Psychische Erkrankungen sind im Gegensatz zu körperlichen Behinderungen nicht sichtbar. Dennoch können sie das Leben der Betroffenen stark beeinflussen. Zusätzlich zur Erkrankung selbst kommt auch noch die fehlende gesellschaftliche Offenheit für das Thema.
Denn obwohl psychische Erkrankungen immer häufiger werden, sind Betroffenen immer noch stark mit Vorurteilen konfrontiert und ihnen wird gesellschaftliche Teilhabe verwehrt.
Was brauchen Betroffene, um ihr Leben möglichst selbstbestimmt führen zu können?
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In der Sendung
In dieser Sendung sprechen wir mit Petra Derler, sie arbeitet als EX-IN Genesungsbegleiterin für den Verein LOK Leben ohne Krankenhaus und ist für die Interessensvertretung für Menschen mit psychischen Erkrankungen IdEE Wien tätig.
Interessante Links
- Psychologische Soforthilfe in Notsituationen
- Telefon Seelsorge
- Interessenvertretung für Menschen mit psychischen Erkrankungen IdEE Wien
- Verein LOK-Leben ohne Krankenhaus
- Angebot für Angehörige
Die Sendung im Radio hören
Wien: Auf Radio ORANGE am 6. Juni 2021 um 10:30 Uhr. Die Sendung kann auch auf o94.at live gehört werden. Die Wiederholung gibt es am 18. April 2021 um 10:30 Uhr.
St. Pölten: Im campus & city radio am 10. Juni 2021 um 17 Uhr. Die Sendung kann auch auf cr944.at live gehört werden.
Graz: Im Radio Helsinki am 2. Juli 2021 um 16:30 Uhr. Die Sendung kann auch auf helsinki.at live gehört werden.
Salzburg: Auf radiofabrik am 14. Juni 2021 um 18:00 Uhr. Die Sendung kann auch auf radiofabrik.at live gehört werden.
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Die Sendung zum Nachlesen
Katharina Müllebner: Herzlich willkommen zur heutigen Sendung von barrierefrei aufgerollt von BIZEPS- Zentrum für Selbstbestimmtes Leben. Es begrüßt Sie Katharina Müllebner.
Heute sprechen wir über das Thema psychische Erkrankungen. Im Gegensatz zu einer körperlichen Behinderung sind psychische Erkrankungen nicht sichtbar. Dennoch beeinflussen sie das Leben der Betroffenen massiv.
Zusätzlich zur Erkrankung selbst kommt oft noch die fehlende gesellschaftliche Offenheit für das Thema hinzu. Denn auch wenn psychische Erkrankungen immer häufiger werden, werden die Betroffenen immer noch stigmatisiert und ihnen wird gesellschaftliche Teilhabe verwehrt.
Für viele Betroffene stellt auch die medizinische Behandlungsweise von psychischen Erkrankungen ein Problem dar, denn auf diese hat man meist wenig Einfluss. Die Personen erleben leider immer wieder von Ärztinnen und Ärzten, auf bestimmte Diagnosen reduziert zu werden und gegen ihren Willen auf eine bestimmte Art medizinisch behandelt zu werden. Sie erleben Psychiatrie nicht als Hilfe oder Heilung, sondern als Gewalt.
Doch wie sieht eine gute und inklusive Hilfe für psychisch erkrankte Menschen aus? Vor welchen Herausforderungen steht man als Mensch mit einer psychischen Erkrankung? Und was brauchen die Betroffenen, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können?
Zu Gast ist Petra Derler. Sie ist eine sogenannte Ex-In-Genesungsbegleiterin. Das bedeutet, dass Menschen, die psychische Krisen durchlebt haben, diese Erfahrungen nutzen, um andere in ähnlichen Situationen zu unterstützen. Auch ist sie für die IdEE Wien tätig. Das ist eine Interessensvertretung für Menschen, die psychische Erkrankungen erleben oder erlebt haben.
[Überleitungsmusik]Hallo Frau Derler, schön, dass Sie heute in unserer Sendung sind. Wir sprechen heute über das Thema psychische Erkrankungen. Zu allererst, der Begriff psychische Erkrankungen, finden Sie den angemessen oder würden Sie dafür eine andere Begrifflichkeit bevorzugen? Und warum?
Petra Derler: Ich glaube, dass diese Frage ziemlich schwierig zu beantworten ist, weil es ja individuell ist, wie man es formulieren möchte. Es geht ja meistens um irgendwelche Gefühle oder auch Herausforderungen, denen man sich stellen muss.
Und jeder hat auch seine eigenen Worte dafür. Und deshalb ist diese Frage immer sehr schwierig, da einen passenden Begriff zu finden, der für alle passt.
Ich selbst spreche von mir eigentlich eher davon, dass ich Erfahrungen mit psychischer Erkrankung habe. Und ich kann auch mit dem Begriff psychosoziale Behinderung sehr gut.
Aus dem Grund, weil ich damit verbinde, dass das nicht ein Mangel an mir ist, sondern dass ich einfach Herausforderungen an mein Umfeld habe. Dass, wenn man auf das eingeht, dass es dann auch möglich ist, damit einen guten Weg finden zu können.
Katharina Müllebner: Sie haben das Thema Herausforderungen schon angesprochen. Vor welchen Herausforderungen stehen Menschen mit psychischen Erkrankungen oder psychosozialen Behinderungen?
Petra Derler: Ja, auch das ist sehr unterschiedlich. Das kann beginnen mit, dass ich mich nicht aus meiner Wohnung raus traue, weil ich vielleicht Ängste habe.
Es kann sein, dass ich einfach im Kontakt mit Menschen mich schwertue. Das kann auch sein, dass ich nicht verstanden werde von anderen, weil in mir vielleicht Dinge vorgehen, die andere nicht so nachvollziehen können.
Weil sie vielleicht auch gar nicht ins Gespräch gehen dann mit dem Menschen, sondern sich ihre eigenen Gedanken dazu machen und nicht nachfragen, was in diesen Menschen vor sich geht.
Und ich glaube, das ist so der springende Punkt, dass man, glaube ich, immer wieder, wenn man durch irgendetwas irritiert, ist an dem anderen Menschen, dass man dann vielleicht das Gespräch sucht. Um einfach mehr über die Menschen erfahren zu können.
Und manchmal weiß der Mensch selbst nicht genau, wie er das in Worte fassen kann. Da wäre es ganz hilfreich, wenn man ihn vielleicht dabei unterstützt, die richtigen Worte dafür zu finden.
Katharina Müllebner: Also Sie meinen, wenn ich das richtig zusammenfasse, es liegt auch sehr stark an der Umwelt, wie darauf reagiert wird, dass Menschen sich einfach nicht den gewohnten Mustern entsprechend verhalten?
Petra Derler: Ich denke schon, ja.
Katharina Müllebner: Was könnte die Umwelt da besser machen? Was gäbe es da für Verbesserungsvorschläge? Sie haben es ein bisschen angedeutet, vielleicht gehen Sie noch näher drauf ein?
Petra Derler: Ich glaube, dass es dazu eben die Offenheit braucht, dass man eben auch eine etwas … wenn jemand anders ist und dafür offen ist.
Dass man nicht ein anderes Verhalten herabwürdigt oder auch negativ sogar bewertet womöglich. Ich denke, das kommt dann immer wieder auf die einzelnen Situationen drauf an. Wenn erst einmal diese Grundlage gegeben ist, dann kann man auch gut darüber ins Gespräch kommen.
Das ist auch oft nicht so offensichtlich, ich weiß ja oft auch nicht, wenn ich mich einer neuen Situation stelle, was so meine Herausforderungen sind und erst in der Situation vielleicht bemerke ich dann, was mir dann schwerfällt. Also dieses aufeinander Eingehen auf die Bedürfnisse, glaube ich, ist total wichtig.
Dass man dann auch wieder Raum schafft, dass man da irgendwie sagt, es kann nur so stattfinden, sondern dass man auch unterschiedliche Möglichkeiten schafft, dass man teilhaben kann.
Also wie zum Beispiel, jetzt in der Situation von COVID-19 stellt sich heraus, dass manche Menschen sich leichter tun, wenn sie von zu Hause aus per Computer oder per Telefon irgendwie in Kontakt kommen können, was früher ja gar nicht möglich war.
Dass man zum Beispiel einen Arzt anruft und sagt: Ich bin jetzt krank. Und dass man eben diese unterschiedlichen Möglichkeiten der Zugänge fördert.
Katharina Müllebner: Was meinen Sie, ist es heutzutage schwierig, offen damit umzugehen, dass man eine psychische Erkrankung hat?
Petra Derler: Vielleicht unsere schnelllebige Zeit? Dass man sich dafür eigentlich, für die Begegnung mit den anderen Menschen, gar nicht so richtig Zeit nimmt?
Katharina Müllebner: Welche Rolle spielen Vorurteile im Umgang mit Menschen mit psychischer Erkrankung?
Petra Derler: Ja, einerseits werden Menschen manchmal in Verbindung gebracht, wie zum Beispiel mit Gewalt, dass psychisch erkrankte Menschen automatisch auch gewalttätige Menschen sind.
Das passiert immer wieder mal, dass man, wenn man irgendein Ereignis hört, dass man dann sagt, das ist ja krank, der ist ja irre – solche Ausdrücke dafür hat.
Und dass man das nicht so sagen kann. Es gibt Gewaltvolle Menschen, aber das kann man nicht gleichsetzen, dass jeder Mensch, der psychisch erkrankt ist, gewalttätig ist.
Und manchmal gibt es einfach psychische Situationen, wo man in einen Zustand kommt, wo man vielleicht gar nicht begreift, was man da jetzt gerade tut, wo man angewiesen ist auf die Umwelt, dass die eben dafür sorgt, dass man nicht andere in Gefahr bringt.
Katharina Müllebner: Das hat man oft in der medialen Berichterstattung, dass schnell gesagt wird, ein Täter oder eine Täterin haben eine psychische Erkrankung, ist das auch ein Problem?
Petra Derler: Genau, es passiert dann auch oft, dass Fachpersonen, die den Menschen gar nicht kennen, dann sich dazu auch noch äußern.
Das finde ich sehr problematisch, weil man eben auch nur im Gespräch mit dem Menschen herausfinden kann, was in ihm vorgegangen ist und was es vielleicht gebraucht hätte, dass es nicht dazu kommt und wie weit er daran Schuld hat, dass das passiert ist.
Katharina Müllebner: Wie könnte man überhaupt eine psychische Erkrankung definieren? Wie könnte das definiert werden?
Petra Derler: Das ist eine sehr gute Frage, finde ich. Psychiaterinnen und Psychiater machen das anhand von Diagnosen, dass sie dann gewisse Kriterien haben und dann das zuordnen, welche psychische Erkrankung das ist.
Menschen, die psychisch erkrankt sind, erleben es dann oft anders. Ich kenne das auch aus der Erfahrung. Ich war auch einige Jahre in der Selbsthilfe mit unterschiedlichen Menschen, die dieselbe Diagnose erhalten haben. Und habe dann festgestellt, wie unterschiedlich wir eben sind.
Dass diese Definitionen vielleicht für – ich weiß nicht, inwieweit das wirklich für medizinische Behandlungen relevant ist unbedingt, dazu müsste man Psychiaterinnen und Psychiater befragen.
Aber aus meiner Sicht, fange ich mit Diagnosen nicht sehr viel an und ich definiere auch meine Erkrankungen nicht nach irgendetwas, ja?
Also ich tue mich sehr schwer mit diesem Begriff, erkrankt und gesund. Wo beginnt das?
Katharine Müllebner: Sie haben vorhin gesagt, Sie können mit dem Begriff der Erkrankung/ fühlen Sie sich nicht so wohl? Warum nicht?
Petra Derler: Vielleicht hat es auch so mit meinen persönlichen Erfahrungen zu tun, dass ich, wenn ich von Ärzten als krank bezeichnet worden bin, mir meistens dann auch so abgesprochen worden ist, zu wissen, was ich jetzt brauche. Was mir guttut.
Welche Form der Behandlung? Dass ich da mitsprechen kann.
Ich denke, dass das was mit dem zu tun hat. Und ich glaube auch nicht, dass jeder damit Schwierigkeiten hat. Es gibt auch Menschen, die sehr gut damit können und auch sagen, ich bin psychisch erkrankt und das sehr selbstbewusst sagen.
Katharina Müllebner: Sie haben schon ein Thema angesprochen. Ich habe auch in der Aussage jetzt gemerkt: Sie stehen dem Thema Psychiatrie etwas kritisch gegenüber. Was sind die Gründe dafür? Was sind Ihre Erfahrungen und die Erfahrungen der Leute, mit denen Sie zu tun haben?
Petra Derler: Meine persönlichen Erfahrungen sind sehr, sehr … die waren sehr einprägsam.
Das war eben, wie ich erstmalig psychisch erkrankt war und auf einer Station habe aufgenommen werden müssen aus dem Grund. Und ich da eben nicht wirklich gut ankommen habe können, weil ich eben als krank bezeichnet worden bin und jetzt kann man halt mit mir nicht sprechen, und ich viele Dinge gar nicht verstanden habe.
Und es mir schon gutgetan hätte, wenn man da mit mir in Kommunikation gegangen wäre. Und ich glaube, dass das auch heute vielen Menschen passiert, wenn sie gerade mal in so eine Situation kommen, wo sie auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Dass man dann glaubt, jetzt so die Verantwortung ganz für diesen Menschen übernehmen und kann mit dem das gar nicht besprechen.
Katharina Müllebner: Also die Betroffenen haben wenig Mitspracherecht bei den Behandlungen oder wie würden Sie das sehen?
Petra Derler: Im Großen und Ganzen, ja. Ich würde das jetzt nicht verallgemeinern, es gibt sicher Behandlerinnen und Behandler, die da Rücksicht darauf nehmen und wo das sehr gut funktionieren kann. Aber es passiert leider immer wieder auch, dass man da nicht mitsprechen kann.
Katharina Müllebner: Im April 2021 arbeitete das Justizministerium an einer Reform des Unterbringungsgesetzes.
Dieses regelt den zwangsweisen Aufenthalt von Menschen mit psychischen Erkrankungen in einer psychiatrischen Abteilung im Krankenhaus.
Neben der besseren Vorbeugung von Selbst- und Fremdgefährdung hat die Reform vor allem das Ziel, die Rechte von psychiatrischen Patientinnen und Patienten zu stärken und ihre Betreuung zu verbessern.
Künftig haben Patientinnen und Patienten zum Beispiel das Recht, eine Vertrauensperson zu wählen, die sie während der Behandlung, aber auch vor der Behandlung oder bei gerichtlichen Anhörungen, unterstützt.
Auch gibt es einen verbesserten Rechtsschutz, was Zwangsbehandlung betrifft. Das bedeutet, dass Patientinnen und Patienten nur noch mit ihrer Einwilligung einer Behandlung unterzogen werden dürfen.
Auch in der Unterbringung von Minderjährigen soll etwas geändert werden. Im Hinblick darauf, dass Minderjährige selbst bestimmen können, dass sie freiwillig untergebracht werden und nicht mehr der Vater oder die Mutter.
Ein weiterer Punkt betrifft den Datenschutz und die Weitergabe von Daten. Behörden sollen nun mehr Daten austauschen können als bisher. Auch Frau Derler war in die Entwicklung der Reform miteinbezogen. Sie erzählt uns, was ihr dabei wichtig war.
Petra Derler: Ja, ich war in diesem Prozess sogar mit dabei. Ich durfte in der Arbeitsgruppe mitwirken, gemeinsam auch mit Ingrid Machold und Frau Schernthaner die uns dabei unterstützt hat, diese Perspektive der Menschen, die psychisch erkrankt sind, eben gut auch darzustellen.
Uns war es ein großes Bedürfnis eben, dass – was ich vorhin angesprochen habe – Menschen da mit einer anderen Haltung begegnet wird.
Wenn man sich jetzt so eine Situation vorstellt, es sind ja auch Psychiaterinnen und Psychiater da sehr herausgefordert zu wissen, was ist jetzt für diesen Menschen gut? Für uns war da ganz wichtig, dass man immer mal in so eine Situation gekommen ist, dass man dann auch die Gelegenheit hat, darüber nachzudenken: Was war hilfreich, was war weniger hilfreich?
Und dass man das dann auch verschriftlicht miteinander, sodass der Patient, die Patientin, mit der psychiatrischen Abteilung das dann besprechen kann und darauf Rücksicht genommen wird. Sollte es dann noch einmal zu einer Unterbringung kommen müssen, dass man dann schon aufgrund dieser gemeinsamen Erfahrungen ganz einfach anders vorgehen kann.
Katharina Müllebner: Was ist vorher nicht gut gewesen in der Unterbringung, was jetzt noch besser werden kann? Können Sie es vielleicht anhand eines Beispiels?
Petra Derler: Es wäre jetzt so gedacht, dass man Vertrauenspersonen hinzuziehen kann. Dass man eben Menschen, die einen schon kennen und gut wissen, was einem guttut oder nicht und wie man eben zu einer Entscheidung für sich selbst kommen kann.
Dass man die eigentlich schon in der Situation vielleicht hinzuziehen kann, wo gerade überlegt wird, ob man eine psychiatrische Aufnahme braucht oder nicht.
Und auch während der ganzen Unterbringung ständig mit dieser Person in Kontakt sein zu können. Damit man eben genau mit dieser Entscheidungsfindung immer wieder und auch bei … es gibt auch Rechte, die man hat als Patient und Patientin, die man in dieser Situation nicht wirklich kennt und auch nicht nutzen kann. Dass man da jemanden zur Seite hat, der einen dabei unterstützt.
Katharina Müllebner: Also eine Art Vertrauensperson, die einen während der Behandlung und vor der Behandlung unterstützen kann und hilft, die Meinung zu sagen?
Petra Derler: Genau, ja.
Katharina Müllebner: Sie haben vorhin gesagt, die Leute wissen nicht über die Rechte, die sie als Patienten eigentlich haben. Was wäre das? Können Sie Beispiele für solche Rechte nennen?
Petra Derler: Es darf zum Beispiel nicht sein, dass mir Privatgegenstände einfach abgenommen werden, das muss schon triftige Gründe haben, warum das passiert.
Es passiert immer wieder, dass man dann seine private Kleidung nicht anziehen kann. Das ist ein total großer Einschnitt und sollte eigentlich überhaupt nicht passieren dürfen.
Es passiert auch, dass man dann kein privates Telefon mehr hat und auch das gehört irgendwo immer wieder erklärt, warum das passiert. Weil, es ist wirklich nicht nachvollziehbar, warum jemand nicht in Kontakt sein kann mit Menschen, die einem jetzt gerade hilfreich in dieser Situation sein können.
Katharina Müllebner: Was gibt es da zum Beispiel für Gründe? Sie haben gesagt, man darf keinen Kontakt haben, es wird einem Telefon weggenommen. Wie wird das begründet?
Petra Derler: Ja, das ist eben die Frage immer wieder im Einzelfall. Manchmal mag es schon Sinn ergeben, dass man zur Ruhe kommen sollte. Aber trotzdem, man kann manchmal auch nur zur Ruhe kommen, wenn man eben gut in Kontakt mit für einen, wichtigen Personen sein kann.
Katharina Müllebner: Wie stehen Sie eigentlich zum Thema Psychopharmaka?
Petra Derler: Also Psychopharmaka haben unterschiedliche Wirkungen. Manche Wirkungen können sehr hilfreich sein. Menschen fühlen sich auch teilweise sehr gut unterstützt davon. Es gibt aber auch Wirkungen, die sogar den Körper in irgendeiner Form belasten.
Wenn man auf lange Sicht das einnimmt und hochdosiert, dann organische Schäden – Blutzucker kann steigen – es kann da ganz unterschiedliche Folgen daraus geben und ich denke, deshalb sollten die auch sehr vorsichtig eingesetzt werden.
Katharina Müllebner: Entschuldigung, wie könnte man überhaupt Psychopharmaka definieren?
Petra Derler: Psychopharmaka sind Medikamente, die auf das Befinden des Menschen in irgendeiner Form einwirken, würde ich jetzt einmal sagen.
Sie können das Denken in irgendeiner Form verlangsamen, damit man nicht zu sehr alles Mögliche denkt vielleicht.
Wobei … Also wie ich selbst immer wieder die Erfahrung gemacht habe dabei, dass das auch gefühlsmäßig, man fühlt sich dann auch sehr getrennt von seiner Umwelt dadurch, distanziert. Man hat nicht so diese Empfindungen dann so tief und es kann einerseits vorteilhaft sein und andererseits weniger vorteilhaft.
Psychopharmaka wirken meist so auf diese Art und Weise. Sie können auch Ängste nehmen, wobei man da auch sehr vorsichtig sein muss, dass man nicht auch abhängig wird dann von solchen Medikamenten.
Sie können auch fördern, dass man sich nicht so depressiv fühlt. Dass man da irgendwie wieder mehr Antrieb bekommt, das kann eben hilfreich sein in gewissen Situationen. In manchen Situationen kann es vielleicht sogar dazu führen, dass man den Antrieb so steigert, dass man sich das Leben dann vielleicht nimmt.
Ich denke, total vorsichtig sollte man damit umgehen. Und auch Menschen dabei wieder begleiten, Psychopharmaka reduzieren zu können.
Katharina Müllebner: Also welche Anliegen haben Sie jetzt konkret an Medizinerinnen und Mediziner, die im psychiatrischen Bereich arbeiten? Was müssten die verändern?
Petra Derler: Sie sollten Zeit und Geduld mitbringen, denke ich einmal, sodass sie nicht die schnellen Lösungen mit Medikamenten suchen, sondern sich wirklich im Gespräch mit dem Menschen auseinandersetzen und gemeinsam auf die Suche machen.
Was sind die Ursachen dieser psychischen Erkrankung? Und was kann der Mensch auch für sich selbst zu tun beginnen? Dass er wieder das Leben in seine eigene Hand nehmen kann.
Und dazu braucht es auch, finde ich, unbedingt diese Mitsprache bei der Behandlung, dass man eben mit dem Arzt gemeinsam überlegen kann, was sind meine nächsten Behandlungsschritte?
Katharina Müllebner: Wie müssen gute inklusive Unterstützungskonzepte für Menschen mit psychischer Erkrankung aussehen?
Also wie müsste die Unterstützung im Alltag ausschauen, dass man gut zurechtkommt, dass auch außerhalb der psychiatrischen Einrichtungen, dass man wieder gut leben kann, dass man wieder im Leben ankommt? Was für Unterstützung braucht man da?
Petra Derler: Ich glaube, das kann man gar nicht so … das ist auch wieder sehr individuell. Es kann sein, was ich jetzt gerade vorhin nachgefragt habe, ob Sie damit Persönliche Assistenz meinen. Menschen, die diese Situation sehr gut kennen, aber auch in der Lage sind, auf diese individuellen Bedürfnisse der Menschen einzugehen.
Und ihnen behilflich zu sein, auf unterschiedliche Art und Weise. Also einerseits kann es sein, dass man tatsächlich irgendetwas ihnen abnimmt einmal, weil es gar nicht geht und andererseits aber auch dann wieder beginnt, sie etwas zu unterstützen.
Ich denke zum Beispiel, wenn mir Einkaufen schwerfällt, manchmal kann das sehr hilfreich sein, wenn man nicht einkaufen gehen muss in dieser Situation, weil es wirklich gut wäre, mal zu Hause bleiben zu können. Andererseits macht es auch durchaus Sinn, wenn man dabei unterstützt wird, schon langsam gewisse Wege zurücklegen zu können. Und ich denke, da braucht es sehr viel Einfühlungsvermögen und Geduld und Zeit dafür.
Katharina Müllebner: Gibt es derzeit die Möglichkeit, so etwas zu bekommen, so eine Alltagsunterstützung oder ist das ein Manko?
Müsste es so etwas wie persönliche Assistenz für Menschen mit psychischer Erkrankung auch geben?
Petra Derler: Ja, Persönliche Assistenz gibt es gar nicht für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Das fände ich total wichtig.
Es gibt natürlich schon Betreuungsangebote unterschiedlichster Art, aber viel zu wenig, würde ich sagen. Das würde schon hilfreich sein, wenn es wesentlich mehr Angebote gibt.
Katharina Müllebner: Was müsste sich denn gesellschaftlich ändern, damit besser mit dem Thema psychische Erkrankung umgegangen wird oder damit es den Leuten besser geht?
Petra Derler: Ich glaube, dass es noch viel mehr Aufklärung braucht. Es ist auch immer wieder sehr schwierig – ich merke es auch bei meiner Arbeit – gewisse Dinge in Worte zu fassen, also Herausforderungen, die Menschen mit psychischen Erkrankungen haben, weil sie auch oft so individuell sind.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Eine psychische Erkrankung kann jeden treffen. Wichtig ist, dass man diese Personengruppe als Expertinnen und Experten in eigener Sache ernst nimmt. Dies beinhaltet zum Beispiel eine medizinische Behandlung auf Augenhöhe, wo auf die größtmögliche Mitsprache der Betroffenen geachtet wird.
Im gesellschaftlichen Umgang braucht es wie überall – aber ganz besonders hier – Offenheit und Respekt für die Lebenswelten und Wahrnehmungen von Betroffenen.
Wir müssen dringend Abstand nehmen von veralteten und schädlichen Stereotypen, die es über psychische Erkrankung leider immer noch gibt.
Denn psychische Erkrankung ist keinesfalls gleichzusetzen mit der Gefährlichkeit einer Person.
Menschen mit psychischer Erkrankung brauchen individuelle und selbstgewählte Unterstützungskonzepte, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.
Stichwort Unterstützung: Sollten Sie das hören und selbst einmal Unterstützung benötigen, zögern Sie nicht, sich diese auch zu suchen. Auf der Internetseite www.barrierefrei-aufgerollt.at gibt es beim Beitrag zu dieser Sendung ein paar Links, wo Sie sich über Unterstützungsangebote informieren können.
Das war unsere Sendung zum Thema psychische Erkrankungen. Es verabschiedet sich Ihr Redaktionsteam Katharina Müllebner, Markus Ladstätter und Martin Ladstätter.
[Musik mit Text: barrierefrei aufgerollt – kurz, kompakt und leicht verständlich.]