Eine Familie zu gründen und Kinder zu haben, ist für viele Menschen ein wichtiger Teil des Lebens. Das gilt natürlich auch dann, wenn man eine Behinderung hat.
Wie ist es Mutter oder Vater zu sein, wenn man zum Beispiel eine Sehbehinderung hat oder im Rollstuhl sitzt? In wie fern spielt die eigene Behinderung beim Thema Elternschaft eine Rolle und wie reagiert das nicht behinderte Umfeld auf einen Kinderwunsch von Menschen mit Behinderungen?
Wir sprechen in dieser Sendung mit einer Mutter und einem Vater die eine Behinderung haben und über ihre Erfahrungen erzählen. Zudem stellen wir Ihnen ein Beratungsangebot der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung vor.
Die Radiosendung zum Nachhören
Hier kannst Du die ganze Sendung anhören:
Hier findest Du die Sendung zum Nachlesen.
Unsere Gäste
- Bernadette Feuerstein, Behindertenaktivistin und Mutter einer Tochter
- Jakob Putz, Mitarbeiter an der Uni Graz, Blogger und Vater mit einer Sehbehinderung
- Elisabeth Chlebecek, von der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung
Die Sendung im Radio hören
Diese Sendung wurde auf Radio ORANGE 94.0 am 7. April 2019 um 10:30 Uhr gesendet. Die Sendung kann auch auf o94.at live gehört werden. Am 21. April 2019 um 10:30 Uhr wurde sie auf Radio ORANGE 94.0 wiederholt.
Die Sendung zum Nachlesen
Katharina Müllebner: Herzlich Willkommen zur heutigen Sendung von barrierefrei aufgerollt. Vor dem Mikrofon begrüßt Sie Katharina Müllebner.
Eine Familie zu gründen und Kinder zu haben, ist für viele Menschen ein wichtiger Teil des Lebens. Das gilt selbstverständlich auch dann, wenn man eine Behinderung hat.
Wie ist es Mutter oder Vater zu sein, wenn man im Rollstuhl sitzt oder eine Sehbehinderung hat? Welche Rolle spielt die eigene Behinderung bei der Erziehung der Kinder und wie reagiert das nicht behinderte Umfeld auf einen Kinderwunsch von Menschen mit Behinderungen?
Wir haben mit Eltern gesprochen und stellen Ihnen eine Beratungsstelle für Menschen mit Behinderungen vor.
„Elternschaft und Behinderung“ so der Titel der heutigen Sendung. Sie hören diese Sendung auf Radio Orange 94.0.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Bernadette Feuerstein sitzt seit vielen Jahren im Rollstuhl, seit fast genauso vielen Jahren ist sie behindertenpolitisch sehr aktiv und sie ist Mutter einer Tochter.
Katharina Müllebner: Wie war das bei Ihnen, hatten Sie schon immer einen Kinderwunsch?
Bernadette Feuerstein: Na ja, ich hatte einmal so, wie es wahrscheinlich viele sehr junge Mädchen haben, habe ich mir so vorgestellt, wie das einmal ist, wenn ich verheiratet bin und zwei Kinder haben werde. Wenn man älter wird und man kriegt einen realistischen Blick auf sein eigenes Leben, dann überlegt man es sich natürlich genauer. Und für mich war immer klar, dass ich zwar schon gerne Kinder hätte, aber nicht alleine, sondern nur gemeinsam mit einem Partner, der das auch unterstützt und der das auch will.
Katharina Müllebner: Wie hat ihr Umfeld auf Ihren Kinderwunsch reagiert?
Bernadette Feuerstein: Na ja, ich habe relatives Glück gehabt, glaube ich, weil dadurch, dass ich so spät schwanger geworden bin, gab es in meinem Umfeld schon Eltern auch, die mit Behinderung Eltern geworden sind und die mich sozusagen unterstützt haben und die mir zum Beispiel Ärzte empfohlen haben, die nicht das so entsetzlich sehen beziehungsweise war es dann so, mein Frauenarzt, der ist schon etwas in Panik verfallen und hat mich auf die Risikoambulanz/Risikoschwangerschaftsambulanz ins AKH geschickt. Und dort muss ich sagen, war aber die Behandlung sehr normal, also da war die Behinderung nicht wirklich ein Thema.
Oder sozusagen, dass irgendwer gesagt hätte: Na, genügt es nicht, also dass Sie behindert sind? Jetzt müssen Sie schwanger auch noch werden? Solche Sachen habe ich eigentlich nie gehört.
Katharina Müllebner: Gab es eigentlich zur der Zeit, als sie damals schwanger waren, irgendwelche Unterstützungsangebote für werdende Eltern mit Behinderung?
Bernadette Feuerstein: Also Unterstützungsangebote habe ich ganz wenige gefunden oder bekommen. Man kann fast sagen, gar keine. Und wenn man den Begriff eingegeben hat, Eltern mit Behinderung/Mutter mit Behinderung, ist immer das Thema der behinderten Kinder, also dabei herausgekommen. Aber Eltern mit Behinderungen waren damals – ist auch schon 17 Jahre her jetzt, meine Tochter ist jetzt schon 16 – waren zu der damaligen Zeit kein Thema.
Katharina Müllebner: Ihre Tochter ist jetzt schon ein Teenager, können Sie sich noch erinnern? Wie sah damals als sie noch klein war der Alltag mit ihr aus?
Bernadette Feuerstein: Na ja, es war so, dass ich keine … also eigentlich konnte ich mit ihr nicht alleine sein. Das heißt, entweder war eine Assistentin mit mir oder es war jemand aus der Familie dabei, der mich unterstützt hat, weil es mir einfach zu riskant gewesen wäre, mit ihr alleine zu sein, weil ich sie nicht aus dem Bett hätte heben können, oder ihr alleine zu trinken geben können, oder was halt so Kleinkinder alles brauchen.
Und es war dann halt so, dass eben die Assistentin, so wie es bei der Persönlichen Assistenz klassisch ist, die Assistentin hat mir meine Arme und meine Beine ersetzt und meine fehlende Kraft ersetzt. Das heißt aber, wenn jetzt das Baby zu wickeln war, dann hat die Assistentin sie gewickelt, aber ich bin immer danebengestanden und war sozusagen dabei.
Oder wenn es zu füttern war, dann hat die Assistentin das vorbereitet und hat mir dann das Baby in die Arme gelegt, damit ich sie füttern konnte. Und so weiter. Und natürlich die Sachen, die ich alleine damals noch konnte, zum Beispiel, dass ich sie dann später mit dem Löffel gefüttert habe, oder dass wir gemeinsam gespielt haben, oder ich ihr vorgelesen habe, das haben wir dann zu zweit gemacht.
Aber wenn wir jetzt in den Park gegangen sind oder auf einen Spielplatz, dann mit der Assistentin, oder mit einer Freundin von mir oder irgendjemandem aus der Familie.
Also ich konnte natürlich ein paar Jahre nicht alleine mit ihr unterwegs sein. Je älter sie geworden ist und umso selbstständiger sie geworden ist, hat es dann gut funktioniert. Und irgendwie hat sie auch sehr schnell verstanden, dass sie sich bei mir irgendwie anders benehmen muss. Und wir sind aber trotzdem immer gut ausgekommen miteinander.
Also, ich erzähle Ihnen die eine Geschichte: Sie hat, wo sie dann schon älter war und am Tisch mitgegessen hat, hat sie so einen Hochstuhl gehabt. Und wenn ich mit ihr zu zweit am Tisch gesessen bin und wenn ich sie gefüttert habe, dann ist sie ganz brav in diesem Hochstuhl gesessen, hat sich von mir füttern lassen oder wir haben gespielt oder wir haben uns unterhalten oder was auch immer.
Wenn dann jemand gekommen ist, eine Assistentin oder eine Freundin oder jemand aus der Familie, dann ist sie unruhig geworden, dann hat sie begonnen, auf dem Hochstuhl herumzuturnen, herumzuklettern und hat Spompernadeln gemacht, weil sie gewusst hat, jetzt ist jemand da, der kann mir heraushelfen, der kann mich herausheben. Und bei mir war sie immer ruhig.
Katharina Müllebner: Damit Kinder entstehen braucht es auch Sexualität. Wie wichtig sind die Themen Sexualität und Körperlichkeit für Sie?
Bernadette Feuerstein: Ich glaube, Sexualität ist für jeden Menschen wichtig, mit oder ohne Behinderung. Sexualität ist wichtig in Beziehungen. Und daher ist es schön und wichtig, wenn man jemanden findet mit dem man gemeinsam Sexualität erleben kann. Und ich glaube, dass das ein Bestandteil im Leben ist, wie schlafen, essen, trinken, also es gehört einfach zum Leben dazu.
Katharina Müllebner: Was denken Sie, wird Menschen mit Behinderungen von unserer Gesellschaft Sexualität zugestanden?
Bernadette Feuerstein: Also, ich habe oft erlebt, dass Menschen mit Behinderungen als asexuelle Wesen gesehen werden, also nicht als Mann, nicht als Frau, nicht, vielleicht sogar noch, als lesbische Frau oder als schwuler Mann oder welche Spielarten der Sexualität es noch gibt.
Und ich glaube, dass von vielen nicht gesehen wird, dass Menschen mit Behinderungen die gleichen Bedürfnisse haben nach Zärtlichkeit, nach Liebe, nach Sexualität, nach Berührung, was da alles dazugehört.
Und das ist halt/hat halt leider eine lange Tradition in Österreich. Wird/wurde jahrelang auch von Ärzten und Betreuern und Pflegern in Institutionen sehr strikt eingehalten, sehr geleugnet. Und ich glaube, aus dieser langjährigen Tradition kommen wir nur sehr langsam heraus.
Katharina Müllebner: Was braucht es um sich von diesen veralteten Denkweisen zu verabschieden?
Bernadette Feuerstein: Ich glaube, es braucht viel Aufklärung. Es braucht Mut von den Eltern, die Kinder mit Behinderungen haben, den Kindern das auch zuzugestehen und zu erlauben. Es braucht viel Stärkung und viel Kraft von den Menschen mit Behinderungen, dass sie es sich auch trauen und zutrauen und auch wenn sie vielleicht einmal mit einer Erfahrung gescheitert sind, es dann trotzdem noch einmal versuchen, weil der Traumprinz und die Traumprinzessin warten selten gleich um die erste Ecke. Da muss man vielleicht noch um drei weitere schauen.
Und ja, viel Aufklärung auch und Öffentlichkeitsarbeit, glaube ich, dass auch die Nichtbehinderten das sehen und akzeptieren können, dass auch Menschen mit Behinderungen ein Sexualleben haben.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Jetzt lassen wir einmal einen Vater zu Wort kommen. Jakob Putz ist sehbehindert und lebt mit seiner blinden Lebensgefährtin und seinen drei Kindern in Graz. Er ist an der Universität Graz im Bereich Unterstützung für behinderte Studierende tätig.
Katharina Müllebner: Wie war das denn bei Ihnen? Wollten Sie schon immer Kinder haben?
Jakob Putz: Ja. Also für uns war klar, dass wir Kinder haben wollen über die Anzahl der Kinder bestand noch Verhandlungsbedarf.
Katharina Müllebner: Wie hat denn das Umfeld auf Ihren Kinderwunsch reagiert?
Jakob Putz: Durchwegs positiv. Und wenn es nicht so gewesen wäre, wäre es uns egal gewesen.
Katharina Müllebner: Sie sind sehbehindert und ihre Lebensgefährtin ist ja blind. Wie wirkt sich das im Alltag mit den Kindern aus?
Jakob Putz: Meine Lebensgefährtin ist vollblind. Ich bin sehbehinderter Spastiker. Auf unseren Alltag wirkt sich das primär dadurch aus, dass wir gut vorplanen und organisieren müssen.
Wenn wir planen, auf den Spielplatz zu gehen, dann passiert das nicht von Minute eins auf Minute zwei, sondern braucht einen Vorlauf von ein bis zwei Stunden, zum Beispiel. Am Spielplatz selbst, dort brauchen wir dann natürlich auch Unterstützung, einerseits um die drei Kinder im wahrsten Sinne des Wortes im Auge zu behalten und andererseits, das betrifft jetzt eher mich aus der Spastik, um die Kinder zu unterstützen, wenn sie wo heraufklettern wollen oder was auch immer.
Wir organisieren das im Rahmen des sogenannten Persönlichen Budgets nach dem steirischen Behindertengesetz, besser bekannt vielleicht unter Persönlicher Assistenz.
Katharina Müllebner: Wie setzen Sie die Assistenz ein, um Ihre Elternschaft gleichberechtigt wahrnehmen zu können?
Jakob Putz: Einerseits geht es um Mobilitätsunterstützung und andererseits geht es um Kommunikation im weitesten Sinne. Das heißt, da geht es nicht um die Unterstützung im Sprechen sondern die Unterstützung im Schauen und Schrift.
Ein konkretes Beispiel zum Thema, ein konkretes Beispiel zum Thema Schrift. Unser Sohn geht seit September 2018 in die erste Klasse und um die Elternschaft gleichberechtigt wahrnehmen zu können, war es notwendig, dass wir die Informationen, die wir benötigen, um ihn unterstützen zu können, digital kriegen. Das wäre zum Beispiel ein Beispiel für die schriftliche Kommunikation.
Die visuelle Kommunikation, das betrifft zum Beispiel einen Spielplatz, wo es einfach darum geht, zu schauen, was die Kinder gerade machen. Und die anderen Bereiche, die hatten wir auch schon, bevor wir Eltern wurden.
Nämlich da geht es einfach um ganz normale Dinge, wie Begleitung zum Arzt und so weiter und so fort. Also jetzt zum Beispiel gehe nicht nur ich zum Arzt, sondern es kann auch sein, dass das Kind zum Arzt muss und da brauchen wir natürlich die dementsprechende Begleitung. Auch eben nicht für uns sondern für die Wahrung unserer elterlichen Pflichten und Rechte.
Katharina Müllebner: Gibt es Ihrer Meinung nach Unterschiede zwischen Eltern mit und Eltern ohne Behinderungen?
Jakob Putz: Ich glaube, das hängt ein bisschen davon ab, wie man als behinderter Mensch selbst sozialisiert und erzogen wurde. Wenn man eher ein ängstlicher Mensch ist, dann ist man natürlich in der Erziehung, gleich wie jeder nichtbehinderte, auch ängstlich. Wenn man eher furchtlos erzogen worden ist, dann ist man furchtlos. Prinzipiell glaube ich nicht, dass es diese Unterschiede geben darf, weil das würde letzten Endes auch dann ganz klar auch Unterschiede in den Entfaltungsmöglichkeiten der Kinder bedeuten.
Das heißt, ganz konkret, wenn ich sage, ich bin es nie gewohnt worden, Rad zu fahren, weil ich sehbehinderter Spastiker bin. Dann werde ich hoffentlich als Elternteil trotzdem mir überlegen, wie mein nichtbehindertes Kind trotzdem Rad fährt, weil das einfach jedes andere Kind auch tut.
Wenn ich umgekehrt sage, ich bin nicht Rad gefahren, also braucht auch mein Kind nicht Rad fahren, da sind wir dann ganz stark im Bereich der sogenannten Selbstbeschränkung, die wir als behinderte Menschen einfach tagtäglich erfahren haben. Das heißt, wir als behinderte Menschen wissen, wir dürfen uns sehr oft nicht überlegen, was will ich tun? Sondern was wird mir überhaupt als Möglichkeit geboten zu tun und genau das ist der große Unterschied.
Katharina Müllebner: Was muss ein Elternteil ihrer Meinung nach mitbringen?
Jakob Putz: Generell als Eltern muss man, glaube ich, Lust am Elternsein mitbringen, das hat jetzt mit Behinderung nichts zu tun. Als behinderter Elternteil muss man einerseits sehr gut um seine Rechte Bescheid wissen und andererseits glaube ich, dass es ganz stark darum geht, eine gewisse organisatorische Kompetenz mitzubringen, wenn ich davon ausgehe, dass mein Kind gleich wie alle anderen Kinder auch Dinge, die wir als notwendig erachten, umsetzen wollen.
Katharina Müllebner: Hier darf ich vielleicht noch einmal einhacken. Warum meinen Sie, dass man als behinderter Elternteil besonders über seine Rechte Bescheid wissen muss?
Jakob Putz: Weil man nicht der naiven Vorstellung unterliegen darf, dass man als behinderter Elternteil überall als – applaudierend empfangen wird. Wir haben die Erfahrung gemacht, als es darum ging, unseren Assistenzbedarf abzudecken, musste man im ersten Schritt einmal abklären, ob denn Elternschaft überhaupt berücksichtigungswert sei. Dass es Elternschaft in relativ klar definiert ist im Bundesrecht und in der Europäischen Menschenrechtskonvention, das muss man wissen und deshalb, diese Rechte muss man kennen.
Katharina Müllebner: Wie wichtig sind denn die Themen Sexualität und Partnerschaft für Sie?
Jakob Putz: Nach drei Kindern sozusagen kann ich sagen, es hat funktioniert. Mir fällt dabei eine Anekdote nach der Geburt unseres ersten Sohnes ein, wo ein Mann zu mir gesagt hat, er findet das so toll – Pause – Er findet das wirklich toll – Pause – Daraufhin habe ich gefragt: Was findest du denn toll? Und dann hat er gesagt, ja, dass das bei uns auch funktioniert. Bis ich dann geschnallt habe, dass er das behinderungsbedingt meint.
Dieses Beispiel illustriert für mich ganz stark, dass die behinderten Menschen als asexuelle Wesen wahrgenommen werden. Und das war aber im Jahr 2011. Das war nicht in der Steinzeit, das war 2011. Also ich glaube, dass Behinderung und Sexualität ein Thema ist, das ganz, ganz stark getrennt gesehen wird.
Das liegt nicht zuletzt auch daran, dass wenn die Behinderten auch Sex haben, ist die Gefahr, wie man es in unserem Fall sieht, dass Kinder entstehen. Und das generiert wiederum Probleme im Kopf der Menschen.
Katharina Müllebner: Was braucht es, damit Menschen mit Behinderungen ihre Sexualität und ihre Beziehungen selbstbestimmt leben können?
Jakob Putz: Ich glaube, beginnen tut es ganz am Anfang, wenn es darum geht, dass behinderte Menschen einfach einmal so zusammenleben und zusammenwohnen dürfen, wie alle anderen Menschen auch. Und alles andere ergibt sich oder ergibt sich halt nicht.
Katharina Müllebner: Sie haben ja auch einen Blog zum Thema Elternschaft geschrieben. Können Sie etwas über diesen Blog erzählen und warum haben Sie ihn eigentlich ins Leben gerufen?
Jakob Putz: Wir haben auf barrierefreie-familie.com einen Blog, wo wir seit fast drei Jahren Sonntag für Sonntag Artikel aus unserem Leben aus den Problemstellungen veröffentlichen. Warum tun wir das? Weil wir festgestellt haben, dass einerseits die Kommunikationsmethode des Internets jene Methode ist, wo man eigentlich relativ einfach viele Leute erreicht, andererseits wir da ganz bewusst auf Fragen, die sich andere stellen, aber nicht laut stellen, bewusst aufgreifen und deren Antwort oder Antwortmöglichkeit präsentieren. Deshalb tun wir das.
Das beginnt bei, wie erkennt ihr, wenn das Kind einen Sonnenbrand hat? Wie werdet ihr euer Kind in der Schule unterstützen? Wie tut ihr, dass nicht Unfälle passieren? Wir haben die Erfahrung gemacht, dass man sich mehr Fragen stellen kann, als wir jemals einbildeten, dass man sich stellen kann. Und diese Fragen greifen wir einerseits als Fragen auch, andererseits greifen wir das einfach als Alltag auf.
Katharina Müllebner: Würden Sie anderen Eltern egal ob mit oder ohne Behinderung einen Ratschlag geben?
Jakob Putz: Erstens habt keine Angst, zweitens, wenn ihr Kinder wollt, geht weg von der eigenen Selbstbeschränkung und drittens, informiert euch sehr gut, was möglich und nicht möglich ist in dem Umfeld, in dem ihr euch bewegt.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Jetzt sprechen wir mit Elisabeth Chlebecek, sie arbeitet für die Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung. Diese hat auch ein Beratungsangebot für Menschen mit Behinderungen zum Thema Sexualität.
Katharina Müllebner: Frau Chlebecek erzählen Sie uns bitte etwas über das Beratungsangebot der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung für Menschen mit Behinderungen?
Elisabeth Chlebecek: Die Österreichische Gesellschaft für Familienplanung gibt es schon seit 1966. Es ist ein gemeinnütziger Verein und hat circa so zehn geförderte Beratungsstellen und eine davon ist eben eine Beratungsstelle für Menschen mit Beeinträchtigung. Der ÖGF ist nämlich wichtig, dass eben alle Menschen einen gleichen Zugang haben eben für die sexuelle als auch für die reproduktive Gesundheit und für die Rechte.
Das heißt, jeder Mensch hat ein Recht auf eine bestmögliche Gesundheit und ein selbstbestimmtes Leben eben jenseits von Zwang und Diskriminierung und Gewalt und so weiter. Und das umfasst natürlich auch das Recht, dass man über den eigenen Körper bestimmen kann und eine freie Entscheidung treffen kann hinsichtlich der eigenen Sexualität und auch der Fortpflanzung.
Und wir bieten eben Sexualberatung an und Verhütungsberatung. Und es gibt eben die Möglichkeit, einerseits eine Beratung zu machen und zum anderen, eine frauenärztliche Beratung oder Untersuchung, eigentlich, ja. Und diese Untersuchung und die Beratung sind kostenfrei.
Katharina Müllebner: Wieso ist so ein Angebot, Ihrer Meinung nach, notwendig?
Elisabeth Chlebecek:Das Angebot gibt es ja schon seit vielen Jahren. Und damals ist ja die Sexualität sehr tabuisiert worden, also Sexualität insbesondere von Menschen mit Beeinträchtigungen.
Viele Angehörige oder Betreuerinnen/Begleitpersonen haben eigentlich nicht gewusst, wie sie damit umgehen sollen, was sie machen sollen. Und dann ist es auch so, und zum Teil ist es auch noch so, aber ich glaube, dass es in den, vor allem in den 90er-Jahren verstärkt so war, dass viele Frauenärzte und Frauenärztinnen eben es sich nicht zugetraut haben, Frauen mit Behinderungen zu untersuchen, auch nicht das entsprechende Equipment gehabt haben und eigentlich auch nicht barrierefrei zugänglich waren.
Also die ÖGF ist ja barrierefrei zugänglich und deshalb ist es sehr gut und sehr wichtig, dass es eben dieses Beratungsangebot gibt.
Heute hat sich sicherlich schon einiges verändert. Es ist nicht mehr so tabuisiert, aber/und ja/und das ist, sozusagen, sicherlich auch so, weil es eben das UN-Übereinkommen der Menschenrechte eben gibt, für Menschen mit Behinderungen, das ja 2008 von Österreich ratifiziert worden ist. Und somit ist eben das Recht auf sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung eben den Menschen mit Beeinträchtigungen zugesprochen worden.
Das heißt, sie können selbst entscheiden, oder sie sollen auch selbst entscheiden können, ob und wie sie verhüten wollen, ob und mit wem sie zusammenleben wollen und ob sie eine Familie gründen möchten. Und dafür, wenn ich eine Entscheidung treffe, heißt das ja auch, dass ich Verantwortung dafür übernehme. Und da sollen sozusagen die Menschen, alle Menschen, damit das möglich ist, und eben auch mit Lernschwierigkeiten und mit Beeinträchtigungen, unterstützt werden.
Katharina Müllebner: Was sind, Ihrer Meinung nach, die Voraussetzungen, dass Menschen mit Behinderungen ihre Sexualität selbstbestimmt leben können?
Elisabeth Chlebecek: Ja, Selbstbestimmung bedeutet für mich etwas, einmal über sich selbst zu wissen, über die eigenen Bedürfnisse, die eigenen Wünsche, über die Umsetzbarkeit auch dafür. Und da brauchen manche Menschen eben auch eine Unterstützung und eine Begleitung dafür. Das heißt, Selbstbestimmung bedeutet für mich eben, dass das eigene Leben aktiv gestaltet werden kann, dass man da frei ist von institutionalisierten Zwängen. Es braucht Wissen, Information, Verständnis und auch Wahlmöglichkeiten natürlich und auch Unterstützung. Und Unterstützung verstanden, eben selbst bestimmen zu können, wann, von wem, wie und wo ich unterstützt werde. Da braucht es eben so etwas wie Pflegegeld und Persönliche Assistenz.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Eltern leisten einen zentralen Beitrag zum Fortbestand und zur Entwicklung unserer Gesellschaft. Sie begleiten die zukünftige Generation auf dem Weg in ein selbstbestimmtes Leben. Eltern tragen die meiste Zeit Verantwortung für das Leben ihrer Kinder. Sie haben großen Einfluss darauf, wie man später als Erwachsener die Welt sieht und wie man sich in ihr bewegt. Auch Menschen mit Behinderungen können und wollen Eltern sein, wie andere Eltern auch haben sie ihre ganz eigenen Wege ihre Kinder bestmöglich zu unterstützen.
Sie hörten Elternschaft und Behinderung aus der BIZEPS- Sendereihe barrierefrei-aufgerollt.
Alle Informationen zu dieser Sendung finden Sie auf www.barrierefrei-aufgerollt.at.
Sie hörten diese Sendung auf Radio ORANGE 94.0. Es verabschiedet sich ihr Redaktionsteam Markus Ladstätter, Martin Ladstätter und Katharina Müllebner!
[Musik mit Text: barrierefrei aufgerollt – kurz, kompakt und leicht verständlich]
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