Die Diskussion rund um das Thema Mindestsicherung betrifft alle, die zu Sicherung ihres Lebensunterhalts auf Unterstützung angewiesen sind. Das gilt insbesondere für die Gruppen, die bei der Inklusion auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt sind, weil sie als nicht arbeitsfähig eingestuft werden, oder aus anderen Gründen nicht oder nur Teilzeit arbeiten können.
Laut Statistik Austria geben ein Viertel der Bezieherinnen und Bezieher von bedarfsorientierter Mindestsicherung an, dass sie stark durch Behinderung beeinträchtigt sind.
Mit Hilfe der bedarfsorientierten Mindestsicherung sollen Armut und soziale Ausgrenzung vermieden werden. Sie soll zur Existenzsicherung von Familien oder alleinstehenden Personen beitragen, die zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes auf Unterstützung angewiesen sind. Zusätzlich soll sie eine Unterstützung beim Einstieg oder Wiedereinstieg ins Arbeitsleben sein, so die Theorie. Doch erfüllt die Mindestsicherung diese Aufgaben?
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Unsere Interviewpartner
- Martin Schenk, Sozialexperte, stellvertretender. Direktor der Diakonie Österreich und Mitbegründer der „Armutskonferenz“
- Robert Mittermair, Geschäftsführer des Vereins LOK Leben ohne Krankenhaus, Sprecher der Interessensvertretung sozialer Dienstleistungsunternehmen für Menschen mit Behinderungen Wien, kurz IVS Wien
- Birgit Hebein, Sozial- und Sicherheitssprecherin Die Grünen Wien
Die Sendung im Radio hören
Diese Sendung wird auf Radio ORANGE 94.0 am 4. November 2018 um 10:30 Uhr gesendet. Die Sendung kann auch auf o94.at live gehört werden. Am 18.November 2018 um 10:30 Uhr wurde sie auf Radio ORANGE 94.0 wiederholt.
Sendung zum Nachlesen und Nachhören
Katharina Müllebner: Herzlich Willkommen zur heutigen Sendung von barrierefrei aufgerollt. Vor dem Mikrofon begrüßt Sie Katharina Müllebner.
Vor einigen Jahren hat die bedarfsorientierte Mindestsicherung die zuvor in jedem Bundesland unterschiedlich geregelte Sozialhilfe ersetzt.
Mit Hilfe der bedarfsorientierten Mindestsicherung sollen Armut und Ausgrenzung verhindert werden. Sie soll zur Existenzsicherung von alleinstehenden Personen oder Familien beitragen. Zusätzlich soll sie eine Unterstützung beim Einstieg oder Wiedereinstieg ins Arbeitsleben sein. Doch erfüllt die Mindestsicherung alle diese Aufgaben?
Kann man von der Mindestsicherung leben? Wie würden sich die Kürzungen dieser Leistung konkret auf das Leben von Personen auswirken?
Die Diskussion rund um das Thema Mindestsicherung betrifft alle, die zu Sicherung ihres Lebensunterhalts auf Unterstützung angewiesen sind. Laut Statistik Austria geben ein Viertel der Bezieherinnen und Bezieher von Mindestsicherung an, dass sie eine Behinderung haben. Unsere Expertinnen und Experten haben Fakten für Sie, die Sie nicht verpassen sollten.
„Mindestsicherung- Eine Leistung von Bedeutung“, so der Titel der heutigen Sendung, sie hören diese Sendung auf Radio Orange 94.0.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Die Debatte rund um die Mindestsicherung ist in direkter Weise mit Fragen rund um Armut und Existenzsicherung verbunden. Martin Schenk ist Sozialexperte sowie stellvertretender Direktor der Diakonie und Mitbegründer der “Armutskonferenz”. Die Armutskonferenz ist ein Netzwerk aus über 40 Organisationen, Forschungseinrichtungen Selbsthilfegruppen und Initiativen, die sich mit der Frage beschäftigen, wie es in einem reichen Land wie Österreich in Sachen Armut aussieht. Was kann man dagegen tun? Wie sieht die Forschungsbasis aus?
Herr Schenk, was soll die Mindestsicherung leisten und erfüllt sie das denn auch?
Martin Schenk: Das Ziel der Mindestsicherung ist, dass sie Existenz sichert. Das ist das Ziel, das hat sie überall. Egal wo man so was in einem Sozialstaat macht, dass man nicht in den dunklen Keller fällt. Also, dass es so was wie ein Netz gibt, dort wo nichts mehr geht ein Netz gibt. Und das muss sie eigentlich leisten. Also wenn alles andere versagt, also alles, was es drüber gibt. Arbeitslosenversicherung, Systeme der Pflege, Systeme der Schule, der Bildung, also wenn diese vorgelagerten Systeme versagen, dann soll sie so was wie ein letztes Netz sein.
Katharina Müllebner: Und erfüllt das sich auch tatsächlich?
Martin Schenk: Dieses Ziel Existenz zu sichern, erfüllt sie nicht, weil es einfach viele Probleme in der Mindestsicherung gibt und gerade Probleme, über die niemand spricht. Es gibt so was wie wirklich verschwiegene und vergessene Probleme in der Mindestsicherung. Da geht es zum Beispiel um die Frage der Wohnkosten. Ein Riesenproblem in den Städten Wien, Innsbruck, Graz, weil dort die Wohnkosten so steigen in den letzten fünf, sechs, sieben Jahren.
Und darauf hat die Mindestsicherung noch keine gute Antwort gefunden.
Große Frage, wie geht es mit Menschen mit Behinderung und Beeinträchtigungen in Privathaushalten? Also die einfach in einer eigenen Wohnung leben und leben wollen und leben sollen. Wie geht sich das aus? Wie kann man das finanzieren bei den steigenden Wohnkosten?
Probleme gibt es beim Unterhalt, Probleme gibt es bei der Soforthilfe, man kann sich vorstellen Soforthilfe ist etwas, was eben sofort, wenn man eine Not hat, sofort da sein soll. Aber es gibt Wartezeiten auf diese Soforthilfe bis zu drei Monaten. Das ist keine Soforthilfe mehr. Also Probleme gibt es genug, leider sprechen wir über die nicht.
Katharina Müllebner: Laut einer Sozialstudie der EU sind mehr als die Hälfte der Bezieher und Bezieherinnen von Mindestsicherung, eine Behinderung oder sind chronisch krank. Welche Konsequenzen haben die Änderungen bezüglich der Mindestsicherung für diese Personengruppe?
Martin Schenk: Das ist auch ein großes Tabu, das eigentlich alle bei einer Mindestsicherung reden, nämlich über Flüchtlinge. Das ist eine relevante Gruppe bis zu einem Drittel aber die größte Gruppe eigentlich in der Mindestsicherung, sind Menschen mit chronischen Krankheiten und Menschen mit Behinderung und Kinder. Das sind die drei großen Gruppen. Und das ist auch kein Zufall. Weil natürlich gerade für die Gruppen, die Kinder ausgenommen, es schwieriger ist, am Arbeitsmarkt einfach einen Job zu finden, weil auch der Arbeitsmarkt nicht inklusiv genug ist, um selbstverständlich Leute, die was können, und mit Behinderung aufzunehmen.
Deswegen brauchen das die Leute, damit sie nicht völlig in den dunklen Keller fallen und völlig die Existenz verlieren und überhaupt keine Chance mehr haben.
Katharina Müllebner: Ab wann gilt man als arm und kann man ungefähr sagen wie viele Menschen in Österreich von Armut betroffen sind?
Martin Schenk: Da muss man mit zwei Blicken hinschauen. Der erste Blick ist der Einkommensblick. Da geht es um es Geld. Wer wenig Geld hat, wer einkommensarm ist, da gibt es auch eine Grenze, die wird statistisch errechnet, die liegt bei 1100,1200 Euro für eine Person. Das heißt aber, du hast wenig Geld. Viele Leute haben wenig Geld, was weiß ich, Studenten vielleicht, und würden aber nicht automatisch gleich als arm bezeichnet.
Deswegen gibt es noch den zweiten Blick. Und der schaut drauf, wie ist die Alltagssituation der Leute? Also gibt es/ wie ist die wirklich? Ist die bedrückend, schlecht, ausgrenzend, bedrohlich, feuchte, schimmlige Wohnung, nicht barrierefrei, psychische und physische Erkrankungen, die Schulsachen für die Kinder nicht zahlen können, wenn was kaputt wird, der Boiler, die Waschmaschine oder irgendwas und man hat man keine Rücklagen um das ersetzen zu können.
Wenn beides zusammentrifft, wenig Geld und schwierige, bedrückende Lebenssituation, dann spricht man von Armut und Ausgrenzung. Das sind ungefähr 400.000 Menschen zurzeit in Österreich.
Katharina Müllebner: Wie wirkt sich die derzeitige Situation bei der Mindestsicherung auf die Armut von Menschen aus?
Martin Schenk: Wir haben große Probleme dort, wo die Mieten und die Wohnkosten sehr hoch sind. Eben in den großen Städten. Und das trifft gerade auf Haushalte zu, die einfach mehr auch zum Beispiel Anschaffungskosten um barrierefrei zu sein oder bestimmte Mehrausgaben brauchen in ihren eigenen Haushalten. Auch für Haushalte, wo mehrere Leute zusammenleben. Das kann Familie mit Kindern sein, mit mehreren Kindern, das können aber auch sein, Angehörige, pflegende Angehörige, wo sozusagen der eine den anderen auch Betreuungsaufgaben übernimmt.
Überall dort wird das Haushaltseinkommen gerechnet und in einigen Bundesländern, Oberösterreich und Niederösterreich, wurde das ja gedeckelt auf 1500 Euro. Das kann, wenn dann mehrere Personen zusammen leben schnell passieren und das ist gerade ein großes Problem, weil in diesen Haushalten überproportional Kinder leben, überproportional viele Menschen mit Pflegebedarf und eben mehr als in der Normalbevölkerung, Leute mit Behinderungen leben.
Das hat man auch gesehen, wir haben das gesehen in den Beratungsstellen die Mitglieder der Armutskonferenz haben, das ganz, ganz, ganz viele Leute mit Behinderungen nicht mehr weiterwissen und einfach ihre Miete nicht mehr zahlen können und nicht wissen, wie sie über die Runden kommen, genau wegen diesen Deckelungen.
Und die Hautprobleme sind, dass wir zurzeit in der Mindestsicherung nicht die Probleme angehen, nämlich Probleme wie Unterhalt, keine Soforthilfe, zu wenig Hilfen auch um wieder rauszukommen, sondern eigentlich nur von Kürzungen und weniger, weniger, weniger sprechen. Und eigentlich ganz viele Menschen in ihrem Alltag in ihrer Existenzsicherung bedrohen. Und ich sage das so dramatisch, weil ich glaube wirklich, dass es da einen Aufschrei braucht, dass wir gemeinsam als Gesellschaft, jetzt betroffen oder nicht betroffen, sagen, wir wollen in einer Gesellschaft leben, wo niemand um seine Existenz zittern muss.
Wo niemand Angst haben muss, dass er aus der Wohnung fliegt, am Ende des Monats, wo jemand Angst haben muss, dass er nicht genug zum Essen hat. Das kann es in unserer Gesellschaft und soll es nicht geben.
Katharina Müllebner: Wie hoch ist die Mindestsicherung eigentlich? Und kann man Ihrer Meinung nach von der Mindestsicherung leben?
Martin Schenk: Die Mindestsicherung liegt bei 860 Euro für eine Person. Das kann sich schon ausgehen, aber wieder die Frage, wie ist das mit der Miete und mit dem Wohnen und sind Kinder dabei? Also sozusagen, es ist ein knappes Leben, das zum Überleben reicht, aber nicht für ein gutes Leben.
Ein gutes Leben ist ja ein Leben, das uns nicht nur überleben lässt, wo man sagt, okay, wir kommen so gerade durch und schaffen es irgendwie, sondern es soll ja ein Leben sein, wo wir auch teilhaben, das heißt, dabei sein können. Wo man auch ins Theater gehen kann. Ins Kino gehen kann. Wo man Freunde treffen kann und mit denen ein Bier oder einen Saft trinken kann. Also wir wollen ja auch, also Leben ist ja einfach vielschichtig und das geht sich mit dem nicht aus.
Eher im Gegenteil, wir wissen aus vielen Studien, dass Leute, die in der Mindestsicherung sind, viel höhere Krankheitsrisiken haben, besonders was chronischer Stress betrifft, weil Existenzangst einfach Stress erzeugt.
Katharina Müllebner: Welche Art von Reformbedarf hat die Mindestsicherung in Österreich und was wären da Ihrer Meinung nach die wichtigsten Schritte?
Martin Schenk: Das Wichtigste sind die Wohnkosten. Das ist das, was am stärksten aufschlägt und auch den größten Punkt macht, besonders in den Städten, am Land ist es ein bisschen leichter. Also wir müssen adäquat uns überlegen, wie das mit/ wie man Leuten einfach ihre Wohnungen sichert.
Weil es ist tausend Mal teurer, dann Obdachlose zu betreuen, rein jetzt ökonomisch, ganz harte, also auch vom wirtschaftlichen gedacht, viel teurer Obdachlose zu betreuen als Leuten zu helfen, dass sie in ihrer Wohnung bleiben können und nicht delogiert werden.
Das Zweite ist das Unterhaltsrecht, das ist auch ein Riesenproblem, da geht es eben um Männer, Frauen, Kinder, meistens nach Scheidungen, aber nicht nur, es kann auch darum gehen, dass sie sozusagen mit Angehörige sind, die schon älter sind, das ist überhaupt noch geregelt sozusagen, nach einer, sagen wir mal, Familienkonzept, das eher aus der Nachkriegszeit kommt. Und sich noch nicht eingestellt hat auf, einfach wie soziologisch jetzt sich die Familien verändern mit Patchwork und neuen Beziehungen und keine Ahnung, was es für Familienformen gibt. Und deswegen ist der Unterhalt einfach/ muss man das neu aufsetzen.
Das Dritte ist die Soforthilfe. Also es kann nicht sein, dass man drei Monate auf Soforthilfe wartet, dann kannst du es gleich lassen. Weil das ist keine Soforthilfe.
Und dann gibt es noch ein Detail, dass aber kein Detail, sondern urwichtig ist, nämlich die Finanzierung. Wie wird die Mindestsicherung bezahlt. Es ist so, dass das sozusagen also Ländersache ist, die Länder zahlen das. Und dann gibt es ein relativ unfaires Verteilungssystem, dass diejenigen Bezirke und Regionen am meisten zahlen müssen, die die meisten Mindestsicherungsbezieher haben. Aber meistens ist es so, dass das die Regionen sind, die am Ärmsten sind.
Also dort, wo strukturschwache Regionen sind, wird es auch mehr Mindestsicherungsbezieher geben. Dort wo es reichere Städte, Länder gibt, wird es logischerweise weniger geben. Aber es ist genau umgekehrt. Die müssen mehr zahlen und die weniger. Da braucht es auch einen Verteilungsschlüssel zwischen den Bundesländern und zwischen den Regionen und Bezirken, damit es einen Ausgleich gibt. Und die, wo halt mehr Leute sind und die eh ärmer sind, nicht überfordert sind.
Katharina Müllebner: Was muss bei der Mindestsicherung in Hinblick auf Menschen mit Behinderungen denn besonders berücksichtigen?
Martin Schenk: Das eine ist, die Wohnkosten abzudecken, damit wirklich Inklusion funktioniert. Alle sagen, Schluss mit den Heimen, richtigerweise, Schluss mit den Stationären, Schluss mit den Institutionen, aber dann müssen die Leute auch in den Wohnungen auch privat leben können und überleben können und sich auch sozusagen finanziell das gut leisten können ohne Druck, das ist das Eine.
Das Zweite was ein Riesenproblem ist, sind Hilfsmittel oder auch im Gesundheitsbereich Behelfe, die man braucht auch Arzneien und dergleichen, die nämlich dann über die Mindestsicherung gezahlt werden sollten. Weil nur, keine Ahnung, wenn man jetzt was braucht, elektronische Hilfen zum Beispiel von der Augensteuerung bis zu Hilfsmittel im Alltag, bis jetzt bei chronisch Kranken, Diabetes, Diät oder eine Brille, die einfach mehr können muss, als die Krankenkassenbrille, für all das haben die Leute kein Geld. Und die Mindestsicherung zahlt es auch nicht. Vielleicht kann, vielleicht einmal dort, das ist sozusagen kein Rechtsanspruch, sondern eine Kannbestimmung.
Dann müssen die Leute dann zu den Krankenkassen gehen, da gibt es so Fonds, dort kann man einreichen, aber man weiß eigentlich nicht, ob man da was kriegt oder nicht. Das sind nämlich Almosenfonds, da sagt auch keiner, warum er was nicht bekommt. Ich würde sagen, es braucht so eine Art Katalog dieser Hilfsmittel, wo es auch einen Rechtsanspruch darauf gibt. Und wo jeder weiß okay, auf das habe ich Anspruch und auf das nicht. Und das muss man über die Mindestsicherung lösen. Weil so viele Leute eben das brauchen und in der Mindestsicherung sind, aber jetzt eigentlich keinen Anspruch darauf haben.
Katharina Müllebner: Es gibt in Österreich viele Menschen mit Behinderungen, die Mindestsicherung und auch keine oder wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Warum diskutiert man in diesem Zusammenhang nicht die Frage eines bedingungslosen Grundeinkommens?
Martin Schenk: Die Frage eines bedingungslosen Grundeinkommens, finde ich, ist völlig legitim und richtig zu stellen, weil sie nämlich sagt, du hast Existenz und Würde, egal was du sozusagen geleistet hast, oder woher du kommst oder wie du ausschaust, sondern einfach, weil du Mensch bist. Das ist das sozusagen das ethisch Schöne an der Idee des Grundeinkommens.
Die Umsetzung ist nicht so einfach, das mag ich gar nicht verhehlen, weil da gibt es viele Probleme im Detail. Aber allein von der Grundidee ist das etwas, was wir auf jeden Fall diskutieren sollten.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Robert Mittermair ist Geschäftsführer des Vereins LOK Leben ohne Krankenhaus und Sprecher der Interessensvertretung sozialer Dienstleistungsunternehmen für Menschen mit Behinderungen in Wien kurz IVS Wien.
Herr Mittermair, wann bekommt man denn Mindestsicherung?
Robert Mittermair: Mindestsicherungbekommt man dann, wenn man keine andere Form des Einkommens hat. Es ist eine subsidiäre Leistung. Das heißt, wenn man über kein Erwerbseinkommen verfügt oder keine Versicherungseinkommen verfügt, wie zum Beispiel Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe, wenn man keine Pension/ über keine Pension verfügt und kein anderes Einkommen hat, dann kann man Mindestsicherung beantragen.
Katharina Müllebner: Kann man Ihrer Meinung nach von Mindestsicherung leben?
Robert Mittermair: Es ist möglich, von der Mindestsicherung zu leben. Es gibt Menschen, die davon leben, also muss es auch möglich sein. Aber es ist sehr schwer, von der Mindestsicherung zu leben. Wobei man hier unterscheiden muss, dass es, zumindest in Wien, zwei Formen von Mindestsicherung gibt, die normale Mindestsicherung und die Dauerleistung. Und mit der Dauerleistung ist es etwas leichter.
Weil, wenn man die Dauerleistung bekommt, dann bekommt man die Mindestsicherung 14 mal. Aber insgesamt ist es schon so, dass man mit der Mindestsicherung eigentlich unter der Grenze ist, die als Armutsgrenze beschrieben ist oder betrachtet wird. Und letztlich ist es wirklich eine Existenzsicherung. Aber es ist sicher schwer, mit diesem Einkommen so etwas wie gesellschaftliche Teilhabe möglich zu machen.
Katharina Müllebner: Weil Sie es jetzt erwähnt haben, was ist die Dauerleistung?
Robert Mittermair: Die Dauerleistung bedeutet, dass die Mindestsicherung nicht nur monatlich ausbezahlt wird, sondern dass es im Mai und im Oktober eine doppelte Zahlung der Mindestsicherung gibt, so etwas wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld, wie man das im Erwerbsleben hat oder wenn man Pension bezieht.
Die Dauerleistung wird dann zuerkannt, wenn man dauerhaft erwerbsunfähig ist. Also wenn man nicht arbeitsfähig ist auf Dauer, dann kann man die Dauerleistung bekommen. Der Hintergrund ist der, dass die Mindestsicherung eigentlich eine Überbrückungshilfe ist für Menschen, die vorübergehend in eine Notsituation geraten, keine Versicherungsleistung in Anspruch nehmen können, damit sie vorübergehend in ihrer Existenz gesichert sind. Und für Menschen, die auf Dauer nicht erwerbsfähig sind und auch nie erwerbsfähig waren und deswegen auch nicht im ASVG-System integriert sind, ist die Mindestsicherung letztlich ihre Existenzgrundlage auf Dauer.
Katharina Müllebner: Wo sehen Sie einen Nachbesserungsbedarf, bei der Mindestsicherung?
Robert Mittermair: Ich sehe Nachbesserungsbedarf dort, wo es um Menschen geht, die dauerhaft von der Mindestsicherung leben müssen, weil sie eben nicht erwerbsfähig sind oder nicht in der Lage sind, auf diesem Arbeitsmarkt erwerbsfähig zu sein. Ich denke, dass es notwendig wäre, diese Menschen auszunehmen von der Vermögensgrenze. Zurzeit ist es ja nicht erlaubt … mit der Mindestsicherung darf man ja kein Vermögen haben. Das bedeutet, dass Menschen mit Behinderungen, die auf die Mindestsicherung angewiesen sind, nie sich ein Vermögen oder auch nur ein kleines/ kleine Ersparnisse aneignen können, weil sie nicht mehr als 4000 Euro sparen dürfen. Das halte ich für ein großes Problem.
Den zweiten Bedarf sehe ich auch, dass es wünschenswert wäre, dass für alle Menschen, die erwerbsunfähig sind, und damit auch völlig unverschuldet in dieser Situation sind, auch Sonderzahlungen bezahlt werden. Das wäre ein großer Wunsch von mir.
Katharina Müllebner: Gibt es noch irgendetwas, was Sie für wichtig halten? Das Sie uns noch erzählen möchten?
Robert Mittermair: Ja, die Sache mit der Erwerbsfähigkeit ist eine Medaille mit zwei Seiten. Auf der einen Seite geht es darum, dass Menschen mit Behinderungen per se, wenn man sie als arbeitsunfähig bezeichnet, vom Erwerbsleben ausgeschlossen sind. Keine Chance haben, am Arbeitsleben teilzunehmen, am regulären, keine Chance haben, einen Teil auch beizutragen zur Gesellschaft, über die Arbeit, was ja in unserer Gesellschaft ein ganz wesentlicher Teil ist.
Und natürlich auch keine Leistungen der Rehabilitation in diese Richtung in Anspruch nehmen können, weil sie per se arbeitsunfähig sind und deswegen auch keine AMS-Kurse und so weiter besuchen können. Auf der anderen Seite ist die Erwerbsunfähigkeit aber auch ein Schutz für diese Menschen, weil sie sicherstellt, dass sie nicht AMS-Kurse besuchen müssen, die sie vielleicht gar nicht schaffen würden. Dass sie nicht sich vorstellen gehen müssen. Dass sie nicht Gefahr laufen, dass ihnen Leistungen gekürzt werden, weil sie bestimmten Dingen nicht nachkommen.
Und weil es die Grundlage dafür ist, dass sie eine Existenzgrundlage eben von der Mindestsicherung bekommen
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Birgit Hebein ist die Sozial und Sicherheitssprecherin der Wiener Grünen. Das Thema Mindestsicherung spielt in Ihrer politischen Arbeit eine große Rolle.
Frau Hebein, warum ist denn die Mindestsicherung für Familien besonders wichtig?
Birgit Hebein: Warum ist die Mindestsicherung für Familien so wichtig? Dazu muss man sagen, die Mindestsicherung ist das letzte soziale Netz, das wir haben. Das heißt, wir haben ja ein Sozialversicherungssystem, wenn man krank ist, versichert, gibt es Ärzte, Ärztinnen. Wenn man arbeitslos wird, gibt es die Arbeitslosenversicherung und man erhält Arbeitslosengeld. Aber wenn all diese Systeme nicht mehr ausreichen, dann gibt es noch das letzte soziale Netz, und das ist die Mindestsicherung. Und für Familien ist es besonders schwierig, weil sie eine der armutsgefährdensten Gruppen sind in unserer Stadt, auch in unserem Land. Das heißt, Familien mit vielen Kindern sind besonders von Armut betroffen.
Katharina Müllebner: Aha, und warum ist das so?
Birgit Hebein: Warum ist das so? Das hängt mit vielen Faktoren zusammen. Einerseits mehr Kinder bedeuten einfach mehr Geld. Das Zweite ist, wir haben noch immer ein Bildungssystem, wo Armut vererbt wird. Und das Dritte ist, wir leben in einer Arbeitswelt, wo die Wirtschaft tollerweise wächst, aber nicht alle profitieren davon. Das heißt, schlecht ausgebildete Menschen haben es urschwer, eine Arbeit zu finden.
Es gibt immer weniger Hilfsarbeiten. Das heißt auch, besonders für Frauen ist es sehr schwierig, die viele Kinder haben, oft in Teilzeit arbeiten, arbeiten müssen und dadurch gehören diese zu einer der größten Gruppen, die angewiesen sind auf die Mindestsicherung. Vielleicht noch ein Satz dazu.
Wenn wir uns die Zahlen anschauen, wer denn angewiesen ist auf dieses Geld, und das ist ein Minimum an Geld zum Leben, dann sehen wir ein Drittel, ein Drittel aller Menschen, die in Not sind, und auf die Mindestsicherung angewiesen sind, sind Kinder.
Katharina Müllebner: Erachten Sie persönlich die Mindestsicherung für ausreichend hoch?
Birgit Hebein: Ein Mensch hat Anspruch auf circa 860, 870 Euro im Monat, wenn er Mindestsicherung bezieht. Das heißt, damit muss er die Wohnung zahlen, das Essen, das gesamte Leben, Freizeit, öffentliche Verkehrsmittel. Das ist nicht viel.
Katharina Müllebner: Können Sie vielleicht ein Beispiel nennen wie sich die Kürzungen der Mindestsicherung konkret auf das Leben eines Menschen ausgewirkt hat?
Birgit Hebein: Ja, es gibt sehr viele Beispiele, und ich führe sehr, sehr viele Gespräche und bin immer vorsichtig, Beispiele zu nennen. Wissen Sie, warum? Die Notsituationen der Menschen sind so vielfältig. Es gibt nicht die typische Sozialhilfeempfängerin. Ich kann Ihnen sagen, ich mache viele Hausbesuche. Wenn ich reingehe in eine Wohnung und die Tür öffnet sich und ich sehe hier eine Alleinerzieherin mit drei Kindern und es ist ein beengter Wohnraum. Dann weiß ich, oder ahne ich, dass die Zukunft der Kinder schon vorprogrammiert ist. Die Ältere kümmert sich um die Kinder, es gibt keinen Platz, um Aufgaben zu machen.
Die Mutter erzählt, dass a) finanziell es nicht einfach ist, und b) und das vergisst man oft in den Diskussionen, auch die Zeit spielt eine Rolle. Dass ihr die Zeit fehlt auch für das Leben, ja, um es so zu formulieren. Wenn man plötzlich gekündigt wird.
Ich habe jetzt einen älteren Herrn kennengelernt, in der Firma gehackelt (gearbeitet), die Firma muss die Hälfte der Leute kündigen. Mit 55 ist es schwer, eine neue Arbeit zu finden. Das heißt, die Grenze zwischen dem, dass man ein gutes Leben führen kann und schneller einmal abrutschen kann, ist eine sehr dünne.
Insofern, Entschuldigung, wenn ich mich ein bisschen schwertue, ein konkretes Beispiel zu nennen und so ist es. Ich sage umgekehrt, wenn ich zurückkomme zu dieser Familie. Ich möchte, dass jedes Kind eine gute Chance hat in Wien. Was das konkret im Alltag bedeutet für die Kinder, ist sehr vielfältig. Ich erlebe es bei meinen Besuchen. Ich werde auch eingeladen. Dass niemand der Familien von sich aus darüber spricht, dass sie arm sind.
Ich kenne keine Familie, die von sich sagt, sie ist furchtbar arm. Sondern es sind dann Familien, die sagen, das Wichtigste ist, dass wir die Wohnung nicht verlieren. Also sparen wir mal zum Beispiel, bei der Heizung, die drehen wir weniger auf.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Die vergangenen Interviews haben deutlich gemacht, wie wichtig die bedarfsorientierte Mindestsicherung als letztes soziales Netz unserer Gesellschaft ist. Die Diskussion rund um das Thema betrifft in direkter Weise die Lebensgestaltung und Teilhabechancen von Menschen.
Dies gilt insbesondere für die Gruppen, die bei der Inklusion auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt sind, weil sie zum Beispiel als nicht arbeitsfähig eingestuft werden, oder aus anderen Gründen gar nicht oder nur Teilzeit arbeiten können.
Letztendlich könnten wir alle in eine Situation kommen, wo wir auf bedarfsorientierte Mindestsicherung angewiesen sind.
Das war „Mindestsicherung- Eine Leistung von Bedeutung“, aus der BIZEPS-Sendereihe „barrierefrei aufgerollt“.
Alle Informationen zu dieser Sendung finden Sie auf der Internetseite www.barrierefrei-aufgerollt.at.
Sie hörten diese Sendung auf Radio ORANGE 94.0.
Es verabschiedet sich Ihr Redaktionsteam, Katharina Müllebner, Markus Ladstätter und Martin Ladstätter.
[Musik barrierefrei aufgerollt] Musik mit Text: barrierefrei aufgerollt – kurz, kompakt und leicht verständlich