den Körper aus, weil Sie sagen, körperliche Belastungen?
Rüdiger Seine: Bei Start und Landung hat man wegen der starken Beschleunigung sozusagen deutlich erhöhtes Körpergewicht. Das geht bis zum 4- oder 5-Fachen des eigenen Körpergewichts. Deshalb liegen die Astronauten üblicherweise rückwärts in ihrem Sitz und sitzen nicht aufrecht, damit die Belastung auf die Wirbelsäule verringert wird.
Schwieriger ist aber eigentlich die Belastung durch den langen Aufenthalt in der Schwerelosigkeit. Das führt, wenn man keinen Sport treibt, zu Muskelabbau und Knochenabbau, zu einer Ermattung des Herz-Kreislauf-Systems und es beeinträchtigt gegebenenfalls auch die Augen.
Dementsprechend müssen diese Komponenten eben alle recht gesund sein. Und es ist wichtig, dass die Astronauten unterwegs Sport treiben, um wirklich ihren Körper fit zu halten, damit er dann die Belastung, wenn man in die Schwerkraft auf der Erde zurücktritt, auch aushalten kann.
Katharina Müllebner: Manchmal hört man so reden von der Besiedlung des Weltalls. Ist das reine Fiktion oder könnte es in Zukunft irgendwann mal Realität werden?
Rüdiger Seine: Ich denke schon, dass das Realität wird. Sie und ich werden das nicht mehr erleben, davon bin ich fest überzeugt.
Für die Besiedlung des Weltalls brauchen wir vor allen Dingen Lebenserhaltungssysteme, die dauerhaft selbstregenerierend arbeiten. Solche Lebenserhaltungssysteme sind wir im Moment noch nicht in der Lage zu konstruieren.
Alles, was wir machen, ist entweder mit Transport von Lebensmitteln und Atemgasen verbunden oder mit relativ hohem Energieverbrauch verbunden. Das heißt, da liegt noch eine ganze Menge Arbeit vor uns. Wir müssen im Prinzip ein Ökosystem bauen können, das Menschen dauerhaft ernährt und unterhält und das auch stabil genug ist, um sich selbst zu erhalten. Und das ist sicherlich eine Aufgabe, die noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Aber ich bin sicher, dass die Menschen neugierig genug sind, um das auf Dauer hinzubekommen und dann auch weitere Reisen ins Universum antreten zu können.
Katharina Müllebner: Danke.
Rüdiger Seine: Bitte schön.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Das war unser Interview mit Rüdiger Seine. Stellen Sie sich vor, dass die Erforschung des Weltraums wirklich einmal dazu führt, dass wir den Weltraum besuchen können, so wie wir heute zum Beispiel in andere Länder reisen. Wäre das nicht spannend?
Die Erforschung des Weltalls bietet viele Möglichkeiten und ist noch lange nicht zu Ende. Es ist wichtig, dass viele unterschiedliche Menschen Zugang zu einem Berufsfeld bekommen, das sich mit der Erforschung des Weltalls beschäftigt. Denn jeder Mensch kann neue Aspekte zu Forschung und Entwicklung beitragen. Das gilt natürlich auch für Menschen mit Behinderungen. Auch sie sollten von der Erforschung des Weltalls nicht ausgeschlossen sein.
Wir sind gespannt, wie es weitergeht und wer der erste Mensch mit Behinderung im All sein wird.
Alle Informationen zu dieser Sendung finden Sie auf www.barrierefrei-aufgerollt.at. Es verabschiedet sich Ihr Redaktionsteam Katharina Müllebner, Markus Ladstätter und Martin Ladstätter.
[Musik mit Text: barrierefrei aufgerollt – kurz, kompakt und leicht verständlich.]