Barrierefrei aufgerollt widmet sich dem Thema Maßnahmenvollzug. Der Maßnahmenvollzug betrifft jene Menschen, die auf Grund psychischer Erkrankungen nicht in herkömmlichen Strafvollzug untergebracht werden können.
Eigentlich sollte Maßnahmenvollzug Therapie statt Strafe bedeuten. Doch ist das wirklich so?
Schon lange sehen Kritiker des Maßnahmenvollzugs einen mehr als dringenden Reformbedarf. In dieser Sendung sprechen wir mit Kritikerinnen und Kritikern des Maßnahmenvollzuges und mit dem zuständigen Justizminister.
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Unsere Gäste
- Markus Drechsler, Obmann der Selbst- und Interessensvertretung Maßnahmenvollzug
- Elisabeth Wintersberger, arbeitete lange als Sachwalterin beim VertretungsNetz. Jetzt ist sie dort Bereichsleiterin für Oberösterreich.
- Josef Moser, Justizminister
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Diese Sendung wurde auf Radio ORANGE 94.0 am 3. März 2019 um 10:30 Uhr gesendet. Die Sendung kann auch auf o94.at live gehört werden. Am 17. März 2019 um 10:30 Uhr wurde sie auf Radio ORANGE 94.0 wiederholt.
Die Sendung zum Nachlesen
Katharina Müllebner: Herzlich Willkommen zur heutigen Sendung von barrierefrei aufgerollt von BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben. Am Mikrofon begrüßt Sie Katharina Müllebner.
In dieser Sendung sprechen wir über das Thema Maßnahmenvollzug. Der Maßnahmenvollzug betrifft jene Menschen, die auf Grund einer psychischen Erkrankung nicht in normalen Strafvollzug untergebracht werden können.
Eigentlich sollte Maßnahmenvollzug Therapie statt Strafe bedeuten. Doch ist das wirklich so?
Schon lange sehen Kritiker des Maßnahmenvollzugs einen mehr als dringenden Reformbedarf. Menschenrechtsverletzungen und unbefristete Einweisung sind nur zwei der Probleme.
In der heutigen Sendung sprechen wir mit Kritikerinnen und Kritikern des Maßnahmenvollzuges und dem zuständigen Justizminister.
Maßnahmenvollzug und Menschenrechte, so das Thema der heutigen Sendung. Sie hören diese Radiosendung auf Radio Orange 94.0.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Eine kritische Stimme in Bezug auf den Maßnahmenvollzug ist Markus Drechsler. Er ist Obmann der Selbst- und Interessensvertretung Maßnahmenvollzug. Diese Organisation wurde 2016 gegründet sie kümmert sich um Menschen im Maßnahmenvollzug.
Herr Drechsler, was versteht man eigentlich unter Maßnahmenvollzug?
Markus Drechsler: Der Maßnahmenvollzug ist, so, wie es im Gesetz heißt, eine vorbeugende Maßnahme. Das heißt, dass, wenn jemand ein Delikt setzt, also straffällig wird, weil er etwas anstellt, zum Schutz der Allgemeinheit und zur Therapie beziehungsweise Behandlung nicht in ein Gefängnis kommen sollte, sondern in eine Anstalt, in der er therapiert und behandelt wird.
Es gibt zwei verschiedene Arten vom Maßnahmenvollzug.
Es gibt den für sogenannte zurechnungsunfähige Täter und einen für zurechnungsfähige Täter. Das bezieht sich immer auf den Tatzeitpunkt.
Das heißt, wenn jemand im Rahmen einer psychiatrischen Grunderkrankung, einer Psychose oder Schizophrenie, ein Delikt setzt, weil er zum Beispiel glaubt, verfolgt zu werden, ist er im rechtlichen Sinn nicht straffähig und nicht schuldfähig.
Das heißt, er wird auch deswegen nicht bestraft. Er bekommt keine Freiheitsstrafe, sondern eben die Einweisung, wie es noch immer heißt, in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Diese Einweisung ist prinzipiell unbefristet.
Das heißt, auch für ein relativ kleines Delikt kann man durchaus einige Jahre in so einer Anstalt dann eingesperrt sein. Wie kommt man überhaupt in den Maßnahmenvollzug? Um in den Maßnahmenvollzug zu kommen, muss eben ein Delikt gesetzt worden sein von dieser Person und das hat bestimmte Kriterien, die erfüllt sein müssen.
Die sind hier zwar gar nicht so wichtig, sondern viel wichtiger ist, dass ein Gutachter darüber entscheidet, ob eine, wie es auch immer heißt, geistige Abnormität höheren Grades vorliegt und der Gutachter wird aber bestellt durch die Staatsanwaltschaft, d.h. die erste Selektion passiert bei der Staatsanwaltschaft die endscheidet aufgrund eines Bauchgefühls, ob jemand eventuell eine psychische Erkrankung hat oder nicht.
Das bedeutet dann aber auch in weiterer Folge, dass man mit demselben Delikt eventuell in Wien zu keinem Gutachter käme aber in Innsbruck, weil dort ein anderer Staatsanwalt tätig ist, der halt schneller der Auffassung ist vielleicht, dass da etwas nicht stimmt doch einen Gutachter bestellt, d.h. es ist jetzt nicht deliktabhängig oder irgendwie abhängig davon wie man sich verhält, sondern es passiert auf der Einschätzung des Staatsanwalts.
Katharina Müllebner: Wovon hängt das ab, wie lange jemand im Maßnahmenvollzug ist?
Markus Drechsler: In der Theorie sollte es davon abhängen, welche Fortschritte erzielt werden und ob die Gefährlichkeit abgebaut ist. In der Praxis ist es so, dass jährlich eine Überprüfung stattfindet, ob diese Gefährlichkeit abgebaut ist, und dazu die Anstalt, in der derjenige oder diejenige untergebracht ist, gibt dazu ein Statement ab, einen Bericht, und im Idealfall wird dann auch noch ein Psychiater dazu bestellt und ein Gericht entscheidet dann, ob derjenige oder diejenige noch weiter angehalten wird oder bedingt entlassen wird.
Katharina Müllebner: Das klingt alles irgendwie theoretisch, was Sie jetzt gesagt haben, aber wie sieht es in der Praxis aus?
Markus Drechsler: Also in der Praxis ist es so, dass der längste Untergebrachte, der bei uns Mitglied ist, ist 39 Jahre im Maßnahmenvollzug gewesen, bevor er entlassen worden ist, und er ist dort hineingekommen, weil er … also wegen einer gefährlichen Drohung und Widerstand gegen die Staatsgewalt.
Das heißt, er hat einen damals noch Gendarmen beschimpft und verflucht und hat den auch, sagen wir mal so, ganz leicht verletzt, also er hat eine Schürfwunde gehabt. Das hat dann dazu geführt, dass er eben 39 Jahre im Maßnahmenvollzug war.
In der Praxis ist es aber so, dass die Anhaltezeit im Maßnahmenvollzug um ein Vielfaches länger ist, als wenn jemand für dasselbe Delikt eine normale Strafe bekäme.
Katharina Müllebner: Warum unterscheidet man das überhaupt?
Markus Drechsler: Naja, die Grundintention war Therapie statt Strafe. Der Meinung bin ich natürlich auch, dass eine Therapie sinnvoller ist, als jemanden einfach nur wegzusperren. In der Praxis hat sich das allerdings über die Jahre nicht so etabliert.
Das heißt, in Wirklichkeitsind jetzt Untergebrachte auch in normalen Justizanstalten. Um auf die Frage eigentlich zurückzukommen: Die Unterscheidung ist wichtig, weil es eigentlich eine Sache des Gesundheitssystems wäre.
Das hat sich in Österreich noch nicht wirklich durchgesetzt, dieser Gedanke, dass, wenn ein Mensch psychisch krank ist, dann ist er ein kranker Mensch und gehört nicht in ein Gefängnis, wie es jetzt ist, sondern eigentlich ins Gesundheitssystem.
Dadurch, dass in Österreich aber die Justiz Bundesangelegenheit ist und die Gesundheitsversorgung Landesangelegenheit ist, wehrt sich natürlich/wehren sich die Bundesländer dagegen, diesen Auftrag zu übernehmen, weil es natürlich mit zusätzlichen Kosten verbunden ist.
Katharina Müllebner: Wie werden Menschen mit Behinderungen Ihrer Meinung nach im Maßnahmenvollzug behandelt?
Markus Drechsler: Es gibt im Maßnahmenvollzug eigentlich eine große Breite an verschiedenen Menschen natürlich. Dazu gehören auch Menschen mit Behinderung. Wir haben einige Klienten, die zum Beispiel eine Lern-/Leseschwäche haben.
Es gibt da keine besondere Behandlung, das heißt, das, was notwendig wäre an Therapien, an Unterstützungsmöglichkeiten, an Assistenzleistungen, wird nicht angeboten.
Es gibt auch Menschen, die im Rollstuhl in den Maßnahmenvollzug kommen. Die haben das Problem, dass das ein bauliches Problem ist, weil die Justizanstalten natürlich nicht barrierefrei ausgestattet sind. Was es aber gibt, es gibt eine sogenannte Seniorenabteilung, jetzt nicht speziell für den Maßnahmenvollzug, aber für den Strafvollzug und da geht man schon den Weg, dass eben Menschen, die besondere Pflege oder besondere Bedürfnisse haben, dann dort untergebracht werden.
Katharina Müllebner: Was geschieht, wenn man aus dem Maßnahmenvollzug wieder herauskommt? Gibt es da Unterstützungsmaßnahmen?
Markus Drechsler: Also, wenn der glückliche Fall eintritt, dass jemand aus dem Maßnahmenvollzug nach langer Zeit entlassen wird, steht er vor mehreren Problemen,
also einerseits wird er nur bedingt aus dem Maßnahmenvollzug entlassen, das bedeutet, diese Entlassung ist mit Weisungen und Auflagen vom Gericht verbunden.
Im Normalfall sind das Weisungen wie zum Beispiel Psychotherapie, der regelmäßige Besuch beim Psychiater, die Unterstützung durch Neustart, das ist die Bewährungshilfe, oder eben auch die Verpflichtung, sich an einen bestimmten Ort aufzuhalten. Das sind meistens WGs, Wohngemeinschaften oder Heime, die mehr oder weniger spezialisiert sind darauf, Menschen aus dem Maßnahmenvollzug aufzunehmen.
Aus unserer Sicht ist eine Heimunterbringung oder eine WG-Unterbringung in den meisten Fällen nicht notwendig.
Katharina Müllebner: Wir haben jetzt sehr viel über Probleme im Maßnahmenvollzug gehört, gibt es seitens des Gesetzgebers irgendwelche Überlegungen Verbesserungen indem Bereich durchzuführen?
Markus Drechsler: Überlegungen gibt es eigentlich schon seit mittlerweile Jahrzehnten. Also viele Experten und Expertinnen haben sich schon in den 80er-, 90er- und 2000er-Jahren schriftlich, mündlich oder wie auch immer dazu geäußert, haben Probleme erkannt und benannt.
Es ist auch spätestens seit dem Vorfall in Stein, bei diesem handelt es sich um einen in Stein Untergebrachten, dem während dem Maßnahmenvollzug wegen nicht vorhandener Pflege und Unterstützung fast ein Fuß abgefault ist. Danach war der Aufschrei groß.
Also der damalige Justizminister Brandstetter hat daraufhin eine Expertenkommission benannt, die auch dann sehr zügig eigentlich die Probleme gesichtet hat und benannt hat in einem Expertenbericht mit 92 Vorschlägen. Die sind allerdings seitdem nicht umgesetzt worden.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Elisabeth Wintersberger arbeitet beim VertretungsNetz, seit einigen Jahren ist sie Bereichsleiterin für Oberösterreich. In ihrer Arbeit hat sie sehr viel mit der Thematik Maßnahmenvollzug zu tun. Auch hat sie eine Dissertation zum Thema geschrieben und veröffentlicht.
Was versteht man unter Maßnahmenvollzug?
Elisabeth Wintersberger: Der Maßnahmenvollzug ist eine Sonderform des Strafvollzugs. Das ist auch wichtig deshalb zu betonen, weil man in Medien zum Beispiel des Öfteren hört, jemand der nicht zurechnungsfähig ist und deswegen in den Maßnahmenvollzug kommt, muss nicht hinter Gitter, sondern befindet sich in einer quasi Therapieeinrichtung. Das ist grundlegend falsch. Auch jemand, der sich im Maßnahmenvollzug befindet, befindet sich in einem Gefängnis.
Katharina Müllebner: Welche Gruppen sind vom Maßnahmenvollzug betroffen?
Elisabeth Wintersberger: Grundsätzlich sind es zwei sozusagen Zielgruppen, die allerdings gemeinsam haben, dass das Gesetz sie als geistig abnorm bezeichnet, nämlich als geistig abnorme Rechtsbrecher.
Das heißt, gemeinsam haben beide Gruppen, dass sie eine Straftat begangen haben.
Die Gruppe 1, etwas salopp bezeichnet als die „Einundzwanzig Einser“, also die nach Paragraph 21, Absatz 1 per Strafgesetzbuch Untergebrachten, sind Menschen, die zum Zeitpunkt der Tat zurechnungsunfähig waren, also der klassische psychisch Kranke, der zum Beispiel an einer Schizophrenie leidet. Der sogenannte „Einundzwanzig Zweier“, der nach 21, Absatz 2 STGB Eingewiesene ist zurechnungsfähig, das heißt, er bekommt auch eine Strafe wie jeder andere Straftäter, aber auch eine zusätzliche unbefristete Unterbringung in der Maßnahme, weil er geistig abnorm ist. Die Hauptdiagnose bei dieser Gruppe sind Persönlichkeitsstörungen.
Katharina Müllebner: Gibt es irgendwelche konkreten Zahlen, wie viele Personen in Österreich im Maßnahmenvollzug untergebracht sind?
Elisabeth Wintersberger: Kreiert wurde der Maßnahmenvollzug im Jahr 1975, da ist er eingeführt worden. Bis in die 90er Jahre waren es relativ wenige … er war ja konzipiert für etwa 200 Menschen österreichweit. Seit den 90er Jahren steigt die Einweisungsrate kontinuierlich an. Die Entlassungsrate leider nicht, weil auch die Aufenthaltsdauer kontinuierlich länger wird.
Bis etwa 2015, da war zumindest auch unsere interne letzte Zählung waren es in etwa 800 insgesamt, also ziemlich gleich verteilt nach 21.1 und 21.2.
Seit 2016, Brunnenmarktgeschichte, sind insbesondere die Einweisungen, also die Einweisung zurechnungsunfähiger, psychisch Kranker exorbitant gestiegen, nämlich auf über 600 und das heißt, wir sind insgesamt auf mindestens 1.000, wenn nicht inzwischen schon darüber.
Katharina Müllebner: Sie haben jetzt den Brunnenmarkt erwähnt, könnten Sie genauer erklären, was Sie damit meinen?
Elisabeth Wintersberger: Unter dem Titel Brunnenmarkt ist ein Verbrechen in Wien bekannt geworden, in dem ein psychisch kranker junger Mann, der schon seit vielen Jahren auf den Straßen gelebt hat und auch immer wieder auffällig wurde und war, eine Passantin mehr oder weniger mit einer Eisenstange erschlagen hat und dann eine eigene Kommission eingerichtet wurde, die überprüfen sollte, woran lag es denn, dass da ein Mensch, der augenfällig psychisch krank war, keinerlei Unterstützungen oder Hilfen erhalten hat.
Also er ist offensichtlich von Nachbarn und Nachbarinnen ernährt und unterstützt und so weiter worden, aber es gab offenbar weder irgendwelche Aktivitäten der Sozialarbeit oder der Psychiatrie oder der Polizei. Er wurde des Öfteren angeblich in der Psychiatrie vorgestellt, die ihn aber nicht aufgenommen hat.
Ja, und diese Kommission hat einen Bezug zur Maßnahme hergestellt, obwohl es, glaub ich, nicht wirklich ein Problem des Maßnahmenvollzugs war, sondern ein Problem des Fehlens all dessen des letztlich in die Einweisung in den Maßnahmenvollzug führt.
Katharina Müllebner: Warum sehen Sie persönlich den Maßnahmenvollzug eigentlich so kritisch?
Elisabeth Wintersberger: Weil er eigentlich vorwiegend aufgrund der Diskriminierung beeinträchtigter Menschen im Vergleich zu dem normalen Straftäter, was daran liegt, dass es grundsätzlich keine Befristung gibt, dass es keine Abwägung gibt, wie schwer die Straftat tatsächlich war, dass es relativ reine Willkür ist, ob jemand zum Beispiel während der Verhandlung oder im Vorfeld so auffällig wird oder bekannt ist, dass er ein Psychiatrieklient ist oder zum Beispiel auch einen Sachwalter oder Erwachsenenvertreter hat.
Was darauf hinweist, dass er an einer Beeinträchtigung leidet und ganz aktuell auch deshalb, weil die Maßnahmeneinrichtungen, und wir haben ja insgesamt nur drei Sonderjustizanstalten, in die Maßnahmenklienten eingewiesen werden, der Rest befindet sich in forensischen Abteilungen der Psychiatrien, die alle samt und sonders überfüllt sind. Das heißt, es ist derzeit noch weniger als bisher möglich, wirklich individuelle Behandlungen und Betreuung zu leisten.
Katharina Müllebner: Wo sehen Sie den größten Reformbedarf beim Maßnahmenvollzug?
Elisabeth Wintersberger: Meine Forderungen sind relativ radikal, das heißt, ich sehe überhaupt keinen Vorteil, keine Notwendigkeit, keine Rechtfertigung, ein Instrument wie die Maßnahme überhaupt aufrecht zu halten.
Ich wäre grundsätzlich für Abschaffung.
Wenn Reformen, dann jedenfalls eine Erhöhung der Strafdrohung, das heißt eine gefährliche Drohung, ein versuchter Widerstand gegen die Staatsgewalt darf nicht genügen, um jemand unter Umständen für Jahrzehnte wegzusperren.
Ja, das ist die Hauptforderung; und die zweite Hauptforderung ist selbstverständlich eine Befristung. Das heißt, auch für einen Maßnahmenhäftling muss absehbar sein, dass der Aufenthalt in einer Anstalt irgendwann endet.
Katharina Müllebner: Wie bewerten Sie den Maßnahmenvollzug in Hinblick der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen?
Elisabeth Wintersberger: Als eindeutige Diskriminierung in jeder Hinsicht. Die UN BRK fordert, insbesondere Artikel 14 und da wieder insbesondere die Richtlinien zu Artikel 14 stellen eigentlich völlig klar, dass ich keine benachteiligenden Sonderregelungen an die Beeinträchtigung anknüpfen darf.
In Österreich gibt es ein Gutachten der Uni Innsbruck, das behauptet, wir knüpfen ja eh nicht an die Beeinträchtigung an, sondern an die Gefährlichkeit.
Das stelle ich in Abrede, weil nicht die Gefährlichkeit den beeinträchtigten Straftäter vom normalen Straftäter unterscheidet, der ist genauso gefährlich, sondern seine Beeinträchtigung, und damit knüpfen wir mit diesen Sonderregelungen sehr wohl an ausschließlich die Beeinträchtigung an und knüpfen sehr viel schlechtere Bedingungen, nämlich einen unbefristeten Freiheitsentzug daran an.
Im Vergleich zu einem Straftäter, der 40-mal vorbestraft ist und trotzdem entlassen werden muss, ist es eine pure Diskriminierung.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Wir haben jetzt einiges über die Probleme im Maßnahmenvollzug gehört. Jetzt sprechen wir mit Justizminister Josef Moser. Wie sieht er den Maßnahmenvollzug?
Was funktioniert Ihrer Einschätzung nach im Maßnahmenvollzug und was funktioniert nicht?
Josef Moser: Also es funktioniert sicherlich gut, dass die Sicherheit der Bevölkerung durch den Maßnahmenvollzug, den wir durchführen eben sichergestellt ist.
Dass gleichzeitig wir sehr stark den Maßnahmenvollzug darauf ausrichten, dass gerade die Bedürfnisse auch der Maßnahmentäter, die dann nämlich Richtung Therapie, dass eine Resozialisierung stattfinden kann und so weiter, ein Zentrum auch unserer Bemühungen sind.
Ich würde sagen, das funktioniert sehr gut, aber wir haben enorme Herausforderungen gerade in dem Bereich zu bewältigen.
Katharina Müllebner: Wie beurteilen Sie den Umgang mit psychisch kranken Straftäterinnen und Straftätern im Maßnahmenvollzug aus menschenrechtlicher Sicht?
Josef Moser: Wir haben da immer ein Spannungsverhältnis, auf der einen Seite die Menschenrechte, die Freiheit des Einzelnen, auf der anderen Seite natürlich der Schutz der Bevölkerung, und genau in diesem Spannungsverhältnis müssen wir uns bewegen.
Wobei wir natürlich dabei auf jeden Fall sicherzustellen haben die Sicherheit der anderen, der Bürgerinnen und Bürger, aber auf der anderen Seite in dem Zusammenhang auch, dass die Grund- und Freiheitsrechte in vollem Ausmaß gewährleistet werden, nämlich auch der Straftäter, das heißt, dass die Menschenrechte beachtet werden.
Katharina Müllebner: Könnten Sie uns etwas darüber sagen, wie eigentlich die Unterbringung von psychisch kranken Straftäterinnen und Straftätern im Maßnahmenvollzug aussieht?
Josef Moser: Wir müssen natürlich dabei unterscheiden, dass wir zwei Arten von Maßnahmentätern haben, nämlich jene, die zurechnungsfähig sind und aufgrund einer geistigen Abartigkeit eine Handlung begangen haben, und jene, die eben unzurechnungsfähig sind. Das heißt jene, die krank sind und ihr Handeln nicht verstehen.
Das heißt, wir haben zwei Maßnahmentäter. Der eine, der krank ist und sozusagen an und für sich dem Gesundheitssystem zuzuordnen wäre und der andere, der eben zurechnungsfähig ist, aber eine geistige Abartigkeit hat.
Und genau im Hinblick auf diese zwei Tätergruppen müssen wir natürlich unterschiedlich vorgehen und unterschiedliche Maßnahmen setzen und das tun wir auch, wobei wir auch das Abstandsgebot, das ja wichtig ist, beachten. Das heißt also, dass jene Straftäter, die nicht geistig abnorm sind, von den jeweils anderen getrennt werden.
Katharina Müllebner: Warum gab es trotz jahrelanger Kritik bis jetzt noch keine grundlegende Reform im Maßnahmenvollzug?
Josef Moser: Seit ich Justizminister bin, habe ich mit vollem Nachdruck auch im Bereich des Strafvollzuges beziehungsweise im Maßnahmenvollzug Maßnahmen gesetzt. Aus dem Grund haben wir jetzt einen fertigen Entwurf in Zusammenhang mit dem Maßnahmenvollzug.
Es wird erstmals ein Maßnahmenvollzugsgesetz geben. Und natürlich ist es so, dass es in dem Bereich unheimlich viel an Komplexität gibt, das heißt an Einflüssen gibt, dementsprechend vom Sozialarbeiter angefangen, über Sicherheit, auf der anderen Seite arbeitsrechtliche Maßnahmen und, und, und… Also es ist ein sehr … Therapien in jeder Form … es ist ein sehr, sehr komplexes Thema und deshalb werden wir den fertigen Entwurf, der bei mir auf dem Tisch liegt, werden wir auch mit den Stakeholdern, das heißt auch mit den Betroffenen und Organisationen besprechen, dass ich jedenfalls bis Ostern den Maßnahmen/das neue Maßnahmenvollzugsgesetz in Begutachtung schicken kann, damit es noch womöglich im ersten Halbjahr beschlossen werden kann. Nämlich eine Maßnahme, die vorsieht, dass auch der Maßnahmenvollzug auf der Höhe der Zeit ist, den Anforderungen gerecht wird und wo wir das Spannungsfeld, von dem ich vorher gesprochen habe, zwischen Freiheit und gleichzeitig Sicherheit in optimaler Weise versuchen zu lösen.
Katharina Müllebner: Im Jahr 2015 haben Expertinnen und Experten einen Bericht veröffentlicht 92 Empfehlungen zur Schaffung eines zeitgemäßen und menschenrechtskonformen Maßnahmenvollzugs, werden Sie diese Empfehlungen umsetzen?
Josef Moser: Also es ist ganz logisch. Das heißt, nachdem diese Vorarbeit von meinem Vorgänger und gleichzeitig auch unter Einbindung aller Betroffenen so erarbeitet worden ist, gleichzeitig, sie haben es ja erwähnt, sind eine Fülle von Vorschlägen unterbreitet worden.
Natürlich ist das Maßnahmenvollzugsgesetz, was wir jetzt/was ich jetzt ausgearbeitet habe, fußt natürlich auf diesen Empfehlungen und wird im Hinblick auf die Entwicklungen der letzten Zeit natürlich up to date gehalten, das heißt weiterentwickelt, dass wir damit von einer sehr guten Basis in dem Fall die Zukunft gestalten können.
Katharina Müllebner: Wie stellen Sie sich diese Reform konkret vor, können sie uns ein paar Punkte nennen?
Josef Moser: Die wichtigsten Punkte in dem Zusammenhang sind, dass gerade im Maßnahmenvollzug, der ein sehr schwieriger Vollzug ist und leider einer ist, der immer mehr an Bedeutung gewinnt, nicht nur, was die Quantität betrifft … das heißt, wir haben, wenn man das Jahr 2000 hernimmt und das Jahr 2018, haben wir eine Steigerung der Eingewiesenen von 380 Prozent.
Das heißt, wir haben allein nach den unzurechnungsfähigen Maßnahmentätern derzeit rund 600 in unseren Gefängnissen und darüber hinaus zurechnungsfähige Maßnahmentäter haben wir rund 400. Das sind rund 1.000 Personen. Und in dem Zusammenhang geht es eben darum, was können wir tun, um diese Herausforderung von der Quantität her und natürlich von der Qualität her zu bewerkstelligen.
Und ein Punkt, der dabei ist, ist der, dass ich natürlich kurzfristig, um eben sehr wohl den Anforderungen gerecht zu werden, weitere Kapazitäten zur Verfügung stelle. In dem Zusammenhang ist das Beispiel in Göllersdorf oder beispielsweise auch in Asten oder in der Josefstadt, dass wir zusätzliche Kapazitäten zur Verfügung stellen.
Es sind auch Neubauten dabei geplant, wie beispielsweise in Asten, wo 100 Plätze dazu kommen und auf der anderen Seite geht es darum, um eben die Gefährlichkeit abschöpfen zu können, dass wir beispielsweise in dem Fall auch in der Generaldirektion ein Kompetenzzentrum eingerichtet haben, dass wir gleichzeitig eine Clearingstelle eingerichtet haben, die aus dem Bezug auf den jeweiligen Maßnahmentäter die Maßnahme vorbereitet und die Gefährlichkeitsprognosen erstellt.
Wir haben Departments eingerichtet, wo also nicht ein Justizwachebeamter im Vordergrund steht, sondern auf der anderen Seite ein klinischer Psychologe und dem Therapeuten zugewiesen sind. Wir haben in dem Fall ein Risikomanagement-Tool eingerichtet, dass das Risiko herausarbeitet und wir haben Qualitätsstandards entwickelt.
Und was wollen wir noch machen? Das was entscheidend ist, auch für die Öffentlichkeit, für uns alle, dass in dem Fall die Anzahl der Fehleingewiesenen reduziert wird.
Das heißt in Zukunft, wie bereits erwähnt, wird nicht eine Person, ein Psychiater, sondern auch ein klinischer Psychologe mit die Einweisung beurteilen. Wenn sie zu unterschiedlicher Meinung kommen wird eine dritte Person beigezogen, die dann eine weitere Befundung durchführt. Es wird ein Kollegialgericht entschieden. Es wird natürlich auch, um dementsprechend zu Unrecht Entlassene irgendwo vermeiden zu können, wird natürlich auch die Rechtsstellung der Eingewiesenen erhöht.
Das sind also Kernelemente, die wir vorgesehen haben und gleichzeitig natürlich, dass wir auch einen Therapieplan erstellen und beispielsweise einen klinischen Case-Management eingerichtet haben, dass bezogen auf die Einzelpersonen eine Therapie in dem Fall angelegt wird, weil ja Ziel ist, dass wir Menschen, die in dem Fall im Gefängnis sind, so vorbereiten, dass der Rückfall in dem Fall möglichst reduziert ist und das hat ja bisher schon sozusagen erwiesen, wenn man sich anschaut, dass beispielsweise bei dem unzurechnungsfähigen Maßnahmentätern, die in der Folge entlassen worden sind, die Rückfallquote immer noch zu hoch ist.
Jeder Rückfall ist zu hoch, das heißt, bei den Nichtzurechnungsfähigen ist sie bei 13 Prozent, bei den Zurechnungsfähigen ist sie bei 24 Prozent und allgemein ist die Rückfallquote bei 33 Prozent. Das heißt, der Maßnahmenvollzug funktioniert. Er hat aber enorme Herausforderungen, sowohl im Hinblick auf die Quantität und Qualität und ich habe die Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass die Sicherheit gewährleistet ist auf der einen Seite und die Menschenrechte auf der anderen Seite tatsächlich nicht gefährdet werden.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Das war unser Einblick in das Thema Maßnahmenvollzug, juristisch ein schwieriges Feld, ist eine umfassende Reform die Lösung oder gar eine Abschaffung?
Sie hörten die Sendung Maßnahmenvollzug und Menschenrechte aus der BIZEPS- Senderreihe „barrierefrei aufgerollt“.
Alle Informationen zu dieser Sendung finden Sie auf www.barrierefrei-aufgerollt.at.
Sie hörten diese Sendung auf Radio ORANGE 94.0. Es verabschiedet sich ihr Redaktionsteam Markus Ladstätter, Martin Ladstätter und Katharina Müllebner!
[Musik mit Text: barrierefrei aufgerollt – kurz, kompakt und leicht verständlich]
liebes “barrierefrei aufgerollt” radioteam,
eure sendung habe ich informativ gefunden. bin selber in der nachsorge von maßnahmeklient*innen tätig und will auf den umstand der verhälnismäßigkeit von straftat und anhaltedauer hinweisen. in deutschland hat hierzu eine gesetzesänderung zum sinken der anzanhl an einweisungen und anhaltungen geführt. dies sollte auch im neuen MVG vom Justizminister berücksichtigt werden.
LG