
Aussehen, Lage und Preis, das sind Dinge, auf die man achtet, wenn man eine neue Wohnung sucht. Es gibt aber noch etwas anderes, das für das Finden einer geeigneten Wohnung wichtig ist, und zwar die Frage, ist die Wohnung barrierefrei?
Doch was bedeutet Barrierefreiheit im Wohnbau eigentlich?
Wem nützt es, wenn zum Beispiel eine Wohnung barrierefrei gestaltet ist?
Was sind die rechtlichen Grundlagen für barrierefreies Bauen?
Über diese und andere Fragen sprechen wir heute mit unseren Gästen.
Die Radiosendung zum Nachhören
Hier kannst du die ganze Sendung anhören:
Hier findest Du die Sendung zum Nachlesen.
Unsere Gäste
- Barbara Sima-Ruml, sie hat Architektur studiert und arbeitet als Lehrbeauftragte an der TU Graz und der FH Joanneum. Sie erklärt uns, was Barrierefreiheit im Wohnbau bedeutet.
- Volker Frey, er ist Gleichstellungsexperte und Generalsekretär des Klagsverbands. Gemeinsam mit dem Österreichischen Behindertenrat und WienWork führte der Klagsverband 2013 ein EU-Projekt zum Thema barrierefreies Wohnen durch.
Interessante Links
- Technisches Merkblatt Anpassbarer Wohnraum (Steiermark)
- EU-Projekt zum barrierefreien Wohnen aus dem Jahr 2013
- Sendung 9: Diskriminierung – Wie komme ich zu meinem Recht? (behandelt das Thema Schlichtung und enthält mehr Informationen über die Arbeit des Klagsverbands)
- Artikel Leistbarer Wohnraum darf nicht auf Kosten von Barrierefreiheit gehen
Die Sendung im Radio hören
Wien: Auf Radio ORANGE am 6. September 2020 um 10:30 Uhr. Die Sendung kann auch auf o94.at live gehört werden. Die Wiederholung gibt es am 20. September 2020 um 10:30 Uhr.
St. Pölten: Im campus & city radio am 10. September 2020 um 17 Uhr. Die Sendung kann auch auf cr944.at live gehört werden.
Graz: Im Radio Helsinki am 25. September 2020 um 16:30 Uhr. Die Sendung kann auch auf helsinki.at live gehört werden.
Salzburg: Auf radiofabrik am 14. September 2020 um 18:00 Uhr. Die Sendung kann auch auf radiofabrik.at live gehört werden.
Hier findest Du alle unsere Sendetermine in den verschiedenen Radiosendern
Die Sendung zum Nachlesen
Katharina Müllebner: Herzlich willkommen zu einer neuen Sendung von Barrierefrei Aufgerollt von BIZEPS Zentrum für selbstbestimmtes Leben.
Am Mikrofon begrüßt Sie Katharina Müllebner.
Was ist uns bei einer neuen Wohnung wichtig? Die Lage, die Größe, das Aussehen oder vielleicht auch der Preis?
Für Menschen mit Behinderungen ist noch etwas anderes von entscheidender Bedeutung, wenn es um das Thema Wohnen geht, nämlich die Barrierefreiheit. Damit Menschen mit Behinderungen selbst bestimmen können, wo und wie sie leben, ist es wichtig, dass es ausreichend barrierefreien Wohnraum gibt.
Doch was heißt eigentlich Barrierefreiheit im Wohnbau? Wem nützt sie noch? Und was sind eigentlich die rechtlichen Grundlagen für barrierefreies Bauen?
Diese und andere Fragen rund um das Thema Barrierefreiheit im Wohnbau klären wir heute mit unseren Gästen. Die Audioqualität des Interviews ist etwas anders. Das liegt daran, weil wir das Interview per Videokonferenz geführt haben.
Barbara Sima-Ruml ist Rollstuhlfahrerin. Sie hat Architektur studiert und arbeitet als Lehrbeauftragte an der TU Graz und der FH Joanneum. Sie erörtert für uns, was Barrierefreiheit im Wohnbau eigentlich bedeutet.
Also, Sie sind Lehrbeauftragte an der TU Graz mit Architekturstudium. Was beinhaltet barrierefreies Bauen Ihrer Meinung nach alles?
Barbara Sima-Ruml: Barrierefreies Bauen ist ein sehr umfangreiches/ eine sehr umfangreiche Materie, hat sehr viel Inhalt, weil eigentlich die Barrierefreiheit gar nicht nur Menschen mit Behinderungen betrifft.
Das versuche ich natürlich auch im Zuge meiner Lehrveranstaltungen, die ich halte, rüberzubringen und den Studierenden auch beizubringen, dass sie genauso von der Barrierefreiheit eigentlich profitieren wie jeder andere. Und das ist ja zum Beispiel auch der Unterschied, wenn man es sagt, man baut etwas behindertengerecht, oder man baut etwas barrierefrei.
Abgesehen davon, dass behindertengerecht jetzt mit aller political Correctness nicht so super vereinbar ist, will ich auch behaupten, dass Behindertengerechtigkeit sich mehr darauf bezieht, für Personen mit Behinderungen zu bauen und Barrierefreiheit aber darauf abzielt, wirklich für jeden Menschen zu bauen.
Und wir wollen ja auch niemanden ausschließen, und deshalb bauen wir es für alle Menschen, und deshalb sollten wir barrierefrei bauen.
Nun, wenn etwas nicht barrierefrei ist, dann ist es meistens alt oder schlecht. Deshalb ist es umso schwieriger, auch allen Menschen beizubringen, dass bestehende Gebäude nicht unbedingt die besseren Gebäude sind, sondern die, die wir jetzt bauen, dass die wirklich für alle Menschen so hergestellt sein sollen, dass die barrierefrei sind. Und es ist wirklich nicht so schwer.
Man muss nur früh genug bedenken, wie man etwas barrierefrei baut und nicht im Nachhinein an einem vielleicht guten Entwurf oder an ein wunderschönes Gebäude, dann irgendeine Barrierefreiheit hinauf pfropft, weil genau das ist ja das große Problem.
Denn barrierefrei wird es ja oft noch gleichgesetzt mit Hässlichkeit oder mit, ich sage es dann manchmal, vielleicht auch so mit diesem etwas eigenen Wort Hoppadatschig. Klar, man glaubt, dann ist es irgendwie so, ja, jetzt muss die Barrierefreiheit a no werden, und den Brandschutz brauche ich auch noch. Okay. Na gut, dann baue ich halt irgendwo einen Feuerlöscher hin und im Wohnbau einen Haltegriff hin. Da habt ihr es. Und mein schönes Gebäude schaut jetzt total blöd aus, nur wegen euch.
Und dem möchte ich entgegenwirken. Vor allem hinsichtlich meiner Vorlesung bei meinen Studierenden kommt es auch wirklich ganz gut an, dass die von vornherein dann auch gleich die Barrierefreiheit in ihre Entwürfe mit einbeziehen.
Katharina Müllebner: Wie würde das praktisch aussehen, wenn man jetzt einen Wohnraum barrierefrei gestalten möchte? Wie geht man da konkret vor? Macht man da eine Liste und sagt, das und das muss gemacht werden? Wie geht man da vor?
Barbara Sima-Ruml: Barrierefreier Wohnbau ist in seiner ursächlichen Form so nicht wirklich gefordert in den meisten Bundesländern. Wir sprechen meistens vom anpassbaren Wohnbau. Das heißt, in den allermeisten österreichischen Landesgesetzen ist anpassbarer Wohnbau gefördert ab einer gewissen Anzahl von Wohnungen und auch hier und da auch nur für eine gewisse Anzahl von Wohnungen.
Konkret bedeutet das, man baut ein Gebäude mit mehreren Wohnungen drin. Dann muss man darauf schauen, dass die Wohnung so gestaltet ist, dass zu einem späteren Zeitpunkt die Wohnungstür leicht barrierefrei angepasst werden kann. Die allgemein zugänglichen Flächen, also das sind, wenn man bei der Haustüre reinkommt oder zu den Postkästen geht, diese Flächen zum Beispiel oder die Kellerflächen oder der Aufzug und die Gänge, die müssten von vornherein barrierefrei sein.
Aber natürlich versucht man, dass der anpassbare Wohnbau dahingeht, dass jene Wohnungen, die gut anpassbar sind und später dann auch barrierefrei angepasst werden können, dass die mit einem Aufzug erreicht werden können. (00:05:49)
Katharina Müllebner: Aber diese Anpassbarkeit der Wohnungen, für die wäre dann der Privatmann zuständig, dass du das umbauen kannst, oder muss das dann…?
Barbara Sima-Ruml: Ja, der Gesetzgeber geht davon aus, dass es ausreichend sein müsste, wenn eine Wohnung anpassbar ist. Man geht davon aus, dass dann Personen, die eine Behinderung erwerben. Die können dann ihre Wohnung auch mit Hilfe von Förderungen auf ihre individuellen Anforderungen anpassen.
Katharina Müllebner: Diese Art führt mich zu der nächsten Frage: Kann man überhaupt von so etwas wie eine allgemeine Barrierefreiheit sprechen, oder ist das sehr individuell?
Barbara Sima-Ruml: Ja, da sind wir wieder bei einem der wichtigsten Topics. Die Barrierefreiheit per se wird einfach als einen Zustand beschrieben. Der Zustand einer baulichen Anlage oder einer Dienstleistung, die für Fremde/für Menschen mit Behinderungen ohne fremde Hilfe zu bewerkstelligen wäre oder nutzbar wäre. Das ist die Definition.
Aber ich finde, dass Barrierefreiheit eigentlich viel weiter gegriffen ist.
Barrierefreiheit bedeutet einfach, dass es für jeden nutzbar ist. Jetzt ist es aber auch so, dass natürlich nicht alle Menschen Barrierefreiheit brauchen. Aber alle Menschen könnten sie nutzen.
Und wenn man sagt, man hat eine spezielle Behinderung, dann würde ich wirklich und gerade im privaten Bereich, gerade im Wohnbereich, würde ich wirklich darauf achten, dass die Wohnung nicht nach einer bestimmten Norm oder nach einer bestimmten Richtlinie hergestellt wird oder adaptiert wird, sondern wirklich auf die eigene Behinderung zugeschnitten. Was uns wieder dazu führt, dass der anpassbare Wohnbau eigentlich der Schlüssel dazu ist, dass Personen später ihre gut anpassungsfähige Wohnung dahingehend anpassen können, wie sie es auch wirklich brauchen.
Katharina Müllebner: Kommen wir zum Thema Architektur. Was muss Architektur generell alles leisten und welche Rolle spielt Barrierefreiheit dabei?
Barbara Sima-Ruml: Architektur soll eigentlich die Umgebung dafür bilden, dass Menschen in einem guten und glücklichen Umfeld wohnen, leben und arbeiten können. Die gebaute Umwelt, wenn die barrierefrei ist, dann ist es für viele Menschen einfach leichter. Ein Wohnbau ist zum Wohnen da. Gebäude, wo gearbeitet wird, sind zum Arbeiten da. Diese Dinge werden dort verrichtet und idealerweise barrierefrei.
Natürlich hängt es aber auch von der Architektur ab, ob wir uns wohlfühlen. Und in einem Gebäude, das barrierefrei ist, aber das vielleicht auch eine Art überschießende oder überbordende extra Barrierefreiheit, ja vielleicht etwas, was auch gar nicht notwendig wäre, was so in die Augen sticht und es unglaublich ungemütlich macht. Ja, mit unglaublich vielen Handläufen, weil man bei jedem Schritt stolpern könnte. Oder mit ganz vielen Markierungen, die so kontrastreich sind, dass man gar nicht mehr erkennt, was die Markierung, was ist keine Markierung? Das wäre dann eben zu viel.
Man muss auch hier mit Maß und Ziel die Entwürfe bei der Architektur dahingehend anpassen, dass nur dort, wo es wirklich notwendig ist, auch die Anforderungen an die Barrierefreiheit erfüllt werden.
Katharina Müllebner: Wer sind die überhaupt? Diejenigen, die entscheiden können, wie gebaut wird und wie viel davon tatsächlich ein Architekt entscheiden?
Barbara Sima-Ruml: Ja, natürlich, da muss man ganz ehrlich sagen, es gibt in jedem Bundesland Baugesetze, und in den Baugesetzen wird eigentlich ganz klar dargestellt, was barrierefrei sein muss und was nicht.
Die Klassiker: ein öffentliches Gebäude, Bildungseinrichtungen, gesunde und soziale Einrichtungen und so weiter und so fort. Das sind alles Gebäude, die müssen laut dem Baugesetzen in Österreich, den Landesgesetzen, barrierefrei sein. Da kann man nicht einfach sagen, okay nein, ich baue jetzt hier eine Schule. Ich finde es so schön, da mache ich jetzt acht Stufen rauf und wer braucht schon einen Lift? Das geht nicht. So etwas darf ich nicht machen.
Das heißt, es gibt schon einmal gesetzliche Richtlinien, die wirklich darauf abzielen, dass die Barrierefreiheit erfüllt wird. Darüber hinaus ist es natürlich dann immer eine Frage dessen, wie sehr sich jemand auskennt und wie gut man in der Materie sattelfest ist, um auch die richtigen Entwurfsentscheidungen zu machen. Das versuche ich auch zu vermitteln, und das versuche ich auch irgendwie oder das soll auch einfach rübergebracht werden an die Planung, an die Architekten, dass die Inklusion dort beginnt, wo die Barrierefreiheit ganz normal wird.
Wo nicht irgendwann einmal, im Entwurfsprozess heißt es dann, oje blöd, jetzt müssen wir barrierefrei auch noch bauen. Nein. Wenn im Entwurfsprozess einfach von vornherein alles, was die Barrierefreiheit betrifft, auch mit aufgenommen wird.
Katharina Müllebner: Wissen Architektinnen und Architekten Ihrer Meinung nach genügend über die Normen von Barrierefreiheit Bescheid? Ist das ein Thema in Architektur, im Architekturstudium? Ich weiß, Sie unterrichten das, aber haben Sie das Gefühl, dass generell…?
Barbara Sima-Ruml: Habe ich das Gefühl, dass Architekten das wissen? Ich meine, es ist so. Wenn man ein Gebäude baut, dann muss man einen Plan zeichnen und den einreichen bei der Baubehörde. Und die Baubehörde prüft diesen Plan und schaut, ob wirklich das jeweilige Baugesetz eingehalten ist.
Also muss eigentlich eine Baubehörde auch prüfen, ob die Barrierefreiheit gegeben ist. Und wenn sie nicht gegeben ist, dann darf es eigentlich auch keinen positiven Baubescheid geben.
Katharina Müllebner: Öffentliche Gebäude müssen barrierefrei sein. Aber in wieweit gibt es bei Wohnbauten die Verpflichtung, barrierefrei zu planen und auszuführen?
Barbara Sima-Ruml: Ja, da gibt es eben in den meisten Bundesländern in Österreich den anpassbaren Wohnbau. Und da, die Anpassbarkeit ist fast überall verpflichtend. Aber wie viel, ist immer unterschiedlich in den unterschiedlichen Bundesländern. In der Steiermark haben wir es seit Februar wieder 100 Prozent anpassbarer Wohnbau in allen Wohngebäuden mit mehr als drei Wohnungen. Also nehmen wir an, jemand baut ein Gebäude mit fünf Wohnungen. Dann müssten die Wohnungen auch wirklich alle barrierefrei anpassbar sein.
Ich finde das auch viel besser als die Barrierefreiheit selber, weil, es gibt Personen, die mögen eine Badewanne haben. Es gibt Personen, die finden es besser, ein kleines Klo zu haben oder ein getrenntes Klo zwischen Bad und WC. Das ist einfach ein persönlicher Geschmack. Aber wenn man es braucht, muss es möglich sein, dass eine barrierefreie Anpassung funktionieren kann.
Und das ist mit dem anpassbaren Wohnbau auch gegeben. Ich finde, dass der anpassbare Wohnbau besser ist, also dass jede Wohnung angepasst werden kann, besser ist, als wenn wir sagen, okay, wir bauen so viele Wohnungen, wie wir Menschen mit Behinderungen haben, barrierefrei um.
Und wenn ich dann finde, ich möchte im sechsten Stock wohnen, und ich komme dort hin, dann sagt er, oh tut mir leid, die barrierefreien Wohnungen sind im zweiten Stock. Das finde ich nicht okay. Aber wenn ich im sechsten Stock eine anpassbare Wohnung hätte, könnte ich sie mir selbstbestimmt anpassen, und zwar direkt auf meine Behinderung angepasst.
Katharina Müllebner: Man kennt ja die Behauptung, barrierefreies Bauen verursacht mehr Kosten. Was sagen Sie zu diesem Argument?
Barbara Sima-Ruml: Ja, was sage ich dazu? Ich kann eigentlich/ ich muss einfach nur lachen, weil eben genau das der anpassbare Wohnbau ja ausschaltet. Das ist einfach/ es ist keine Lüge, es ist einfach nur eine Erfindung, die mich zum Lachen bringt.
Was mir wichtig ist, ist, dass die Menschen, die eine Behinderung haben und die auf Barrierefreiheit angewiesen sind, dass die sich vielleicht etwas mehr auch auf die Beine stellen und ihre Rechte einfordern. Wenn man dann wirklich in so ein Gebäude einzieht, das neu ist, und das dann nicht anpassbar ist und nicht in den allgemeinen Flächen barrierefrei, dann würde ich wirklich jeden bitten, in ganz Österreich, sich zu erkundigen, ob das rechtens ist, und dann auch wirklich schauen und dann auch wirklich sein Recht einfordern, weil nur dann wird es diese Fehler, die ich früher erwähnt habe, dass man einfach ein Gesetz übergeht, wenn man sagt, ja, es merkt jetzt eh keiner, ob wir da jetzt drei Zentimeter oder acht Zentimeter haben.
Dann wird es das in naher Zukunft vielleicht nicht mehr geben, weil, es kommt vor, dass etwas nicht barrierefrei gebaut wird. Und wenn es niemanden gibt, der das aufzeigt, dann wird es einfach nicht aufhören, dass so etwas vorkommt.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Volker Frey ist Gleichstellungsexperte und Generalsekretär des Klagsverband. 2013 hat der Klagsverband gemeinsam mit Wien Work und dem österreichischen Behindertenrat ein EU-Projekt zum Thema barrierefreies Wohnen durchgeführt. Dort ging es um die Frage, welche Rechte Einzelpersonen haben, wenn sie eine Wohnung barrierefrei umbauen möchten oder barrierefreien Wohnraum für sich beanspruchen möchten.
Die Studie betrachtet die rechtliche Situation in Österreich, aber auch auf europäischer und internationaler Ebene. Als wichtiger Maßstab für die Studie dient die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.
Guten Tag, Herr Frey. Schön, dass Sie heute da sind. Was sind denn allgemein die rechtlichen Grundlagen für barrierefreies Bauen?
Volker Frey: Die Grundlagen fürs barrierefreie Bauen sind in erster Linie Bauordnungen, Bautechnikgesetz, Bautechnikverordnungen der Länder, die bei älteren noch auf technische Normen.
Nach diesem Prinzip werden Gebäude, generell Wohngebäude, gebaut. Und dann gibt es noch spezielle Regelungen, wenn es um Wohnungseigentum geht, wenn es um Miete von Wohnungen geht und natürlich auch das Behindertengleichstellungsgesetz, das in Einzelfällen anwendbar sein kann.
Katharina Müllebner: Diese Bauordnungen, habe ich gehört, sind ja sehr unterschiedlich, also Bundesländer- spezifisch sehr unterschiedlich. Was bewirkt diese Unterschiedlichkeit der Bauordnungen, wenn es um barrierefreien Wohnbau geht?
Volker Frey: Diese unterschiedlichen Regelungen und Niveaus von Barrierefreiheit bewirken vor allem, dass es ganz schwierig ist, zum Beispiel in den Ausbildungen von den einzelnen Berufsgruppen, von ArchitektInnen über Baumeister und Baumeisterinnen bis zu verschiedenen Handwerken, das gut zu unterrichten. Weil, wenn ich etwa in Amstetten oder in Ybbs bin und nach dem österreichischen Baurecht unterrichtet würde, das in Wien oder in Oberösterreich schon ganz anders sein kann.
Katharina Müllebner: Es gibt ja die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Wie wichtig ist diese, wenn es um das Recht auf barrierefreies Wohnen geht?
Volker Frey: Die UN-Konvention sagt natürlich einerseits, dass Barrierefreiheit ein Menschenrecht ist. Und andererseits wird noch auf barrierefreies Wohnen und gleichberechtigtes Wohnen hingewiesen.
Also es ist barrierefreies Wohnen und die Auswahl, wo ich wohnen will, die Wahl meines Wohnorts. Diese Dinge sind mehrfach in der UN-BRK festgelegt.
Die zentrale Norm zur Barrierefreiheit ist Artikel 9 der UN-Konvention. Der besagt im Kern, dass alle gestalteten Umwelten barrierefrei sein müssen, das heißt, dazu zählen natürlich auch Gebäude, öffentliche Gebäude, Wohngebäude, Verkehrsmittel, aber eben auch Kommunikationsmittel und ähnliches.
Katharina Müllebner: Was müsste passieren, damit die Bestimmungen der UN-Konvention, Wohnraum barrierefrei zu planen und auszuführen, auch tatsächlich in der Praxis umgesetzt werden?
Volker Frey: Tatsächlich müssten neben den Bauordnungen, die ja einen sehr niedrigen Standard von Barrierefreiheit vorsehen, müssten auch in den ganzen Wohngesetzten speziellere Bestimmungen aufgenommen werden. Das sind besonders das Wohnungseigentumsgesetz, das Mietrechtsgesetz, aber auch zum Beispiel das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz.
Katharina Müllebner: Ist eine bauliche Barriere eigentlich eine Diskriminierung?
Volker Frey: Ja. Eine bauliche Barriere ist eine mittelbare Diskriminierung. Mittelbare Diskriminierung sind solche Diskriminierungen, die auf den ersten Blick neutral sind, aber tatsächlich eine Gruppe besonders benachteiligen.
Katharina Müllebner: Welche Rechte habe ich als Einzelperson, wenn ich meine Wohnung barrierefrei umbauen möchte?
Volker Frey: Das hängt sehr davon ab, in erster Linie einmal, ob es eine Eigentumswohnung ist oder eine Mietwohnung. Bei der Eigentumswohnung kann ich ja grundsätzlich in der Wohnung alles nach eigenen Wünschen, so lange es der Bauordnung entspricht, ändern. Bei der Mietwohnung kommt noch dazu, dass ich mit dem Vermieter oder der Vermieterin auch ausmachen muss, ob das Mietobjekt verändert werden kann.
Und da gibt es oft noch die Auflage, dass ich, wenn ich nachher ausziehe, dass ich die Wohnung wieder zurückbaue. Das heißt, ich hätte eigentlich zweimal die Kosten, um eine Barriere zu beseitigen. Und unter Umständen, wenn ich ausziehe, dann auch noch einmal die Kosten, um den ursprünglichen Zustand der Wohnung herzurichten.
Katharina Müllebner: Und wenn jetzt der Vermieter im Fall einer Mietwohnung sagt, ich darf zum Beispiel mein Bad nicht barrierefrei umbauen, was kann ich denn da machen?
Volker Frey: Auch in dem Fall kann ich klagen. Und dann würde das Gericht abwägen, wessen Interessen stärker wiegen. Das von mir, das Mietobjekt zu nutzen oder das vom Vermieter, der aus welchen Gründen auch immer keine Änderungen an der Wohnung haben will.
Katharina Müllebner: Kann es dann zu einer Klage tatsächlich dazu führen, dass die Barriere dann wirklich beseitigt wird? Oder hat man da keinen Rechtsanspruch drauf?
Volker Frey: Das hängt sehr vom Urteil ab. Aber es kann heißen, ja, ich habe ein Recht darauf, das umbauen zu lassen, weil zum Beispiel in meinem Mietvertrag steht, dass ich auch die Waschküche oder ähnliches mitnutzen will. Die zweite Sache ist immer, wer muss da die Kosten übernehmen? Und das kann auch von Einzelfall zu Einzelfall sehr unterschiedlich sein.
Katharina Müllebner: Kann es auch sein, dass ich die Kosten übernehmen muss?
Volker Frey: Das kann durchaus passieren.
Katharina Müllebner: Kommen wir noch mal zurück zu mieten. Was ist, wenn ich das Gefühl habe, ich bekomme eine Wohnung nicht, weil ich eine Behinderung habe?
Das heißt, ich sehe eine Anzeige irgendwo, mache mir einen Termin aus und erwähne dann aber, wenn ich den Termin ausmache, ich sitze im Rollstuhl, und der sagt dann plötzlich, hey, die Wohnung ist schon vergeben. Und ich habe irgendwie das Gefühl, das ist aufgrund meiner Behinderung. Was kann ich da machen?
Volker Frey: Dass der eine Diskriminierung aufgrund einer Behinderung nach dem Behindertengleichstellungsgesetz, dem BGStG, zu Wehr setzen könnte. Ich werde so was natürlich zuerst immer im direkten Kontakt versuchen, zu regeln. Wenn sich da keine Lösung findet, kann ich eine Schlichtung beim Sozialministerium Service machen und wenn diese Schlichtung scheitert, könnte ich klagen.
Das Bittere daran ist, dass ich nicht auf dem Mietvertrag klagen kann, sondern dass sich immer nur auf Schadenersatz klagen kann und der es in Österreich tendenziell eher gering. Das heißt, es ist leider nichts sehr Abschreckendes.
Katharina Müllebner: Sie haben ja 2013 ein Projekt zum barrierefreien Wohnbau gemacht. Was war da die Fragestellung des Projektes?
Volker Frey: Wir haben genau die Fragen, über die wir uns jetzt unterhalten haben, damals untersucht. Wie sind die Bauordnungen der Länder? Und welche Möglichkeiten habe ich bei Eigentum oder Miete, dass ich Wohnungen barrierefrei gestalten kann?
Ich finde das Wichtigste wäre, wirklich von Anfang an Bauordnungen eine umfassende Barrierefreiheit und eine Verpflichtung zum anpassbaren Wohnbau zu fordern.
Weil gerade in den allgemein zugänglichen Räumen geht es ja. Die sollten umfassend barrierefrei sein. In den einzelnen Wohnungen bedeutet für die Einzelpersonen Barrierefreiheit oft was Unterschiedliches.
Aber da sollte so gebaut werden, dass mit möglichst geringem finanziellem und sonstigem Aufwand und möglichst schnell eine Wohnung so adaptiert werden kann, dass sie genau für mich passt.
Katharina Müllebner: An dieser Stelle noch eine Anmerkung. Wenn Sie mehr über das Thema Klagsverband und Schlichtungen erfahren möchten, können Sie in unsere neunte Sendung mit dem Titel „Diskriminierung – Wie komme ich zu meinem Recht?” hineinhören.
Barrierefreier Wohnraum ist wichtig und das nicht nur für Menschen mit Behinderungen. Von Barrierefreiheit profitiert letztendlich die ganze Gesellschaft, denn wir alle werden älter, verletzen uns vielleicht dann und wann, oder haben zum Beispiel Kinder, die noch einen Kinderwagen brauchen. Barrierefreies Wohnen ist damit nicht nur ein Recht für Menschen mit Behinderungen, sondern ein Menschenrecht für uns alle.
Das war unsere Barrierefrei Aufgerollt Sendung zum Thema Wohnen.
Die gesamte Studie, die wir in der Sendung erwähnt haben, sowie andere interessante Informationen zum Thema, finden Sie wie immer auf unserer Internetseite www.barrierefrei-aufgerollt.at. Es verabschiedet sich ihr Redaktionsteam Katharina Müllebner, Markus Ladstätter und Martin Ladstätter.
[Musik mit Text: barrierefrei aufgerollt – kurz, kompakt und leicht verständlich.]