Diese Sendung ist eine Vertiefung unserer 23. Sendung, bei der es um das Thema Inklusion in der Schule ging. Wir geben noch einmal interessante Einblicke in das Interview mit dem Bildungswissenschaftler Tobias Buchner. Erfahre also genaueres über die Entwicklung schulischer Integration in Österreich und den Unterschied von Integration und Inklusion.
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Unser Gast
Tobias Buchner, Bildungswissenschaftler mit dem Themenschwerpunkten Inklusive Bildung und Biographieforschung
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Diese Sendung wurde in Wien auf Radio ORANGE 94.0 am 7. Juli 2019 um 10:30 gesendet. Die Sendung kann auch auf o94.at live gehört werden. Am 21. Juli 2019 um 10:30 wurde sie auf Radio ORANGE 94.0 wiederholt.
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Katharina Müllebner: Herzlich Willkommen zur heutigen Sendung von barrierefrei aufgerollt von BIZEPS-Zentrum für Selbstbestimmtes Leben. Am Mikrofon begrüßt sie Katharina Müllebner.
Am 5. Mai 2019 brachte barrierefrei aufgerollt eine Sendung zum Thema Inklusion in der Schule. In dieser, wie auch in vielen anderen unsere Sendungen hatten wir drei Gäste.
Das ist uns wichtig, damit wir Ihnen die Themen aus verschiedenen Blickwinkeln präsentieren können. Oft führt das aber auch dazu, das wir die sehr interessanten Inhalte, die unsere Interviewpartnerinnen und -partner zu sagen haben, aufgrund der Gesamtlänge unserer Sendung einer Kürzung unterziehen müssen.
Deshalb haben wir heute einen kleinen Nachtrag zu Bildungssendung für Sie, in denen wir Ihnen interessante Einblicke in aus dem Interview mit Tobias Buchner präsentieren, die Sie bis jetzt noch nicht gehört haben.
„Tobias Buchner zum Thema Inklusion in der Schule“, so der Titel der heutigen Sendung.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Herr Buchner es gibt ja Integration und Inklusion. Was genau unterscheidet die beiden Begriffe?
Tobias Buchner: Integration wurde oft so umgesetzt auch oder von einem Verständnis begleitet, dass sich Schülerinnen und Schüler auch, die quasi integriert werden, anpassen müssen. Das ist ein wesentlicher Unterschied zur Inklusion.
Inklusion bedeutet, dass sich das System, dass sich die Umwelt anpasst an die Bedürfnisse der Personen, an seine oder ihre Eigenheiten und individuellen Gegebenheiten.
In der Integration war es sehr, sehr häufig so, dass ein Verständnis vorgeherrscht hat, dass sich die Personen, die Schülerin, der Schüler anpassen muss an die Regelschule.
Allerdings ist es auch ein bisschen … heute hört man sehr, sehr oft, ja, die Integration war früher und die Inklusion ist jetzt so quasi ein Level-Up, so ein Upgrade.
In den 1980er-Jahren wurde auch schon an vielen Schulen eigentlich das umgesetzt, was man heute auch als inklusive Bildung bezeichnen würde. Also es haben auch in den 80er-Jahren schon Lehrerinnen im Team-Teaching, also zusammen, zu zweit eine Klasse unterrichtet und dabei SchülerInnen individuell gefördert.
Inklusive Bildung war aber noch mal ein wichtiger Begriff, der sich dann in den 90er-Jahren durchgesetzt hat durch das sogenannte Salamanca-Statement, durch die Erklärung von Salamanca von der UNESCO. Das war, wo sich von vielen weltweiten Ländern Politikerinnen und Politiker getroffen haben und beschlossen haben, wir wollen jetzt tatsächlich ein inklusives Bildungssystem aufbauen.
Warum war das wichtig? Weil man eben diese Erfahrungen mit der integrativen Bildung gemacht hatte, wo es eher zu Anpassungsprozessen gekommen war und wo letzten Endes auch nicht tatsächlich alle SchülerInnen einen Platz in der Schule bekommen haben. Das heißt, man hat die Erfahrung gemacht auch mit der Integration, das ist so ein bisschen, wer kann sich anpassen, wer ist denn quasi integrierbar und dass dementsprechend auch Personen mit einem hohen Unterstützungsbedarf oder die von Lehrkräften als besonders schwierig oder halt eben nicht integrierbar erachtet wurden oder von Schulbehörden, dass diesen nach wie vor der Zugang zur Regelschule verwehrt blieb.
Deshalb inklusive Bildung, weil inklusive Bildung bedeutet, dass man fix ist, dass das für alle SchülerInnen und dass nicht irgendwelche Vorstellungen vom Schweregrad von einer Beeinträchtigung oder irgendwelche Fähigkeiten darüber entscheiden, ob eine Person an eine Regelschule jetzt darf oder nicht, sondern dass es ein Anspruch und auch ein Recht ist, das für alle SchülerInnen gilt und dass das von Anfang an umgesetzt werden soll und noch mal klarer ausgedrückt halt bei inklusiver Bildung und auch in diesem Salamanca-Statement, dass sich die Schule, der Unterricht an die SchülerInnen anpassen muss und nicht die SchülerInnen quasi sich an die Schule und an diese relativ starren Strukturen von Schule anpassen müssen. Das ist ein sehr, sehr hoher Anspruch, der damit verbunden ist, aber das ist so ein Salamanca-Statement und letzten Endes ja auch in der UN-Konvention oder in nachfolgenden Schriften auch so festgeschrieben.
Katharina Müllebner: Kann man jetzt bei uns in Österreich eigentlich schon von Inklusion sprechen oder müsste man strenggenommen noch von Integration sprechen?
Tobias Buchner: Ich habe mich in meinen Studien ja sehr, sehr häufig aus der Perspektive von SchülerInnen, die so die Zuschreibung sonderpädagogischer Förderbedarf haben oder aus der Perspektive von SchülerInnen mit Behinderungen beschäftigt, wie haben die den gemeinsamen Unterricht erlebt und hier gibt es sehr, sehr viele Erfahrungen, die schwierig sind.
Also wir haben auch viele positive Erfahrungen, wo ehemalige SchülerInnen oder SchülerInnen, die gerade in Schulen sind, berichten, dass sie sehr, sehr gute Erfahrungen gemacht haben, viel gelernt haben, viele FreundInnen gewonnen haben. Wir haben aber auch die Erfahrung, dass auch an Regelschulen SchülerInnen mit Behinderungen noch mehr oder weniger diskriminiert werden, dass sie benachteiligt werden, dass sie ausgegrenzt werden, sehr, sehr schwierige Umsetzung, wobei ich jetzt nicht sagen würde, dass das inklusiver Bildung entspricht.
Katharina Müllebner: Warum nicht? Bitte führen Sie das näher für uns aus?
Tobias Buchner: Ich kann ein Beispiel geben: Also was immer noch gang und gäbe ist, ist zum Beispiel in vielen sogenannten Integrationsklassen, also Klassen, in denen fünf bis sieben SchülerInnen mit Behinderung mit ihren Peers zusammen unterrichtet werden, dass in diesen Klassen es sehr, sehr häufig normal ist, dass die SchülerInnen unterteilt werden in SchülerInnen mit Behinderung beziehungsweise, wie es im Fachjargon dann in der Schule heißt, SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, und die RegelschülerInnen.
Was heißt das? Es hat sich über die Jahre hinweg so eine Praxis eingeschlichen, dass in diesen Klassen, in denen ja zwei Lehrerinnen sind, eine Lehrerin, die auch häufig als Regelpädagogin bezeichnet wird, und eine Sonderschullehrerin beziehungsweise eine Inklusionspädagogin, dass gerade in den Hauptfächern die Sonderschullehrerin beziehungsweise Inklusionspädagogin mit den SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf rausgeht und die getrennt unterrichtet.
Und dadurch wird schon so eine Zweiteilung in die SchülerInnenschaft so eingeschrieben, nämlich die Regelschüler und die Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Und das ist in Wirklichkeit, das ist gut gemeint von den PädagogInnen, aber das führt dazu, das von den MitschülerInnen die SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf auch immer als die anderen, die nicht so mitkönnen und die jetzt nicht hier mit uns im Raum unterrichtet werden dürfen, sondern die in ihr Extrazimmer kommen.
Das ist eigentlich von der Umsetzung so ein bisschen was wie so eine Minisonderschule in der Regelschule. Und das macht mich sehr, sehr nachdenklich, weil das sind Probleme, auf die wir in unseren Forschungen sehr, sehr häufig zum Beispiel an neuen Mittelschulen in Österreich getroffen sind und wir wissen auch aus den Befragungen von den SchülerInnen, also jetzt jene, die diese Zuschreibung sonderpädagogischer Förderbedarf haben, aber auch ihre „nichtbehinderten“ Peers, dass sich so diese Besonderung, diese Zweiteilung, ja, es gibt jetzt hier quasi die „normalen“ Schüler, die normal lernen und auf der anderen Seite, also gerade jetzt im Bereich von jenen mit einer Lernbehinderung oder mit intellektuellen Behinderungen, dass die dann so quasi als die „anormalen“ beziehungsweise als die Integrationskinder bezeichnet werden. Und das ist für mich nicht inklusive Bildung.
Also inklusive Bildung bedeutet ja, dass individuell auf eine Person eingegangen wird und hier gibt es aber zwei grobe Blöcke: die RegelschülerInnen auf der einen Seite und die SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf auf der anderen Seite. Und das ist sehr, sehr häufig die Praxis in Regelschulen, wo wir wissen, dass noch sehr, sehr viel in der Ausbildung und in anderen Bereichen oder in der Fortbildung auch nachgeholt werden muss. Das ist für mich so ein Anzeichen, dass inklusive Bildung in Österreich noch nicht erreicht ist.
Katharina Müllebner: Was für Konsequenzen kann denn eine Beschulung in einer Sonderschule für die Schüler und Schülerinnen haben?
Tobias Buchner: Das Problem ist, dass in Sonderschulen das meistens sehr, sehr abgeschlossene Umwelten sind, wo jetzt nur SchülerInnen mit der Zuschreibung Behinderung unterrichtet werden, dass weiß man von Lernprozessen, dass eine heterogene Lerngruppe, also eine Lerngruppe, wo die SchülerInnen sehr, sehr unterschiedlich sind bezüglich ihrer Fähigkeiten und Eigenschaften sind, dass das wesentlich stimulierender wirkt.
Wir wissen allerdings auch tatsächlich von Vorgängen in Sonderschulen, wo, das wissen wir aus den Interviews mit SchülerInnen mit Behinderungen, dass in Sonderschulen auch tatsächlich Schüler und Schülerinnen auf einem sehr, sehr geringen Förderniveau gehalten werden. Also es heißt ja immer so, dass Sonderschulen immer ein guter Raum seien, wo Personen sehr, sehr gut gefördert werden, weil es da mehr Ressourcen gäbe, was ja auch tatsächlich so ist. Was allerdings in Sonderschulen häufig abläuft ist ein sehr, sehr starker Fokus auf Therapie, aber weniger auf das, was in Regelschulen läuft, also sprich Lernprozesse, die sich auf sogenanntes akademisches Lernen, also auf konkrete Inhalte, die im Curriculum stehen, beziehen.
Wir wissen auch, dass Sonderschulen, das wird ja auch häufig debattiert, es heißt ja sehr oft Sonderschulen sind Schonräume, in der Regelschule da werden SchülerInnen mit Behinderung sehr, sehr häufig gemobbt. Man muss, wenn man auf die Forschungsdaten schaut, auch ganz klar sagen, ja, das kommt vor, es werden tatsächlich SchülerInnen mit Behinderung an Regelschulen, da wo inklusive Bildung nicht gut läuft, gemobbt. Aber was ist denn die Konsequenz daraus? Die Konsequenz daraus kann ja jetzt nicht sein, dass ich dann sage, okay, diese SchülerInnen sollen in eine Sonderschule gehen, weil da jetzt auch nur andere Kinder mit Behinderung sind.
Dem liegt ja die Annahme zugrunde, dass es in Sonderschulen kein Mobbing gibt aufgrund von Fähigkeiten und Behinderungen. Und wir wissen aus verschiedenen Berichten, Aussage, Interviews mit SchülerInnen, die in eine Sonderschule gegangen sind, die berichten genauso von Mobbing, genauso wie Kinder in Regelschulen mitunter davon berichten, dass sie dort gemobbt worden sind. Sonderschulen sind auch problematisch, das wissen wir auch, es werden sehr, sehr geringe Fähigkeitserwartungen an SchülerInnen gestellt.
Wenn Sie mal so dieses Label beziehungsweise SchülerInnen als SonderschülerInnen bezeichnet werden, in eine Sonderschule gehen, dann haben sehr, sehr viele LehrerInnen, andere Personen, Angehörige auch so einen klassischen Bildungsweg oder eine klassische Karriere im Blick: Sonderschule und danach in die Werkstatt. Und wenn wir uns das wissenschaftlich anschauen, Interviews führen mit Personen, dann sehen wir, dass tatsächlich dieser Weg, also von einem Sondersetting, sprich der Sonderschule, in die Werkstatt für Menschen mit Behinderungen oder die Beschäftigungstherapie, wie es bezeichnet wird, dass dieser Weg scheinbar als selbstverständlich angenommen wird für SchülerInnen oder für SonderschülerInnen mit Behinderung.
Und wir wissen auch aus Studien, wo sehr, sehr viele Eltern befragt wurden zu diesem Übergang, dass zum Beispiel beim Übergang von der Sonderschule ins Erwerbsleben oder in den nachschulischen Bereich sehr, sehr häufig sehr, sehr wenig Beratung stattfindet für Arbeit am ersten Arbeitsmarkt oder für inklusive Arbeiten.
Stattdessen bekommen Eltern und auch SonderschülerInnen nahegelegt, dass sie doch in eine Werkstatt beziehungsweise eine Beschäftigungstherapie gehen sollten, wie es eine von mir interviewte Person gesagt hat, „die kamen zu mir“, ich zitiere die jetzt: „Die kamen dann in die Sonderschule rein und haben gesagt, weißt du was, bei uns, da gehst du arbeiten, da wirst du abgeholt, da bekommst du eine Mahlzeit und um halb fünf kannst du heimgehen und dann ist bestens für dich gesorgt.“ Und das sind diese Ideen, die Schüler in Sonderschulen nahegelegt bekommen und das unterscheidet sich ganz wesentlich von den Ideen, die SchülerInnen in Regelschulen erhalten.
Also die sehen hier, okay, es gibt weiterführende Schulen, man kann studieren, gegebenenfalls meine Freunde, Freundinnen, KlassenkameradInnen, die gehen, nach der Schule fangen sie eine Lehre an am ersten Arbeitsmarkt. Das sind ganz andere Selbstverständlichkeiten, ganz andere Bilder und Möglichkeiten, die SchülerInnen in Regelschulen erhalten. Und wir wissen auch von dieser quantitativen Studie, die von Oliver König, Helga Fasching, Gottfried Biewer und vielen anderen am Institut durchgeführt wurde.
Wir wissen auch, dass SchülerInnen zum Beispiel mit einer sogenannten intellektuellen Behinderung, also eine Person mit Lernschwierigkeiten, dass die am Übergang wesentlich häufiger dazu beraten werden, eine integrative Maßnahme beziehungsweise am ersten Arbeitsmarkt mit Unterstützung tätig zu werden als jetzt jene SchülerInnen, die in Sonderschulen sind. Das sind ganz, ganz wesentliche Unterschiede und Vorteile denke ich auch, die mit einem Besuch einer Regelschule oder einer inklusiven Schule verbunden sind.
Das heißt nicht, dass in Österreich es keine Probleme gibt bei der Umsetzung inklusiver Bildung in Regelschulen, aber man sieht anhand von Ergebnissen jetzt, die da sind, so wie ich meine Regelschulen in der Regel sozusagen die größeren Vorteile aufweisen. Es geht aber auch gar nicht mal so sehr um die Vorteile ja oder nein, sondern eine UN-Konvention. Da muss man sagen, das ist ein Recht auf inklusive Bildung und dann brauchen auch gar nicht irgendwelche Expertinnen und Experten und irgendwelche Wissenschaftler meinen, das ist ein Vorteil und das ist nicht ein Vorteil, sondern es ist einfach ein Recht und wenn eine Person das will und das möchte, dann hat das umgesetzt zu werden.
Katharina Müllebner: Bitte erzählen Sie uns etwas über die Entwicklung der schulischen Integration hier in Österreich?
Tobias Buchner: Also integrative Bildung hat ja angefangen, also es gab da so ein paar Meilensteine kann man sagen, ganz, ganz zentral die österreichische Behindertenbewegung, die durch viele öffentliche Protestaktionen eingefordert hat, dass man Zugang zu Regelschulen haben möchte.
Also wie gesagt, bis Anfang der 80er-Jahre war es so gang und gäbe, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderungen in Sonderschulen unterrichtet wurden. Es gab diese großartigen, kreativen, sehr, sehr öffentlichkeitswirksamen Aktionen von der Behindertenbewegung Anfang der 80er-Jahre, es gab dann auch diese Elternbewegung, die sehr Druck ausgeübt hat, die gesagt haben, wir möchten nicht, dass es so selbstverständlich ist, dass mein Kind in der Sonderschule benachteiligt wird. Also durch dieses, es gab damals schon ein Bewusstsein, dass Sonderschulen einfach benachteiligend wirken, weil sie weniger Chancen ermöglichen für Lernprozesse und auch für nachschulisches Leben am Arbeitsmarkt oder für weitere Bildungswege.
Dann kam es zu den sogenannten Schulversuchen. Also dieser Druck hat auch was gebracht, die vielen Demonstrationen, Protestaktionen und es kam zur Etablierung von sogenannten Schulversuchen, angefangen mit dem ersten Schulversuch an einer Volksschule in Oberwarth im Burgenland, dass da so was quasi, was man heutzutage als Integrationsklasse bezeichnen würde, dass so eine Klasse, in einer Klasse gemeinsam SchülerInnen mit und ohne Behinderungen unterrichtet wurden.
Infolge gab es vom Ministerium, vom Bildungsministerium breiter angelegte Schulversuche, die auch entsprechend finanziert wurden, zunächst für die Volksschulen und auch in weiterer Folge für die Sekundarstufe 1 und die wurden nun untersucht und beforscht und diese Forschungen kamen zu dem Schluss, dass die integrative Bildung, so wie sie umgesetzt wurde, vor allen Dingen in den Integrationsklassen sehr, sehr erfolgreich abgelaufen ist und gezeigt hat, das war ja damals die Fragestellung, geht das überhaupt, können SchülerInnen mit Behinderung mit ihren Gleichaltrigen, mit ihren KlassenkameradInnen gut unterrichtet werden? Und die Forschung kam zu dem Schluss, dass das sehr, sehr gut möglich ist.
Infolgedessen kam es dann zu den Reformen oder zu den Novellierungen vom Schulorganisationsgesetz. Und Anfang und Mitte der 90er-Jahre wurde dann dieses sogenannte Elternwahlrecht etabliert, dass Eltern wählen können, ob ihr Kind eine Sonderschule oder eine Regelschule besuchen soll.
Dieses Wahlrecht kann man sagen, das steht halt eher auf dem Papier, weil es nach wie vor auch kein flächendeckendes Angebot für inklusive Schulen gibt, also dass Eltern jetzt einfach sagen können, okay, ich möchte jetzt, wenn ich da und da wohne mein Kind in einer Regelschule anmelden, weil viele Regelschulen sich weigern, nicht barrierefrei sind und es dieses Angebot von inklusiven Schulen flächendeckend eben nicht gibt.
So, diese integrative Bildung bis Mitte der 90er-Jahre hat dazu geführt, dass es bis zum Jahr 2000 so einen gewissen Run auf Regelschulen gab, das heißt, dass sehr, sehr viele, also dafür dass davor alle in Sonderschulen waren, erst mal so bis zu 50 Prozent aller SchülerInnen mit Behinderung in Österreich sich in Regelschulen angemeldet haben.
Damals hat sich aber auch schon so abgezeichnet gerade so höhere Schulen, Gymnasien, da wird es ein bisschen schwächer, da ist so der Anteil von SchülerInnen mit Behinderung relativ gering. Es gibt nicht auch diese gleichen Bemühungen wie in Mittelschulen oder Hauptschulen auf der Sekundarstufe 1, dass SchülerInnen so gemeinsam unterrichtet werden. Dann sind so Debatten auch in den 2000er-Jahren nicht zuletzt auch durch die UN-Konvention eher auch so stärker geworden Richtung inklusive Bildung und seit 2000, wenn man jetzt nur die Zahlen von SchülerInnen mit Behinderung, die jetzt in Regelschulen unterrichtet werden anschaut, was ja jetzt auch nicht viel über die Qualität verrät, aber allein von den Zahlen gab es 2000, so bis 2010er-Jahre hat das so gestockt die Anzahl so um rund 50 Prozent von SchülerInnen mit Behinderung, die an Regelschulen waren.
Und auch nicht zuletzt durch die UN-Konvention beziehungsweise auch durch die politische Leitlinie zur Einrichtung von inklusiven Modellregionen erleben wir seit 2012/2013 wieder einen Anstieg des Prozentsatzes von SchülerInnen mit Behinderung, die an Regelschulen sind, sodass, glaube ich, für das Schuljahr 2015/16 sind so die letzten Daten, die vorliegen, ich glaube, so um für Österreich gesamt so 66 Prozent aller SchülerInnen mit Behinderung an einer Regelschule unterrichtet werden. Und das ist so ein bisschen die Geschichte von der integrativen Bildung beziehungsweise die dann auch eigentlich nahtlos übergegangen ist in eine Geschichte der inklusiven Bildung.
Katharina Müllebner: Wie sah das mit der Umsetzung des integrativen Unterrichts genau aus?
Tobias Buchner: Es gab ja noch andere Modelle zur Umsetzung von integrativem Unterricht, zum Beispiel sogenannte Einzelintegration, also wo eine Schülerin mit sonderpädagogischem Förderbedarf in eine Regelschulklasse integriert wurde und da so eher stundenweise fünf bis sieben Stunden Unterstützung bekommen hat, was meistens darin geendet hat, dass sie auch aus der Klasse rausgenommen wurde und da therapeutische Übungen gemacht wurden.
Das andere Modell ist die sogenannte Kleinklasse, das ist ein Modell, das eigentlich von der Forschung, wo gesagt wurde, das hat nicht gut funktioniert. Dass SchülerInnen mit der Zuschreibung sonderpädagogischer Förderbedarf, dass die in einer Kleinklasse an einer Regelschule unterrichtet werden. Also sieben bis acht SchülerInnen, dass die so quasi eine Extraklasse formen und dass die dann so zeitweise gemeinsam mit anderen Klassen, sogenannte Regelschulklassen unterrichtet werden, dass man davon ausgeht, dass dadurch auch soziale Kontakte entstehen. Die Forschung hat gezeigt, dass das überhaupt nicht funktioniert, also dass es sehr schlecht funktioniert.
Warum? Weil es auch hier eine Sonderschule in der Regelschule im Endeffekt ist und dass es sich nicht ermöglichend auf Beziehungsbildung zwischen Gleichaltrigen auswirkt.
Und die Forschung hat eigentlich gezeigt, dass Integrationsklassen so der beste Modus zur Umsetzung auch von inklusiver Bildung sind, was nicht heißt, dass es da auch sehr, sehr oft hapert, also in Integrationsklassen läuft das ja eben wie erwähnt auch sehr, sehr häufig so ab, dass Team-Teaching von Lehrpersonen so aufgefasst wird, dass die Sonderpädagogin rausgeht mit sogenannten, wie sie auch oft dann, wenn man LehrerInnen interviewt, mit ihren SchülerInnen, sprich, jenen mit Behinderung und dass die Regelschulpädagogin in dem Klassenraum bleibt und dort einen anderen Unterricht macht.
Katharina Müllebner: Was für eine Rolle spielt der Sonderpädagogische Förderbedarf jetzt genau?
Tobias Buchner: Alsosonderpädagogischer Förderbedarf ist ja quasi so ein Muss was man quasi auch braucht, wenn ich einen Platz an einer Regelschule haben möchte muss ich mich ja vorher, wenn ich Unterstützung haben möchte als sonderpädagogisch förderbedürftig diagnostizieren lassen.
Wie gesagt damit ist ein Stempel versehen ich glaube, dass das die Inklusionschancen verringert. Aus verschiedenen Gründen, also zum einen bezüglich den MitschülerInnen glaube ich, dass dieser Stempel, der ja auch also wenn man an Schulen geht haben wir sehr sehr häufig Kinder und Jugendliche in Schulen, die wissen von den Integrationskindern was nichts anderes bedeutet das sind die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf und Integrationskinder sind Integrationskinder und halt nicht einfach Kinder und haben so eine gewisse Behaftung, Besonderung an sich kleben und ich glaube das steht eigentlich einer Inklusion und einem guten gemeinsamen Miteinander im Weg.
Katharina Müllebner: Was halten Sie von der aktuellen Bildungspolitik?
Tobias Buchner: Ich glaube es braucht Ressourcen, die in den Bereich weiter reingesteckt werden und wenn das dann wirklich gut laufen soll, dann wird sich das über die Zeit wieder einpendeln.
Das kann aber auch nur gehen, wenn ich diese Doppelfinanzierung von zwei Parallelsystemen wie ich sie jetzt habe inklusiver Unterricht an Regelschulen und Unterricht an Sonderschulen, dass wenn ich diese Ressourcen alle verschiebe und zwar in Richtung inklusiver Unterricht.
Katharina Müllebner: Sie denken also, dass es eine Frage der Ressourcen ist?
Tobias Buchner: Also ich glaube Ressourcen wären da, ich finde es aber problematisch, dass Inklusion und inklusive Bildung sehr sehr bezüglich dem gemessen wird also es darf ja nicht allzu viel kosten.
Ich glaube, dass diese Etablierung von einem flächendecken inklusiven Bildungssystem erst einmal mehr Geld braucht.
Dass es zum einen das Geld und die Ressourcen von Sonderschulen braucht, dass die rüber verschoben werden in den Regelschulbetrieb, dass es aber auch weitere Anschubfinanzierungen braucht.
Wenn ich mir die Bildungspolitik also nicht nur die Bildungspolitik aber auch grade im Bereich inklusiver Bildung die Politik anschaue, dann scheint mir so ein Verständnis vorzuherrschen ja Inklusion haben wir gerne, aber es darf nichts kosten. Das finde ich hoch problematisch, weil hier geht es ja um ein Menschenrecht.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Das war unser interessantes Gespräch mit dem Bildungswissenschaftler Tobias Buchner. Für mehr Informationen zu diesem Thema können Sie auch gerne in unsere Sendung Inklusion in der Schule hineinhören aus der BIZEPS-Sendereihe barrierefrei aufgerollt.
Alle Informationen zu dieser Sendung finden Sie auf www.barrierefrei-aufgerollt.at.
Es verabschiedet sich ihr Redaktionsteam Katharina Müllebner, Markus Ladstätter und Martin Ladstätter!
[Musik mit Text: barrierefrei aufgerollt – kurz, kompakt und leicht verständlich]