
Als Vorurteil bezeichnet man eine meist negative Haltung gegenüber Personen, Gruppen, Objekten oder Sachverhalten, die weniger auf direkter Erfahrung als vielmehr auf einer Verallgemeinerung beruht.
Vorurteile gibt es über Menschen mit Behinderungen, über Menschen mit Migrationshintergrund, über Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung. Jeder Mensch, der von gesellschaftlichen Normvorstellungen abweicht, kann zur Zielscheibe von Vorurteilen werden. In dieser Sendung sprechen wir mit unseren Gästen über die Erfahrungen, die sie mit Vorurteilen gemacht haben, wie sie damit umgehen und welche Möglichkeiten es gibt gegen Vorurteile vorzugehen.
Die Radiosendung zum Nachhören
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In der Sendung
- Simon Inou, er ist Journalist und Medienkritiker, der für internationale und österreichische Medien tätig ist. Beispielsweise ist er Mitbegründer und Chefredakteur von Afrikanet und war für die Wiener Zeitung tätig. 2005 gründete Inou den Verein M-Media, ein Verein zur Förderung interkultureller Medienarbeit. Immer wieder setzt sich Inou für mehr Diversität in den österreichischen Medien und für eine kritische Darstellung von Menschen mit Migrationshintergrund ein. Auch arbeitet er beim freien Radiosender Radio Orange.
- Laura Gehlhaar, sie ist eine deutsche Autorin, Aktivistin und Unternehmensberaterin. Die Rollstuhlfahrerin setzt sich für mehr Inklusion in der Gesellschaft ein. In ihrem Blog Frau Gehlhaar schreibt sie über ihr Leben im Rollstuhl. 2016 veröffentlichte sie ein Buch mit dem Titel „Kann man da noch was machen?“. Außerdem ist sie Erfinderin des Rollstuhlfahrer Bullshit Bingos.
Interessante Links
Links zum Thema Rassismus
- Wiener Zeitung: Über Stereotype zu Afrika
- DER STANDARAD: AfrikanerInnen als Subjekte wahrnehmen – von Simon Inou
- Was ist Blackfacing? Und warum ist es rassistisch?
- M-Media: Diversität und Inklusion im deutschsprachigen Journalismus
- Film:Here to stay- Rassismus in Wien
Links zum Thema Vorurteile und Behinderung
- VICE: Wir haben Menschen mit Behinderung gefragt, wie man mit ihnen umgehen sollte
- BIZEPS-Artikel: Das Urteil-Was denkst du über mich?
- Das Rollstuhlfahrer-Bullshit-Bingo
- Behinderte Menschen berichten über Diskriminierungserfahrungen #AbleismTellsMe
- Darstellung von Menschen mit Behinderungen in den österreichischen Massenmedien Studie aus 2015/2016
- Video: 5 Situationen, die Menschen ohne Behinderung nie erleben
Die Sendung im Radio hören
Wien: Auf Radio ORANGE am 7. Februar 2021 um 10:30 Uhr. Die Sendung kann auch auf o94.at live gehört werden. Die Wiederholung gibt es am 21. Februar 2021 um 10:30 Uhr.
St. Pölten: Im campus & city radio am 11. Februar 2021 um 17 Uhr. Die Sendung kann auch auf cr944.at live gehört werden.
Graz: Im Radio Helsinki am 12. Februar 2021 um 16:30 Uhr. Die Sendung kann auch auf helsinki.at live gehört werden.
Salzburg: Auf radiofabrik am 8. Februar 2021 um 18:00 Uhr. Die Sendung kann auch auf radiofabrik.at live gehört werden.
Hier findest Du alle unsere Sendetermine in den verschiedenen Radiosendern
Die Sendung zum Nachlesen
Katharina Müllebner: Herzlich willkommen zu dieser Sendung von barrierefrei aufgerollt von BIZEPS Zentrum für Selbstbestimmtes Leben. Es begrüßt Sie Katharina Müllebner.
Vorurteile gibt es über Menschen mit Behinderungen, über Menschen mit Migrationshintergrund, oder bei Menschen mit anderen sexuellen Orientierungen. Jeder Mensch, der von der gesellschaftlichen Normvorstellung abweicht, kann zur Zielscheibe von Vorurteilen werden.
Nicht nur, dass jeder Mensch von Vorurteilen betroffen sein kann, sondern Jeder Mensch kann auch selbst Vorurteile haben.
Wie Vorurteile entstehen, darüber gibt es verschiedene Theorien. Manche sagen, sie werden an uns weitergegeben. Andere sagen, der Anfang eines Vorurteils ist im Grunde in uns allen angelegt, weil wir alle andere Menschen ständig in Kategorien einordnen, um einfach im täglichen Leben schneller handeln zu können. Aber ein Vorurteil ist auf jeden Fall mehr als eine schnell vorgefasste Annahme über eine Person. Denn ein Vorurteil hat große Auswirkungen. Welche Auswirkungen das sind, darüber wollen wir in dieser Sendung von barrierefrei aufgerollt sprechen.
[Überleitungsmusik]Simon Inou ist Journalist und Medienkritiker, der für internationale und österreichische Medien tätig ist. Beispielsweise ist er Mitbegründer und Chefredakteur von Afrika Net und war für die Wiener Zeitung tätig. Auch arbeitet er bei dem freien Radiosender Radio ORANGE. 2005 gründete Inou den Verein M-Media, ein Verein zur Förderung der interkulturellen Medienarbeit. Immer wieder setzt sich Inou für mehr Diversität in den österreichischen Medien ein und für eine kritische Darstellung von Menschen mit Migrationshintergrund.
Wir begrüßen heute Herrn Simon Inou zu unserer Sendung zum Thema Vorurteile. Herr Inou, schön dass Sie da sind, das freut uns.
Simon Inou: Danke für die Einladung.
Katharina Müllebner: Sie beschäftigen sich sehr stark mit der Darstellung von Menschen mit Migrationshintergrund in den österreichischen Medien. Was ist denn Ihre Ansicht zur Art der Darstellung? Was ist Ihnen da aufgefallen?
Simon Inou: In den österreichischen Medien haben wir eine ganz klare problemorientierte Berichterstattung. Das heißt, sehr viele Menschen mit Migrationsgeschichte kommen oft vor, entweder als Opfer oder als Täter. Und da gibt es inzwischen nur schöne Berichte, zum Beispiel, nur die, die etwas geschafft haben sind das Pendant. Und eine ganz normale Berichterstattung gibt es diesbezüglich überhaupt nicht, außer es gibt innerhalb von Medien, die selber von Migrantinnen und Migranten herausgegeben werden.
Katharina Müllebner: Heute geht es ja um das Thema Vorurteile, inwiefern spielen Vorurteile in der Berichterstattung über Menschen mit Migrationshintergrund eine Rolle?
Simon Inou: Normalerweise spielen Vorurteile in der Berichterstattung eigentlich im Bereich der Kriminalberichterstattung eine entscheidende Rolle. Weil die Berichterstattung wird hier dominiert von Institutionen wie die Wiener Polizei oder wie die Polizei, die eigentlich weltweit nur mit Vorurteilen arbeitet, in Bezug auf Kriminelle, die in einem Land leben. Und diese Vorurteile fallen nicht vom Himmel.
Es ist schon so, dass die Vorurteile schon von früh auf irgendwie gepflegt werden. Also wenn wir in den österreichischen Schulbüchern sehen, sehen wir ganz genau wie in österreichischen Schulbüchern zum Beispiel die Berichte in Bezug auf Afrika, die Türkei, Ex-Jugoslawien thematisiert wird, genauso wie in Bezug auf Religionen und auch LGBT zum Beispiel. Und es ist immer das Tragische , dass wir das Problem haben, als ob wir jetzt innerhalb dieser Berichtserstattung, innerhalb dieser Medien, als Menschen dargestellt werden, die unfähig sind, ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Möglichkeiten, ihre eigene Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen. Und das ist das Problem, das wir in der Berichtserstattung haben.
Katharina Müllebner: Können Sie ein Beispiel für solche Vorurteile nennen?
Simon Inou: Ja. Wenn wir zum Beispiel in Boulevard Zeitungen sehen, zum Beispiel in der Kriminalberichterstattung, haben wir die Verallgemeinerung, wenn zum Beispiel/ nehmen wir einen Afrikaner oder eine Afrikanerin, der zum Beispiel festgenommen wird, weil er vielleicht Drogen verkauft hat. Man sagt hier nicht, dass es um ein Individuum geht, sondern man verallgemeinert das. Man sagt, der Afrikaner ist Drogendealer, der Schwarzafrikaner ist Drogendealer. Aber wenn wir zum Beispiel in Österreich dasselbe machen, wenn wir weiße Österreicherinnen und -Österreicher haben, die dasselbe machen, werden sie nicht als das ganze Land, oder die ganze Bevölkerung wird nicht subsumiert in dieser Person.
Und deswegen ist es teilweise schwierig, das ist erstens. Zweitens haben wir zum Beispiel, auch wenn es um Afrika geht, eine Katastrophe in der Berichterstattung. Wir haben sehr oft Afrika Expertinnen und Experten. Und wir wissen ganz genau, dass niemand es schaffen kann, ein Experte für 54 Staaten zu sein. Das ist nicht möglich. Wenn man von Afrika spricht, ist es wichtig, dass man einfach ganz individuell thematisiert, was für eine Spezialität diese Person hat und so weiter.
Und wenn wir auf die Muslime sehen. Also die Muslime sind immer berühmt in der Berichterstattung, weil sie sehr oft und sehr leicht als potenzielle Terroristen angesehen werden. Und wir haben dagegen zu kämpfen, weil wir es hier klarerweise mit Journalistinnen und Journalisten zu tun haben, die keine sensible Sprache verwenden. Wir haben zum Beispiel Leute aus Balkan Communities, die in den österreichischen Mainstream Medien bekannt sind, da sie, wenn es um eine kleine Kriminalitätsrate geht, dann werden sie sofort in einen Topf geworden, als ob sie diese ganze Kriminalität nach Österreich importiert haben.
Es gibt immer die Verallgemeinerung, die extrem gefährlich ist, die extrem benachteiligend ist. Auf der anderen Seite gibt es auch ein Missverständnis, weil Journalistinnen und Journalisten diesbezüglich keine Ahnung haben.
Katharina Müllebner: Sie selbst waren auch schon mal aufgrund Ihrer Hautfarbe mit Vorurteilen konfrontiert oder mit ausschließenden Situationen?
Simon Inou: Ja, sehr sehr oft.
Katharina Müllebner: Können Sie da ein besonders prägendes Beispiel nennen noch vielleicht?
Simon Inou: Ein prägendes Beispiel ist: Vor sieben oder acht Jahren war ich am Westbahnhof und habe ein Sakko getragen. Drei Polizisten kommen auf mich zu, ohne Begrüßung sagen sie, woher haben Sie das Geld gehabt, um so ein teures Sakko zu kaufen? Ich bin schockiert. Dann frage ich, kann ich zumindest Ihre Dienstnummer haben? Plötzlich, nein, bitte folgen Sie uns zur Polizeistation am Westbahnhof. Und ich werde dann durchsucht überall und dann gab es, damals hatte ich in meiner Tasche so etwas, wie ein Kaugummi. Dann wurde der Kaugummi beschlagnahmt, und es wird dann geschnitten, weil die haben geglaubt, dass ich in diesem Kaugummi Pulver drin hatte. Und sie haben alles geprüft und stellen fest, nein, es war nichts.
Was passiert dann? Sie kommen zu mir und entschuldigen sich überhaupt nicht. Das war für mich so prägend, dass ich gesagt habe, das kann nicht sein, dass nur aufgrund eines Sakkos also du trägst ein Sakko und die Polizisten flippen aus. Weil sie in ihren Köpfen zum Beispiel nicht glauben, dass Schwarze Sakko tragen können.
Katharina Müllebner: Was kann man denn gegen diesen furchtbaren Rassismus tun? Was gibt es da für erfolgreiche Kampagnen?
Simon Inou: Ich glaube, das Entscheidende ist, dass erstens das Thema in der Mitte der Gesellschaft ankommt. Solange die weiße Mehrheit kein Bewusstsein dafür hat, können wir kämpfen, wie wir wollen, das wird sich nicht ändern. Ganz sicher nicht. Aber zum Glück haben wir es in der letzten Zeit mit Black Lives Matter zu tun, und sehen, dass es plötzlich innerhalb der Gesellschaft eine Sensibilisierung gibt über das Thema.
Und was man tun kann, da gibt es so viele verschiedene Möglichkeiten. Also zumindest in den Schulbüchern, dort müssen wir anfangen. Weil wir können nicht heute predigen, wir sind gegen Rassismus, aber gleichzeitig werden unsere Kinder, unsere Enkelkinder genauso mit rassistischen Vorurteilen ernährt, weil sie es in den Schulen ganz normal erfahren.
Das heißt es muss dort beginnen, erstens mit den Schulbüchern klarerweise Passagen, die rassistisch sind, einfach zu eliminieren.
Man kann das nur machen, wenn man das mit einem Komitee von erst betroffenen Menschen macht. Deswegen sage ich, eine Person oder eine Gruppe, nur die Weißen können das nicht machen und nur die Schwarzen können das nicht machen. Weil, wir sind eine Gesellschaft, wo wir zusammenkommen, um uns genau über diesen Content gemeinsam auszutauschen, damit es klar wird, was zu machen ist.
Zweitens glaube ich, die verschieden Medienschulen, die wir in Österreich haben, müssen einen antirassistischen journalistischen Workshop oder Kurs machen.
Und ich glaube, es geht nicht mehr darum, dass sie sagen, na ja, wir sind in Österreich nicht so oft betroffen, und wenn sie Opfer sind, werden wir darüberschreiben. Und das war es. Sondern die Journalistinnen und Journalisten sollen auch Fortbildungen und Weiterbildungen zum Thema Antirassismus in der Berichterstattung haben. Also auf jeden Fall.
Und dann, die verschiedenen Kolleginnen und Kollegen, die in dem Bereich tätig sind, müssen auch aus ihrer eigenen Initiative anfangen, sich mit ihrer eigenen Gesellschaft, nicht die weiße Gesellschaft, mit ihrer eigenen Gesellschaft auseinandersetzen, wie Vorurteile hier in dieser Gesellschaft entstehen. Und das ist entscheidend wichtig, wenn wir das machen wollen erst mal.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Laura Gehlhaar ist eine deutsche Autorin, Aktivistin und Unternehmensberaterin. Die Rollstuhlfahrerin setzt sich für mehr Inklusion in die Gesellschaft ein. In ihrem Blog „Frau Gehlhaar“ schreibt sie über ihr Leben im Rollstuhl. 2016 veröffentlichte sie ein Buch mit dem Titel, Kann Man Da Noch Was Machen? Außerdem ist sie Erfinderin vom Rollstuhlfahrer-Bullshit-Bingos. Was das ist, wird sie uns selbst erzählen.
Schönen Guten Tag Frau Gehlhaar, schön dass Sie da sind zu unserer Sendung zum Thema Vorurteile.
Laura Gehlhaar: Hallo, vielen, vielen Dank für die Einladung.
Katharina Müllebner: Sie selbst sind Rollstuhlfahrerin, was sind die häufigsten Vorurteile, die Ihnen begegnen?
Laura Gehlhaar: Als Rollstuhlfahrerin oder eben als Frau im Rollstuhl, da begegnen mir ganz oft Vorurteile, wie zum Beispiel, dass ich viel, viel, viel zu Hause bin. Ich bin gerade viel zu Hause, weil wir Corona haben, das ist ja klar. Aber dass sich auch sonst mein Leben eher zu Hause abspielt, dass ich wenig für mich selbst machen kann, wenig selbstbestimmt bin, das sind so Vorurteile, um ein paar zu nennen.
Katharina Müllebner: Sie haben das Bullshit Bingo erfunden. Was ist das?
Laura Gehlhaar: Ja genau, das Rollstuhlfahrerinnen-Bullshit-Bingo, da habe ich ganz einfach Sprüche gesammelt, die Menschen im Rollstuhl oft zu hören bekommen. Das sind auch genau solche Vorurteile, wie ich auch gerade schon ein bisschen versucht habe zu beschreiben. Das sind dann eben so Sprüche, wie, wenn ich zum Beispiel einkaufen gehe, dann steht auf einmal eine fremde Person neben mit und klopft mir auf die Schulter und sagt, boah, toll, dass es Menschen wie Sie gibt. Oder toll, dass Sie auch einkaufen gehen.
Dann werde ich für etwas gelobt, was ja eigentlich total normal ist für alle Menschen, denn wir alle müssen essen, wir alle müssen uns Lebensmittel kaufen. Das ist natürlich ganz klar. Und das mache ich genauso, wie es andere Menschen machen müssen ohne Behinderung.
Aber für Menschen, die keine Behinderung haben und auch noch nie mit Menschen mit Behinderung zu tun gehabt haben, die keine Menschen mit Behinderung im Freundeskreis haben oder mit ihnen nicht zusammenarbeiten, die wissen einfach ganz, ganz wenig über das Leben von uns als Rollstuhlfahrende. Und dann denken die sich halt Sachen aus, dann überlegen die, wie könnte so ein Leben aussehen? Das ist vielleicht eher traurig. Weil sie uns halt nicht kennen. Und dann begegnen mir solche Vorurteile ganz schnell im Alltag.
Katharina Müllebner: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, das Bullshit-Bingo zu machen? Was war der ausschlaggebende Punkt dafür?
Laura Gehlhaar: Ich versuche mit Vorurteilen und mit Diskriminierung, die ich im Alltag so erfahre, so gut es geht immer auch mit Humor zu begegnen. Auch wenn mir das nicht leicht fällt, aber ich versuche trotzdem immer etwas für mich, auch etwas Lustiges oder Humorvolles daraus zu nehmen. Und da habe ich mir gedacht, okay, ich sammle mal all diese Sprüche und tue sie spielerisch in ein Bingo, sodass sie auf einen Schlag alle sichtbar und alle zu überschauen sind, und dann kann jeder und jede mal gucken, was hört man im Alltag? Und dann kreuzt man das an, und dann hat man ziemlich schnell eine Bingo Reihe voll.
Katharina Müllebner: Wir sind jetzt eine aufgeklärte Gesellschaft, dachte ich immer. Wieso gibt es noch so viele Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderungen?
Laura Gehlhaar: Weil Menschen mit Behinderung im Alltag einer Mehrheitsgesellschaft, also der Norm, einfach nicht stattfinden.
Also wenn man mit einer Behinderung hier in Deutschland geboren wird, dann ist man ganz, ganz schnell auf einer Sonderschule als Kind, oder dann geht man in eine Behindertenwerkstatt und arbeitet und lebt dort. Aber solche Behindertenwerkstätten, oder eben auch Einrichtungen, wo behinderte Menschen wohnen, sind nicht in der Mitte der Gesellschaft.
Zum Beispiel in meiner Nachbarschaft habe ich keine einzige Einrichtung von behinderten Menschen, ich habe auch keine Altenpflegeeinrichtung hier in meiner Nähe, und deshalb begegnen mir auch einfach sehr wenig behinderte Menschen auf der Straße und wenig ältere Menschen auf der Straße, weil sie irgendwo am Rande der Stadt meistens leben. Aber ich würde mir viel mehr wünschen, dass sie in meiner Nachbarschaft sind, und dass sie mir jeden Tag auf der Straße begegnen.
Katharina Müllebner: Was kann man denn jetzt für den Abbau von Vorurteilen tun?
Laura Gehlhaar: Man könnte, oder man sollte vielmehr, nicht mehr darüber sprechen, ob Inklusion irgendwie funktionieren kann, ob Inklusion jetzt an der Schule, an Regelschulen durchgesetzt werden sollte. Man sollte immer nur darüber diskutieren, wie.
Also wie kann das umgesetzt werden? Was gibt es für Möglichkeiten, dass behinderte Kinder mit nicht-behinderten Kinder zusammen beschult und unterrichtet werden? Wie können wir es schaffen, dass an Ausbildungsstätten oder an Universitäten Barrieren abgebaut werden für blinde und gehörlose Menschen und nicht mehr darüber diskutieren, ob das irgendwie möglich ist, sondern nur noch, wie können wir das umsetzen? Weil es ist möglich.
Und gerade jetzt in der Corona Zeit, wo wir alle, oder viele Menschen, zu Hause waren und auf einmal im Homeoffice waren und auf einmal digital gearbeitet haben. Also alles fand nur noch digital statt. Das ist ja etwas, was ganz, ganz viele Möglichkeiten gibt, wie auch behinderte Menschen in Zukunft arbeiten oder studieren könnten.
Wenn Sie jetzt zum Beispiel an einem Tag, wo die Uni stattfindet, denken, heute geht es mir nicht so gut, heute fühle ich mich vielleicht eher schlapp. Heute entscheide ich mich eher dafür, dass ich meine Vorlesung online verfolge, von zu Hause aus. Das ist jetzt eine super Möglichkeit, die einfach da ist. Eine Möglichkeit, die so viele behinderte Menschen schon seit Jahren einfordern, und dafür kämpfen, dass es endlich umgesetzt wird. Jetzt ist es umgesetzt worden, zwar aus anderen Gründen, aber jetzt kann man sich nicht mehr rausreden, denn jetzt haben wir eine super Möglichkeit gefunden, wie wir besser inklusiv studieren und arbeiten können und so weiter.
Katharina Müllebner: Was können Menschen mit Behinderung selbst dazu beitragen, um Vorurteile abzubauen gegenüber ihrer Community?
Laura Gehlhaar: Eine super gute Frage, das ist so eine gute Frage, weil immer, wenn ich mich jetzt so zurückerinnere an Interviews oder irgendwelche Medien Sachen, dann werde ich immer gefragt, was können Nichtbehinderte tun? Ja, dass Inklusion stattfinden kann, und ich finde es sehr interessant auch zu sehen, dass eben auch behinderte Menschen ableistisch sein können, aber aus unterschiedlichen Gründen oder Hintergründen.
Zum Beispiel bei mir, ich weiß nicht, wie das bei Ihnen ist, aber ich bin mit meiner Behinderung aufgewachsen. Seit ich lebe, lebe ich mit meiner Behinderung.
Und mir wurde von Kindheit an beigebracht, dass ich immer dankbar sein soll, dass ich still sein soll, und demütig sein soll, also sprich, wenn mir irgendetwas ermöglicht wird, was für andere total selbstverständlich ist, dann muss ich dankbar sein. Und das gab mir natürlich im Laufe meines Lebens ein Selbstwertgefühl, was nicht so stark war.
Ich habe irgendwann eben auch geglaubt, ah ja, okay, wir Behinderte müssen ruhig sein, und wir müssen halt dankbar sein. Und das geht vielen Menschen mit Behinderung so.
Und ich würde mir so sehr wünschen, dass wir es schaffen, behinderte Menschen/ oder dass wir so weit Barrieren abbauen können in der Gesellschaft, dass behinderte Menschen irgendwann nicht mehr das Gefühl bekommen, dankbar sein zu müssen, sondern es als total selbstverständlich empfinden, dass sie mit der Deutschen Bahn fahren können, ohne dass sie sich vorher anmelden müssen, dass sie in den Bus steigen können, ohne dass irgendein grimmiger Busfahrer oder Busfahrerin die Rampe erst rausholen muss, sondern dass das alles selbstverständlich ist.
Und dann wächst auch das Selbstbewusstsein von Menschen mit Behinderung. Dann bekomme ich das Gefühl, in dieser Gesellschaft Dinge auch als normal zu erachten. Und ich glaube, dass jeder Mensch mit Behinderung das Recht hat laut zu sein, Meinungen zu haben, auch ganz unterschiedliche Meinungen. Weil wir Menschen mit Behinderung müssen auch nicht immer einer Meinung sein, das ist auch ganz wichtig, weil wir uns dadurch auch weiterentwickeln, innerhalb unserer Community.
Und ich würde mir wünschen, dass jede Person mit einer Behinderung versteht und verlernt, dass wir dankbar sein müssen, dass wir für irgendwas betteln müssen, sondern es einfordern und das für selbstverständlich erachten, wenn wir in ein Restaurant gehen wollen, an eine bestimmte Universität gehen wollen, dass das ganz selbstverständlich wahrgenommen wird. Und dass jeder Mensch mit Behinderung das versteht und da einfach hinterher ist, dass das ihr und sein gutes Recht ist.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Ein Vorurteil ist weit mehr als bloß eine falsche Annahme. Ein Vorurteil kann über die gesellschaftliche Stellung einer Person entscheiden. Darüber, ob sie Teil einer Gesellschaft ist oder nicht. Je mehr ein bestimmtes Vorurteil in der Gesellschaft Verbreitung findet, zum Beispiel durch Medien oder in der Politik, desto gefährlicher kann es für die betroffene Gruppe werden. Vorurteile können im schlimmsten Fall sogar zu Gewalt und Ausschluss führen.
Das war unsere Sendung zum Thema Vorurteile. Wir bedanken uns bei unseren Gästen für ihren Beitrag. Alle Informationen zu dieser Sendung sowie weiterführende Informationen zum Thema finden Sie auf unserer Internetseite www.barrierefrei-aufgerollt.at.
Es verabschiedet sich ihr Redaktionsteam Katharina Müllebner, Markus Ladstätter und Martin Ladstätter.
[Musik mit Text: barrierefrei aufgerollt – kurz, kompakt und leicht verständlich.]