In einigen unserer barrierefrei aufgerollt Sendungen möchten wir Ihnen Menschen vorstellen, die sich beruflich oder privat sehr für die Rechte von Menschen mit Behinderungen einsetzen.
Ein Beispiel dafür ist Yetnebersh Nigussie, sie war 2018 bei uns in einer Sendung zu Gast.
Ein paar dieser interessanten Persönlichkeiten aus dem Behindertenbereich werden wir in Zukunft eigene Sendungen, sogenannte „barrierefrei aufgerollt Portraits“ widmen.
In dieser Sendung spricht Markus Ladstätter mit dem deutschen Aktivisten Raul Krauthausen.
Die Radiosendung zum Nachhören
Hier kannst Du die ganze Sendung anhören:
Hier findest Du die Sendung zum Nachlesen.
Unser Gast
Raul Krauthausen, Gründer des Vereins „Sozialhelden“, Autor, Redner und Moderator. Mehr Informationen gibt es auf seiner Seite.
Die Sendung im Radio hören
Wien: Auf Radio ORANGE 94.0 am 4. August 2019 um 10:30 Uhr. Die Sendung kann auch auf o94.at live gehört werden.
St. Pölten: Im campus & city radio am 8. August 2019 um 17:00 Uhr. Die Sendung kann auch auf cr944.at live gehört werden.
Salzburg: Auf radiofabrik 107,5 & 97,3 MHz am 12. August 2019 um 18:00 Uhr. Die Sendung kann auch auf radiofabrik.at live gehört werden.
Hier findest Du alle unsere Sendetermine in den verschiedenen Radiosendern.
Die Sendung zum Nachlesen
Katharina Müllebner: Herzlich Willkommen zu unserer heutigen Sendung von barrierefrei aufgerollt von BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben. Am Mikrofon begrüßt Sie Katharina Müllebner.
In unserer Sendereihe beschäftigen wir uns mit den Themen Teilhabe und Inklusion. Während unserer Arbeit, begegnen uns immer wieder Personen, die sich entweder beruflich oder privat stark für die Rechte von anderen Menschen mit Behinderungen einsetzen.
Ein Beispiel dafür ist die äthiopische Rechtsanwältin und Behindertenaktivistin Yetnebersh Nigussie. 2018 hatten wir sie in unserer Sendung zu Gast.
Es gibt viele interessante Persönlichkeiten im Behindertenbereich. Ein paar von diesen Personen werden wir in Zukunft eigene Sendungen, sogenannte Portraits, widmen.
Für diese Sendung hat sich mein Kollege Markus Ladstätter mit dem deutschen Aktivisten Raul Krauthausen getroffen der im Zuge einer Veranstaltung in Wien war. Sein Engagement ist vielfältig neben Redner, Autor und Moderator seiner eigenen Talkshow „Krauthausen Face to Face“ hat er außerdem die Sozialhelden gegründet. Diese Gruppe setzt sich seit 15 Jahren für Inklusion, Teilhabe und Barrierefreiheit ein.
Sie hören ein barrierefrei aufgerollt Portrait „Im Gespräch mit Raul Krauthausen.“
[Überleitungsmusik]Markus Ladstätter: Wie würden Sie sich beschreiben und wer ist Raul Krauthausen?
Raul Krauthausen: Raul Krauthausen ist ein ungeduldiger Mann, der 1980 geboren ist, im Rollstuhl sitzt und seit, ja, ich würde sagen ungefähr 15, 16 Jahren sich für die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Deutschland einsetzt und mehr oder weniger zu diesem Thema gekommen ist durch Zufall, weniger durch Plan.
Markus Ladstätter: Es gibt ja das Wort Behindertenaktivist, sehen Sie sich eher als Behindertenaktivist oder als politischer Aktivist bzw. gibt es da überhaupt einen Unterschied?
Raul Krauthausen: Ich würde gerne mich einfach als Aktivist bezeichnen, der sich für die Rechte behinderter Menschen einsetzt, weil Behindertenaktivist, das würde mich schon wieder so in eine Ecke stellen, dass ich mich praktisch nur für Menschen mit Behinderungen einsetze, weil ich selber eine Behinderung habe.
Aber ich beobachte, je länger ich mich in diesem Thema tummele, dass es unglaublich viele Schnittmengen gibt mit anderen Minderheiten in unserer Gesellschaft oder unterdrückte Gesellschaftsgruppen, sodass ich mich vielleicht auch zu denen zählen würde, wenn ich zum Beispiel auch eine Frau wäre oder auch einen Migrationshintergrund hätte.
Habe ich aber nicht, deswegen setze ich mich vor allem für behinderte Menschen ein, aber sehe sehr viele Gemeinsamkeiten.
Markus Ladstätter: Wie sind Sie zu diesem Themenfeld genau gekommen? Also Sie haben erzählt, Sie sitzen im Rollstuhl, war das für Sie dann von vorn herein klar, dass Sie sich in diesem Themenfeld betätigen wollen?
Raul Krauthausen: Nein, überhaupt nicht war das klar. Ich habe ganz normal studiert, bin ganz normal auf eine Schule gegangen, wo Kinder mit und ohne Behinderungen gemeinsam beschult wurden. Ich hatte eine tolle Kindheit. Ich hatte eine tolle Studienzeit und habe erst sehr spät realisiert, dass meine Laufbahn gar nicht so typisch war, wie die Laufbahn vieler anderer Menschen mit Behinderungen in Deutschland.
Das heißt, ich hatte das Glück ziemlich gut ausgebildet zu sein und mir wurde erst sehr spät klar, dass es nicht der Normalfall ist und wollte aber auch gleichzeitig gar nicht so viel mit Menschen mit Behinderungen zu tun haben, weil, ich dachte immer, nur weil ich selber eine Behinderung habe, muss das ja auch nicht heißen, dass mein Freundeskreis behindert ist oder.
Meine Eltern haben immer versucht, mich mit anderen Behinderten bekanntzumachen und ich fand das irgendwie immer unangenehm, weil ich dachte: Na ja, nur weil jemand auch im Rollstuhl sitz, muss das ja nicht heißen, dass wir beste Freunde werden. Und habe mir meine Freunde eigentlich eher nach Interessen ausgesucht. Und ich habe bis zu meinem 27. Lebensjahr keine behinderten Freunde gehabt.
Und irgendwann in meinem Studium fiel mir auf, dass da irgendwie eine Seite in mir ist, die noch völlig, ja, unbearbeitet ist. Also jetzt gar nicht so sehr im psychologischen Sinne, so was wie ich müsste meine Behinderung akzeptieren lernen oder so, sondern ich hatte irgendwie das Gefühl ich habe eine Seite noch nicht erkundet, die die Welt der Menschen mit Behinderungen ist.
Und habe dann meine Diplomarbeit geschrieben über die Darstellung behinderter Menschen im deutschen Fernsehen. Und während ich, recherchierte an dieser Sendung habe ich total viel Literatur aus den USA gelesen, die man jetzt vielleicht unter Disability Studies einordnen würde und merkte, dass das eine unglaublich spannende Welt ist.
Dass Dinge, die ich mein Leben lang beobachtet habe, plötzlich vor 30 Jahren schon mal jemand in ein Buch geschrieben hatte, nicht? Also die ganzen Weisheiten gab es schon.
Und habe mich dann in dieses Thema hereingefuchst und fing immer mehr an auch behinderte Menschen zu lesen und auch kennenzulernen und fand dann irgendwann Gefallen an diesem Thema.
Eigentlich habe ich in der Werbe- und Medienwelt gearbeitet, habe da eigentlich auch meine Karriere begonnen und dachte dann aber irgendwann: Nein, du musst etwas anderes machen. Und habe dann mit Freunden zusammen die Sozialhelden gegründet, weil wir geglaubt haben, wir können vielleicht mit dem professionellen Wissen, das wir haben, über professionelle Kommunikation einen Beitrag für behinderte Menschen in Deutschland leisten, wie man das Thema aus dieser paternalistischen Charity Ecke herausholt, die das soziale Modell von Behinderung eher in den Mittelpunkt stellt und nicht das medizinische.
Markus Ladstätter: Das erinnert mich auch an ein Zitat, das ich einmal von Ihnen gelesen habe, und zwar: Zehn Prozent der Menschen haben, laut Ihrer Aussage, eine Behinderung, aber nicht jeder Zehnte in Ihrem Freundeskreis ist behindert.
Raul Krauthausen: Inzwischen schon, aber damals war das so. Es ist auch nicht jeder Zehnte in meinem, sagen wir einmal, sonstigen, erweiterten Umfeld behindert. Und ich beobachte das ja auch im Freundeskreis meiner Freunde, nicht, dass die ja auch vor allem nicht behinderte Freunde haben und ich bin total oft der erste Mensch mit Behinderung auf den Leute treffen. Und die Leute sind 40. Dass man schon oft die Frage stellen kann: Woran liegt das?
Und das liegt unter anderem daran, bin ich fest davon überzeugt, weil Menschen mit Behinderungen in Deutschland und wahrscheinlich ist es in Österreich ähnlich, systematisch aussortiert werden aus der Mehrheitsgesellschaft in Sondereinrichtungen, Behindertenfahrdiensten, Förderschulen, Berufsbildungswerken, Behindertenheimen, Behindertenwerkstätten und nicht in der Mitte der Gesellschaft sind.
Markus Ladstätter: Wie wichtig ist für Sie Bildung für die Umsetzung von Inklusion?
Raul Krauthausen: Ich denke, das ist eine Gelingensbedingung für Inklusion, dass Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam aufwachsen. Es ist/sollte schon im Kindergarten anfangen. Wenn man Kinder dabei beobachtet, wie sie gemeinsam aufwachsen, dann wird man feststellen, dass die Andersartigkeit, die Erwachsene zwischen behindert und nicht behindert sehen, die sehen die Kinder gar nicht.
Die sind vielleicht am Anfang interessiert und neugierig, aber nach spätestens drei Stunden hat sich das für die irgendwie zu der neuen Normalität entwickelt und es ist super schön Kinder dabei zu beobachten, wie sie miteinander spielen und auch umgehen, völlig unabhängig davon, ob jemand weiß, schwarz, behindert oder nicht behindert ist. Und wenn Kinder das von der Pike auf lernen, dann wird es ihnen später im Erwachsenenalter auch weniger schwerfallen auf ihn oder sie später zuzugehen, wenn er oder sie eine Behinderung haben.
Ich finde es mühsam und müßig, in Deutschland zumindest, immer wieder neu zu diskutieren, ob Inklusion an der Schule gelingt oder nicht, weil wir werden in diesen Debatten immer genug Fälle finden, wo es gelingt oder nicht gelingt. Beide Seiten. Und das hilft uns nicht weiter.
Wir werden auch genug Fälle auftreiben können, garantiert, wo Jungs darunter leiden, dass Mädchen in der Klasse sind und Mädchen darunter leiden, dass Jungs in der Klasse sind.
Aber wir haben uns nun mal gesellschaftlich dazu entschieden, dass Jungs und Mädchen gemeinsam beschult werden sollen. Und an den Punkt müssen wir beim Thema Inklusion, also gemeinsame Beschulung von Kindern mit und ohne Behinderung, auch kommen. Das heißt, dass wir nicht mehr darüber diskutieren, ob Inklusion an der Schule gehen kann oder nicht, sondern wir dürfen nur noch darüber reden, wie.
Was mich in Deutschland besonders nervt ist, dass wir auch den falschen Leuten zuhören. Also ein Lehrer oder eine Lehrerin hat nicht das Mandat zu entscheiden, was für ein Kind er oder sie unterrichtet. Also ob das Kind rote Haare hat, Veganerin ist oder im Rollstuhl sitzt, hat die Lehrerin oder der Lehrer nicht zu entscheiden, ob das in der Klasse sein darf oder nicht. Genauso wenig haben Eltern nicht behinderter Kinder etwas zu melden, ob sie wollen, dass behinderte Kinder an der Klasse ihrer Kinder sind.
Und schon gar nicht, ehrlich gesagt, haben Politikerinnen das zu beurteilen, weil die ja nie unterrichtet haben. Und die einzigen, die in Deutschland juristisch die Autorität haben zu entscheiden, welches Kind in welche Klasse kommt, ist die Schulbehörde. Und nur die darf das am Ende entscheiden.
Und soweit ich das Schulgesetz verstanden habe, ist die Schule die beste, die in der Nähe ist. Und nicht die Schule, die am besten für das Kind ist. Würden wir danach gehen, würden wir in ganz Deutschland die Kinder hunderte Kilometer durch das Land fahren, um die vermeintlich beste Schule für das Kind zu finden. Aber eigentlich ist die Idee, dass die Schule in der Nähe die Schule für die Kinder ist. Und da müssen wir die Frage stellen: Wie kann eine wohnortnahe Inklusion gelingen, ohne dass wir Kinder kilometerweit durch das Land fahren müssen, damit sie die richtige Schule finden.
Es stellt die Systemfrage, es stellt die Frage: Können wir die Schule den Kindern anpassen? Oder, und so ist es im Moment, wollen wir wirklich die Kinder der Schule anpassen? Und ich denke wir müssen die Schule so bauen, dass sie auf die Bedürfnisse aller Kinder eingehen kann und das schließt Kinder mit Behinderungen mit ein.
Ich würde gerne auch mit so ein paar Mythen mal aufräumen, wenn es um das Thema Inklusion geht. Also es wird zum Beispiel ständig gesagt, dass Lehrerinnen und Lehrer erst ausgebildet werden müssen, so, bevor sie Kinder mit Behinderungen unterrichten können.
Da muss ich leider sagen, es wird kein Superreferendar aus der Universität kommen, der alle Behinderungen gelernt hat. Das wird es nicht geben.
Weil A gibt es so viele Behinderungsformen, das kann man gar nicht lernen. Und B ist die Annahme dahinter auch falsch. Also Eltern behinderter Kinder waren vorher auch nicht ausgebildet, sondern sie sind einfach Eltern behinderter Kinder geworden. Und jetzt darauf zu warten, dass wir erst mal alle Lehre ausgebildet haben, bevor sie Kinder mit Behinderungen unterrichten dürfen, ist eine/letztendlich eine Hinhaltetaktik.
Und ich denke, dass gerade bei Kindern wir sehen müssen, dass es sich hierbei in aller, aller erster Linie um Kinder handelt und nicht um Behinderte.
Das heißt, ich als Lehrerin, die gerne Kinder unterrichtet, muss doch so viel menschlichen Verstand haben zu sehen, dass das Kind mit Behinderungen ein Kind ist. Und genau so ein Bedürfnis nach Spielen, Lernen und Freundschaften hat und völlig egal, ob es einen Arm, drei Arme, fünf Arme, einen Rollstuhl hat oder gehörlos ist oder Muskelschwund oder eine Nussallergie hat, ja. Also das ist/in allererster Linie ist das ein Kind. Und dieses Potenzial zu sehen, das ist die Aufgabe der Lehrerinnen und Lehrer und nicht die ganze Zeit mit einer Diagnostik herumzurennen.
Der zweite Mythos, den es natürlich gibt, ist, dass wir glauben im Diskurs, wenn man die Debatte sich anguckt über Inklusion in der Schule, dass Kinder mit Behinderungen untergehen könnten im Regelunterricht. Ist ja auch so ein Mythos. Nicht? Sie könnten gemobbt werden von den nicht behinderten Schülerinnen oder sie würden nicht schnell genug im Unterricht mitkommen, das wäre ja auch frustrierend. Und deswegen müssen wir die Kinder mit Behinderungen schützen vor diesen Niederlagen in Fördereinrichtungen und da geht es ihnen dann besser. Das ist das Narrativ.
Aber in Wirklichkeit schützen wir die Mehrheitsgesellschaft davor sich mit dem Thema Vielfalt und Behinderungen auseinanderzusetzen. Mit dem Schutzargument der Schwachen schützen wir eigentlich die Mehrheitsgesellschaft.
Und Mobbing kommt in jeder Klasse vor. Mobbing gibt es auch in Förderschulen. Da mobben sich die Behinderten untereinander. Und wenn in einer Regelschule ein behindertes Kind gemobbt wird, dann hat die Lehrkraft und die Klassengemeinschaft dagegen vorzugehen. Da gibt es Methoden, es gibt Antimobbingmaßnahmen in Klassenverbünden, die kann man machen, die auch funktionieren. Aber es ist hoch gefährlich einem Opfer von Mobbing eine Mitverantwortung zu geben, damit es nicht mehr gemobbt wird. Und diese Mitverantwortung bedeutet, ich stecke das Kind mit Behinderungen in eine Förderschule, damit es in der Regelschule nicht gemobbt wird.
Das ist genau das gleiche, wie wenn man einer Frau sagt: Wenn du nicht sexuell belästigt werden möchtest, dann ziehe keinen Minirock an. Aber die Frau ist nicht das Problem, sondern die Männer sind das Problem. Und hier muss man, glaube ich, ganz klar auch einmal auf den Tisch hauen und sagen: Leute, nicht die Kinder mit Behinderungen sind das Problem, sondern das Phänomen Mobbing. Und wenn ich mich an meine Grundschulzeit zurückerinnere, gab es bei uns auch Mobbing. Aber bei uns wurden die Veganerinnen gemobbt und nicht die Behinderten. Und soweit ich weiß gibt es keine Sonderschule für Veganer.
Markus Ladstätter: Welche Dinge sind denn für Sie am zentralsten, wenn es um die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen geht?
Raul Krauthausen: Ich finde ja das Motto der Behindertenbewegung: Nichts über uns ohne uns, ist nach wie vor eines der wichtigsten Aussagen. Die gelten heute immer noch sehr stark. Oder gilt heute immer noch sehr stark.
Weil ich beobachte noch viel zu viel, dass nicht behinderte Menschen urteilen, was Menschen mit Behinderungen zusteht. Dass sie Grenzen ziehen da, wo vielleicht noch gar keine Grenzen sind. Sondern sie einfach sich selber das nicht vorstellen können, dass eine Rollstuhlfahrerin auch Tischlerin werden kann. Das können die sich nicht vorstellen und dann sagen sie: Das geht nicht.
Und dann stößt mir zunehmend auf, dass gerade in dem Bereich Inklusion sehr oft nicht behinderte Menschen sagen, dass behinderte Menschen ja so inspirierend sind und so viel Kraft geben und man so viel von ihnen lernen könne und so. Wo ich dann sage: Menschen mit Behinderungen sind auch nicht dafür da, damit nicht behinderte Menschen sich gut fühlen. Also ich möchte nicht, dass andere sich durch mich inspiriert fühlen. Ich möchte auch nicht, dass andere von mir mehr lernen, als sie von anderen lernen, nur weil ich im Rollstuhl sitze. Weil ich möchte einfach den gleichen Respekt bekommen oder auch die gleiche Wertschätzung erfahren wie nicht behinderte Menschen auch.
Was dann nämlich auch am Ende dazu führt, dass die Leute dann vielleicht auch mich endlich als den Menschen sehen und vielleicht auch das Charakterschwein in mir entdecken können, weil ich ja vielleicht auch ein super ungeduldiges Arschloch sein kann, aber niemand traut sich das mir zu sagen, weil der ist ja behindert.
Markus Ladstätter: Dann komme ich schon zu ein paar letzten Fragen. Sie stehen zwar oder sitzen, mitten im Leben. Aber wie sehen Sie den Nachwuchs bezüglich politischen Aktivismus von und für behinderten Menschen in Deutschland? Gibt es da genügend Junge, die sich dafür interessieren?
Raul Krauthausen: Als wir 2016 in Deutschland gegen das Bundesteilhabergesetz protestiert haben und gegen das Behindertengleichstellungsgesetz in Deutschland, da hatte ich mit vielen anderen Aktivistinnen und Aktivisten älteren Semesters Kontakt. Und wir haben große Proteste organisiert, wir haben, glaube ich, sehr viel mediale Aufmerksamkeit erzeugt. Und die älteren Aktivistinnen und Aktivisten haben mir damals gesagt, dass sie gerade Zeuge wurden von einem Wiedererwachen, Wiedererstarken, Aufleben der Behindertenbewegung seit 20 Jahren. Also wir haben großen/eine große Welle gemacht.
Und ich habe in der Zeit sehr viele Leute kennenlernen dürfen, auch junge Menschen mit Behinderungen, die sich zunehmend politisiert haben, die das Gefühl hatten: Am/da so wie es jetzt passiert, ist es nicht genug. Wir müssen uns mehr für unsere eigenen Belange und Rechte einsetzen.
Und Dank der sozialen Medien und der Vernetzung dadurch habe ich zunehmend Kontakt zu behinderten Menschen, die jetzt alle noch so Einzelkämpferinnen sind, aber die jetzt, glaube ich, schon auch zunehmend merken: Wir müssen uns mehr zusammentun und mehr vernetzen. Ich versuche ja auch, zum Beispiel über den Newsletter, den ich regelmäßig produziere, einmal die Woche, auch diesen jungen Menschen Sichtbarkeit zu geben und auch zu sagen: Okay, hier sind/ist eine junge Frau mit Trisomie 21, die sich gegen die Spätabtreibung engagiert beziehungsweise gegen den Pränatest.
Hier gibt es eine junge Aktivistin mit Behinderungen, die, weil das Thema aus einer weiblichen Perspektive beleuchtet, nämlich das Thema Behinderungen und Sexualität und das es super wichtig ist, diese Leute sichtbar zu machen. Und politischen Protest zu formieren braucht auch immer einen Anlass, also irgendein Gesetzgebungsverfahren oder irgendeine Ungerechtigkeit. Und wir haben vor ein paar Monaten gemeinsam für Markus Igel protestiert, damit der nicht ins Heim gezwungen werden kann vom Sozialamt. Und das war ein sehr erfolgreicher Protest mit Petition und allem und da waren viele junge Aktivistinnen dabei. Also ich bin sehr hoffnungsfroh.
Und dann hat mir ja/also mir schreiben zunehmend viele junge Menschen mit Behinderungen, dass sie durch mich oder durch unseren Protest im 2016, auch mit dem Heimexperiment, das ich ja gemacht habe, Mut gefasst haben, dass es sich lohnt für die eigenen Rechte zu kämpfen. Und das macht mir Hoffnung.
Markus Ladstätter: Wenn Sie sich die Themen überlegen, die in den Anfängen der Behindertenbewegung relevant waren und an heute denken, wie sehr haben sich die Themenbereiche verändert?
Raul Krauthausen: Also, um noch mal den Hut zu ziehen vor den Kämpfen, die die Generationen vor uns gekämpft haben, es ist großartig, was die erreicht haben. Alleine die Sichtbarkeit behinderter Menschen in einer Zeit zu erkämpfen, wo der Paternalismus noch super krass/krasser verbreitet war als heute, bedeutet ja richtig krasser Kampf auch. Und der Behindertenbewegung haben wir zu verdanken, dass die Busse Niederflurbusse sind, dass es Aufzüge an Bahnhöfen gibt. Also das sind ja richtige Errungenschaften, die ich im wahrsten Sinne des Wortes in Zement gegossen sind, ja.
Die Themen Mobilität bleiben aber. Also, das reicht ja nicht einen barrierefreien Bus zu haben, es reicht auch nicht zwei, drei Aufzüge zu haben, sondern unser Ziel ist ja jetzt flächendeckende Barrierefreiheit. Und, dass Aufzüge nicht ständig kaputt sind und dass man nicht mit den kleinen Rädern eines Rollstuhls zwischen Zug und Bahnsteigkante der U-Bahn hängenbleibt. Das sind jetzt die Kämpfe, die wir führen. Dass die Deutsche Bahn oder die ÖBB barrierefrei ist, und zwar nicht dann, wann sie will, sondern dann wann Menschen mit Behinderungen sie brauchen, ja.
Also in Berlin gibt es immer noch Situationen, dass du um 22:01 Uhr nicht aus dem Zug kommst, weil das Bahnpersonal am Bahnsteig nur bis 22:00 Uhr arbeitet und das ist absurd. Also das ist so absurd, dass so ein/man denkt: Hey, diese eine Minute hättest du jetzt ja warten können, nicht? Also was soll denn das? Und dass diese/das Menschenrecht auf Mobilität zum Beispiel, Menschen mit Behinderungen immer noch verwehrt wird. Und die zahlen aber den gleichen Preis.
Und dann natürlich, ich weiß nicht, wie es in Österreich ist, dass Menschen mit Behinderungen in Deutschland immer auch als/immer noch als Kostenfaktor gesehen werden, also als Menschen, die Geld kosten. Und nicht als Menschen, die ja aber auch eine Gesellschaft bereichern.
Markus Ladstätter: In Österreich ist ein großes Thema die sogenannte bundeseinheitliche, bundesweit gleiche Regelung für persönliche Assistenz, die es nicht gibt. Wie sieht da die Situation in Deutschland aus?
Raul Krauthausen: In Deutschland gibt es das sogenannte Bundesteilhabegesetz, wo man versucht hat das auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, damit es nicht so etwas gibt wie so eine Art Behindertenmigration zwischen den Bundesländern. Leider ist Deutschland auch föderal strukturiert, das heißt, die Implementierung dieser Bundesgesetze in Länderebene ist dann jedem Bundesland überlassen, wer die Kostenträger sind und wie das ganze abläuft.
Und es kristallisiert sich gerade heraus, dass je konservativer ein Bundesland ist, zum Beispiel das Saarland, wo eben der Markus Igel lebt, wesentlich kostenrestriktiver mit Menschen mit Behinderungen umgeht und ständig drei/jeden Euro dreimal umdreht und dann auch Menschen mit Behinderungen durch Beratung, ich sage das mal höflich, durch Beratung in behinderten Heime zwingt, ja.
Also die sagen nicht: Sie müssen in das Heim. Sondern die sagen dann: Na ja pass auf, wir können dir das gleiche Geld geben, wie wir dem Heim bezahlen würden. Das wird nicht reichen für deine Assistenz zu Hause. Also kannst du ja gucken, ob du es hinkriegst, so. Und dass Zuhause leben teurer sein könnte als im Heim, ist irgendwie offensichtlich, weil du die Assistenten ja selber bezahlen musst, ist aber auch letztendlich dein Grundrecht auf die freie Bestimmung des Wohnortes und der Wohnform, was im Grundgesetz verankert ist.
Gleichzeitig hast du aber keine andere Wahl, weil dir wird nicht mehr Geld gegeben und dann gehst du doch ins Heim. Und nicht alle Menschen mit Behinderungen haben die Kraft da juristisch gegen vorzugehen. Und das beobachten wir gerade, dass eben in vielen Bundesländern, die konservativ regiert sind, da versucht wird, Menschen zu zwingen.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Das war unsere barrierefrei aufgerollt- Portrait „Im Gespräch mit Raul Krauthausen.“
Das Gespräch führte heute Markus Ladstätter. Zum Abschluss haben wir noch eine Neuigkeit für Sie liebe Zuhörerinnen und Zuhörer. Ab jetzt sind wir nicht mehr nur auf Radio ORANGE 94.0 zu hören. Alle Informationen zu den neuen Sendeplätzen und Sendeterminen finden Sie auf unserer Internetseite www.barrierefrei-aufgerollt.at/sendetermine.
Es verabschiedet sich ihr Redaktionsteam Katharina Müllebner, Markus Ladstätter und Martin Ladstätter.
[Musik mit Text: barrierefrei aufgerollt – kurz, kompakt und leicht verständlich]
Interviewt doch mal Lydia Zoubek, eine großartie blinde Bloggerin aus Deutschland.
lydias-welt.de
Danke für den Vorschlag! Werden wir uns gerne ansehen.