Der Einstieg ins Arbeitsleben ist ein wichtiger Schritt in die Selbstständigkeit. Leider sind Menschen mit Behinderungen in Österreich häufig vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen.
Es ist klar, dass diese Tatsache nicht hingenommen werden darf. Doch wie kann die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt gefördert werden? Wie kann man Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber motivieren, offener für diese Personengruppe zu werden? Expertinnen und Experten geben Antworten.
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Unsere Interviewpartner
- Franz Wolfmayr, Experte im Aufbau inklusiver gemeindenaher Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen. Ehemaliger Geschäftsführer von Chance B.
- Gregor Demblin, Unternehmer und Gründer der inklusiven Jobplattform myAbility.jobs (ehemals Career Moves) und der Unternehmungsberatung myAbility.
- Julia Jungwirth, Geschäftsführerin des ÖZIV – Bundesverband für Menschen mit Behinderungen.
Die Sendung im Radio hören
Diese Sendung wurde auf Radio ORANGE 94.0 am 7. Oktober 2018 um 10:30 gesendet. Die Sendung kann auch auf o94.at live gehört werden. Am 21. Oktober 2018 um 10:30 wurde sie auf Radio ORANGE 94.0 wiederholt.
Sendung zum Nachlesen und Nachhören
Katharina Müllebner: Herzlich Willkommen zur heutigen Sendung von barrierefrei aufgerollt von BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben. Vor dem Mikrofon begrüßt Sie Katharina Müllebner.
Der Einstieg ins Arbeitsleben ist ein wichtiger Schritt in die Selbstständigkeit.
Leider sind Menschen mit Behinderungen in Österreich häufig vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Rund ein Viertel der Arbeitslosen weisen eine Behinderung oder eine gesundheitliche Vermittlungseinschränkung auf. Was kann man tun um Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt auf dem ersten Arbeitsmarkt zu integrieren? Wir haben diese wichtige Frage an Expertinnen und Experten weitergegeben, die sich schon jahrelang mit dem Thema Inklusion am Arbeitsmarkt beschäftigen. Sie haben die Antworten für uns.
„Teilhabe am Arbeitsleben“, das ist der Titel der heutigen Sendung. Sie hören diese Sendung auf Radio ORANGE 94.0.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Franz Wolfmayr ist Gründer und langjähriger Geschäftsführer des Inklusionsprojekts Chance B. Er war Präsident des Dachverbands „Die Steirische Behindertenhilfe“ und auchPräsident des Europäischen Dachverbands der Dienstleistungsanbieter für Menschen mit Behinderungen. Heute arbeitet er dort freiwillig als Senior Advisor.
Herr Wolfmayr,wie schätzen Sie denn die Situation von Menschen mit Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt ein? An dieser Stelle muss ich noch was für unsere Zuhörerinnen und Zuhörer erklären. Als ersten Arbeitsmarkt bezeichnet man den regulären Arbeitsmarkt, also den, der in der freien Wirtschaft stattfindet.
Franz Wolfmayr:Ja, dazu sind zwei Dinge, aus meiner Sicht, zu sagen. Das eine ist, dass die Situation in den offiziellen Statistiken, in den Arbeitslosenstatistiken, von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsmarkt in Österreich so schlecht ist, wie noch nie. Wir haben gegenüber 2010 eine Steigerung der arbeitslosen Menschen mit Behinderungen um mehr als 111 Prozent. Das ist wirklich katastrophal.
Das Zweite ist, wir haben nach wie vor eine gesetzliche Barriere im Zugang zum Arbeitsmarkt. Wir unterscheiden zwischen arbeitsfähigen und nicht arbeitsfähigen Menschen. Und das ist einfach eine willkürliche Entscheidung, die wahrscheinlich einmal zum Schutz der Menschen getroffen wurde, die heute aber eine unüberwindbare Barriere ist. Und die Zahl dieser Menschen sind mindestens 23.500. Wahrscheinlich sind es viel mehr, die gar nie den Versuch machen, überhaupt in den Arbeitsmarkt zu kommen.
Katharina Müllebner: Warum sind Menschen mit Behinderungen häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen als Menschen ohne Behinderungen?
Franz Wolfmayr: Das ist sicher dadurch gegeben, dass viele von ihnen, also der Menschen mit Behinderungen, zusätzliche Anpassungen, zusätzliche Maßnahmen, positive Maßnahmen brauchen, damit sie arbeiten können.
Es ist nach wie vor ein Vorurteil da, dass Menschen mit Behinderungen weniger leistungsfähig sind. Das mag in Einzelfällen ja auch durchaus stimmen, aber in Bezug auf einzelne Jobs sind viele der Menschen mit Behinderungen sehr gut einsatzfähig. Das heißt, aus unserer Sicht, eine der positiven Maßnahmen, die gesetzt werden muss, ist zu helfen herauszufinden, wo die Stärken einer konkreten Person sind und wer genau in seinem Unternehmen die brauchen kann.
Und auf diese Art gelingen eigentlich sehr gute Arbeitsverhältnisse, wo also auch wirklich Menschen mit Behinderungen ihre vollen Kapazitäten ausspielen können. Also kurz gesagt noch einmal, einerseits Vorurteile, andererseits sind Einschränkungen da, aber wo es gute, positive Maßnahmen braucht, um diese auszugleichen. Und diese positiven Maßnahmen sind oft nicht ausreichend vorhanden.
Katharina Müllebner: Was muss passieren, damit Menschen mit Behinderungen auf den ersten Arbeitsmarkt integriert werden können?
Franz Wolfmayr: Da muss, aus meiner Sicht, schon sehr viel früher etwas passieren. Die Inklusion am Arbeitsmarkt, wenn sie dann erst beginnen soll, mit 16, 17, 18, ist das viel zu spät. Das muss mit der Geburt beginnen. Das heißt, Kinder mit Behinderungen, Familien mit Kindern mit Behinderungen, müssen so gut inkludiert sein in ihrer Gemeinde, in ihrem Wohnbereich, dass sie dort immer ihre vollen Möglichkeiten ausspielen können und auch soziale Kontakte haben können, ihr Netzwerk aufbauen können.
Katharina Müllebner: Können Sie uns einmal erklären, was für Maßnahmen zur Inklusion am Arbeitsmarkt gibt es und was davon würden Sie sagen ist erfolgreich?
Franz Wolfmayr: Es gibt relativ viele und gute Maßnahmen zur Inklusion am Arbeitsmarkt in Österreich und sie sind natürlich in gewisser Hinsicht alle erfolgreich, weil sie helfen, Arbeit zu schaffen und zu finden. Was das Problem ein bisschen ist, ist, dass sie nicht ausreichend genug ausgebaut sind, also zum Beispiel inklusive Berufsausbildungsassistenz steht nicht ausreichend zur Verfügung für alle Menschen, die das brauchen würden. Und wenn ich eine Lehre, eine inklusive, machen will, dann kann ich nicht warten, bis in drei Jahren ein Platz frei ist dafür, sondern das muss sofort geschehen.
Also das heißt, diese Möglichkeiten müssen ausreichend zur Verfügung stehen. Und das Zweite ist, dass wir diese sogenannten arbeitsunfähigen Personen haben, für die diese Leistungen derzeit nicht zur Verfügung stehen. Das heißt, hier sind die Länder gefordert, auch im Rahmen ihrer Zuständigkeiten diese Leistungen für Menschen mit Behinderungen, die als nicht arbeitsfähig gelten, möglich zu machen.
Katharina Müllebner: Weil Sie das jetzt schon erwähnt haben, was bedeutet eigentlichder Begriff der Arbeitsunfähigkeit und was hat er für Auswirkungen?
Franz Wolfmayr: Ja, der Begriff der Arbeitsunfähigkeit ist ein sehr unsäglicher. Er sagt nämlich nichts über die Fähigkeit, zu arbeiten aus, sondern ist ein rein medizinischer Begriff, der aussagt, dass jemand eine Behinderung von mehr als 50 Prozent hat und eine Leistungsfähigkeit von weniger als 50 Prozent. Also, das sagt alles und nichts. Aber er ist sehr entscheidend. Wenn nämlich diese Arbeitsunfähigkeit am Übergang von der Schule in den Beruf festgestellt wird, dann bekommt man sie nie wieder los. Das heißt, man ist nicht sozialversicherbar, man kann keine Leistungen vom AMS in Anspruch nehmen und so weiter. Also, alle diese sozialgesetzlichen Möglichkeiten, die jeder Arbeitnehmer und jede Arbeitnehmerin in Österreich sonst hat, stehen diesen Menschen nicht offen.
Katharina Müllebner: Sind Menschen mit Behinderungen überhaupt eine Zielgruppe des AMS?
Franz Wolfmayr: Ja, Menschen mit Behinderungen sind eine Zielgruppe des AMS, das ist ganz klar im Arbeitslosenversicherungsgesetz geregelt. Das AMS müsste konkret einmal für alle diese Menschen, die individuelle Beratung und Unterstützung brauchen, ein Netzwerk aufbauen, das diese individuelle Beratung und Unterstützung anbietet. Aus meiner Sicht wäre es gut, wenn es sich da des bestehenden Netzwerks, des NEBA-Netzwerks bedient, das derzeit schon aufgebaut ist und vom Sozialministeriumservice angeboten wird. Das ist das eine.
Das Andere ist, es braucht in allen Regionen, auch für manche Leistungen entsprechende Angebote. Dazu gehören Beschäftigungsangebote für den Wiedereinstieg in das Berufsleben. Diese Angebote sind verfügbar, es sind sozialökonomische Betriebe, es sind Beschäftigungsgesellschaften, aber sie werden für Menschen mit Behinderungen nicht angeboten. Also diese Angebote zu öffnen für Menschen mit Behinderungen und dabei auch ein bisschen das inhaltliche Angebot zu erweitern, ist möglich und notwendig.
Katharina Müllebner: Was ist denn NEBA und was sind sozialökonomische Betriebe?
Franz Wolfmayr: NEBA heißt Netzwerk Berufliche Assistenz und hat eine Fülle von Dienstleistungen, wie Arbeitsassistenz, Berufsausbildungsassistenz, Jobcoaching, die vom Sozialministeriumservice finanziert werden. Sozialökonomische Betriebe werden vom Arbeitsmarktservice in Österreich finanziert, und das sind Unternehmen, die eine sozialpädagogische Betreuung anbieten und wo Menschen in einem zeitlich befristeten Dienstverhältnis angestellt werden können, mit dem Ziel, sich zu stabilisieren, etwas zu lernen und dann einen Job zu finden.
Katharina Müllebner: Was für Folgen hat denn Arbeitslosigkeit aus Ihrer Sicht für Menschen mit Behinderungen?
Franz Wolfmayr: Die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderungen hat natürlich für die Personen selbst gravierende Folgen. Viele von ihnen werden zusätzlich zur Behinderung, die schon besteht, noch krank. Psychische Erkrankungen sind sehr oft eine Folge, Identitätsprobleme. Man vereinsamt, weil Arbeit ja doch hilft, in die Welt hinauszukommen und so weiter. Also hier gibt es eine Fülle individueller Probleme.
Auf der anderen Seite hat die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderungen auch hohe Kosten. Das wird meistens übersehen, weil in Österreich die Kosten immer verschoben werden, die Krankheitskosten werden nämlich auf die Länder verschoben, und die berufliche Inklusion müsste vom Sozialministeriumservice oder vom AMS bezahlt werden. Also diese Verschiebungen sind ein Problem. Aber wir wissen, dass die Kosten um ungefähr 2,5 Prozent bis 6 Prozent höher sind, für die öffentlichen Hände.
Katharina Müllebner: Wenn Sie einen Appell an die Regierung richten dürften was wäre der?
Franz Wolfmayr: Aus menschenrechtlicher Sicht, auch aus europäischer/ europarechtlicher Sicht hier gibt es ja so eine Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist es notwendig, dass es eine abgestimmte Gesetzgebung und eine abgestimmte Maßnahmenorientierung gibt, wie die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt gelingen kann.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Gregor Demblin ist Rollstuhlfahrer. Er ist Gründer von myAbility und myAbility.jobs. MyAbility ist ein wirtschaftsorientierter Ansatz zur Inklusion von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt.
Dabei wird mit großen Unternehmen zusammengearbeitet, um deren Arbeitsplätze, Arbeitsangebote und Produkte für Menschen mit Behinderung zugänglich zu machen.
MyAbility.jobs ist eine inklusive Jobplattform, auf der Unternehmen, die sich im Vorfeld schon Gedanken darüber gemacht haben, Jobs für Menschen mit Behinderungen ausschreiben. Das soll die Chancen von Menschen mit Behinderungen im Bewerbungsprozess steigern.
Herr Demblin,wie ist es dazu gekommen, dass Sie Unternehmer wurden?
Gregor Demblin: Gute Frage! Eigentlich, aus meiner Erfahrung im Rollstuhl heraus. Also ursprünglich habe ich, nach meinem Unfall, einfach gemerkt, dass ich im Rollstuhl ganz anders behandelt werde, als das vor meinem Umfall der Fall war. Und ich habe dann sehr schnell einen starken Wunsch entwickelt, hier einen Beitrag zu leisten, um gesellschaftliche Vorurteile abzubauen.
Und um hier mehr Barrierefreiheit zu schaffen, weil ich gesehen habe, dass einfach diese Barrieren in den Köpfen eigentlich die viel größeren Probleme sind, als die baulichen Barrieren, über die immer diskutiert wird.
Und ich habe dann für mich diesen Weg über die Wirtschaft gewählt, eben mit großen Unternehmen gemeinsam Barrierefreiheit zu schaffen und diese Unternehmen als Motor für gesellschaftliche Veränderungen zu verwenden. Und daraus hat sich dann eigentlich sukzessive die Unternehmertätigkeit entwickelt.
Zuerst haben wir das im Verein gemacht und dann haben wir gesehen, dass wir uns nur eigenständig entwickeln können, wenn wir auch von Förderungen unabhängig Einnahmen erwirtschaften und eben dadurch die Mittel haben, neue Projekte anzugehen und neue Leute zu beschäftigen. Und so bin ich immer weiter ins Unternehmertum hineingekommen.
Katharina Müllebner: Wenn Sie sich an ihren persönlichen Weg ins Arbeitsleben erinnern, welche Erfahrungen haben Sie da gemacht?
Gregor Demblin: Na ja, eine meiner Grunderfahrungen nach meinem Unfall war, dass mir die Leute plötzlich Leistungsfähigkeit nicht mehr zugetraut haben. Es hat sich zwar nie jemand getraut, das offen anzusprechen, aber man hat gemerkt, da ist eine ganz andere Erwartungshaltung und Grundeinstellung da, als das noch vor meinem Unfall der Fall gewesen wäre.
Und ich habe dann eben auch einige Vorstellungsgespräche gehabt, die, ich sage einmal, sehr eigenartig waren, weil das Gegenüber sich nicht vorstellen konnte, dass da jetzt jemand im Rollstuhl wirklich sich zutraut, hier eine gleichwertige Leistung zu bringen. Und die haben zwar alle gesagt, ja, ja, ganz toll, aber man hat so gemerkt, da steckt keine Überzeugung dahinter.
Und ich habe dann selbst großes Glück gehabt, weil mein erster Chef bei dem Thema wirklich total offen war, sogar sehr interessiert daran war, hier auch etwas weiterzubringen. Und so bin ich dann zu meinem ersten Job gekommen. Und wenn ich dieses Glück nicht gehabt hätte, dann, ja, ich weiß nicht, was dann passiert wäre. Dann hätte ich wahrscheinlich noch lange weitergesucht.
Katharina Müllebner: Warum glauben Sie sind Menschen mit Behinderungen häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen, als Menschen ohne Behinderungen?
Gregor Demblin: Der Hauptgrund für die hohe Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung liegt ganz sicher in Vorurteilen. Einfach, dass Arbeitgeber ihnen weniger Leistung zutrauen, das ist das eine Thema, dass sie Angst haben vor vermehrten Krankenständen, dass sie auch oft unsicher sind, wie das mit den gesetzlichen Bedingungen ausschaut, dass das Vorurteil, Menschen mit Behinderung sind unkündbar einfach ganz fix in den Köpfen drinnen sitzt.
Und dann aber auch noch auf einer viel tieferen Ebene, eben diese psychologischen Ängste, dass sie nicht wissen, wie soll ich mit den Leuten sprechen? Was darf ich sagen und was nicht? Ich glaube, dass das wahrscheinlich sogar noch einen größeren Faktor ausmacht, auch wenn es bei den meisten unbewusst ist. Und in Summe führt das dazu, dass einfach sehr wenig Arbeitgeber überhaupt ernsthaft darüber nachdenken, Menschen mit Behinderung einzustellen. Das ist einmal das eine Thema.
Das zweite Thema ist, glaube ich, ein großes politisches oder gesellschaftliches Thema, dass immer noch in den Köpfen drinnen ist, Menschen mit Behinderung müssen versorgt werden, Menschen mit Behinderung sollen in sozialen Einrichtungen, ja, wie gesagt, sie sollen nicht hungern, sie sollen sauber sein, diese Themen. Aber ihnen wirklich Chancen auf ein gleichwertiges Leben zu geben, das ist, glaube ich, eine Sichtweise, die sich in der Gesellschaft noch nicht wirklich überall durchgesetzt hat.
Und damit kommen eben auch sehr viele Menschen, die durchaus arbeitsfähig wären, halt gleich in diese Bahn vom zweiten Arbeitsmarkt hinein.
Es fängt ja schon in der Ausbildung an, mit der Entscheidung, ob Kinder in die normale Integrationsschule gehen oder in die Sonderschule. Also diese ganzen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen tragen sicher auch noch sehr viel dazu bei, dass die Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung nach wie vor extrem hoch ist.
Und was mir wirklich dabei abgeht ist, dass seit Jahrzehnten hier keine neuen Ansätze entwickelt werden, sondern von der Politik eigentlich immer ein System, das nicht wirklich funktioniert, weitergezahlt wird.
Katharina Müllebner: Was würden Sie als Experte sagen,was bringt denn einem Unternehmen eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer mit Behinderung?
Gregor Demblin: Wenn das die richtige Person am richtigen Arbeitsplatz ist, dann bringt es ihm eine gute Arbeitskraft, die im Durchschnitt sehr loyal ist, die oft froh ist, einen Arbeitsplatz gefunden zu haben und wesentlich weniger darüber nachdenkt, jetzt bald wieder zu wechseln.
Hier sind natürlich Verallgemeinerungen ganz schwierig.
Aber die Rückmeldung, die wir von vielen Unternehmen bekommen ist, dass das einfach sehr zuverlässige Arbeitskräfte sind, die sich mit dem Unternehmen stark identifizieren, die zur Motivation der gesamten Teams beitragen, weil sie selbst so motiviert sind.
Und was es dem Unternehmen natürlich vor allem auch bringt, sind alle Vorteile, die die Diversität mit sich bringt, also mehr innovative, kreative Ideen, die entwickelt werden in Teams.
Allein das ganz Know-how über Menschen mit Behinderung, das sind ja immerhin 15 Prozent der Bevölkerung und wenn ich in meinem Mitarbeiterkreis da Menschen mit Behinderung habe, dann habe ich automatisch auch das Know-how, was brauchen meine Mitarbeiter, die vielleicht irgendwann einmal altersbedingt eine Behinderung erwerben? Was brauchen meine Kunden? Was können die bei mir kaufen? Also, es sind auch sehr viele wirtschaftliche Überlegungen, die da eine Rolle spielen und die Vorteile bringen für Unternehmen, wenn sie Menschen mit Behinderung beschäftigen.
Katharina Müllebner: Spielt die Art der Behinderung eine Rolle, wenn es um die Chancen auf einen Job geht?
Gregor Demblin: Ja, leider. Nach unserer Erfahrung definitiv. Und da gibt es eigentlich ein sehr eindeutiges Ranking, also Menschen mit körperlichen Einschränkungen, klassisch, Rollstuhlfahrer und Ähnliches, das können sich die meisten Arbeitgeber noch am ehesten vorstellen, da gibt es weniger Berührungsängste.
Bei Sinneseinschränkungen wird es schon ein bisschen schwieriger, vor allem, wenn dann die Kommunikation auch betroffen ist.
Und ich glaube, am allerschwierigsten am Arbeitsmarkt haben es sicher Leute mit psychischen Behinderungen und intellektuellen Behinderungen.
Katharina Müllebner: Was für Ratschläge würden Sie Menschen mit Behinderungen auf dem Weg geben, wenn sie ins Berufsleben einsteigen wollen?
Gregor Demblin: Erstens einmal, wirklich an sich selbst zu glauben. Daran zu glauben, wenn man weiß, dass man eine Leistung bringen kann, auch daran zu glauben, dass man die im Unternehmen bringen kann.
Generell, auch unabhängig von der Leistung, an den eigenen Wert zu glauben und einfach daran zu glauben, dass man einen wertvollen Beitrag leisten kann.
Dann einfach nicht aufzugeben, zu wissen, dass ein Arbeitsmarktprozess oder eine Arbeitssuche für jeden Menschen schwierig ist. Und das ist für Menschen mit Behinderung sicher noch einmal schwieriger.
Katharina Müllebner: Wenn Sie jetzt eine Botschaft an die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber senden dürften, was wäre die?
Gregor Demblin: Ja, eine ganz einfache Botschaft: Probiert es einfach einmal aus. Wir haben gesehen, dass die Ängste, bevor man Menschen mit Behinderung einstellt, sehr, sehr hoch sind. Und dass da oft monatelang, jahrelang intern diskutiert wird, wollen wir das, können wir das, wird das funktionieren?
Und dass dann, wenn einmal sozusagen, dieser Sprung ins vermeintlich kalte Wasser getan ist, dass dann die Arbeitgeber durchwegs positive Erfahrungen machen.
Wir machen ja immer wieder Umfragen. Und da sind immer weit über 90 Prozent der befragten Unternehmen, die Menschen mit Behinderung beschäftigen hochzufrieden und sagen, sie würden das jederzeit auch anderen Unternehmen, in ähnlichen Branchen, auch wieder empfehlen und sie würden es jederzeit selbst wieder machen.
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Julia Jungwirth ist Geschäftsführerin des ÖZIV Bundesverband. Der ÖZIV ist eine österreichweit tätige Interessenvertretung für Menschen mit Behinderungen, die sich auf unterschiedlichsten Ebenen für die Interessen dieser Personengruppe einsetzt.
Katharina Müllebner: Frau Jungwirth wie unterstützt der ÖZIV Menschen mit Behinderungen auf dem Weg ins Arbeitsleben?
Julia Jungwirth: Wir haben zum einen direkt beim ÖZIV Bundesverband, Angebote für Menschen mit Behinderungen, die vom Sozialministeriumservice gefördert werden und kostenlos in Anspruch genommen werden können. Das ist die ÖZIV Arbeitsassistenz, in Niederösterreich, und ÖZIV SUPPORT Coaching, das in ganz Österreich angeboten wird.
Und über diese Angebote unterstützen wir Menschen mit Behinderungen direkt, auch auf dem Weg ins Arbeitsleben oder bei Problemen am Arbeitsmarkt.
Katharina Müllebner: Können Sie mal drauf eingehen, weil Sie es jetzt erwähnt haben, was ist Arbeitsassistenz?
Julia Jungwirth: Arbeitsassistenz ist ein Angebot für Menschen mit Behinderungen, die entweder einen Arbeitsplatz suchen, also man unterstützt bei der Suche nach einem geeigneten Arbeitsplatz, aber auch wenn es um Fragen der Sicherung des Arbeitsplatzes geht.
Also wenn ein bestehendes Arbeitsverhältnis belastet ist, wenn es da Probleme gibt, kann man sich auch an die Arbeitsassistenz wenden. Und hier wird zum einen der Arbeitnehmer unterstützt, aber auch immer wieder sensibilisiert gegenüber den Arbeitgebern.
Katharina Müllebner: Und es ist auch der Begriff Coaching gefallen, was ist das?
Julia Jungwirth: Coaching ist ein bisschen breiter angelegt. Auch da geht es natürlich um Stabilisierung, um Perspektiven, gemeinsam mit den Klienten und Klientinnen zu erarbeiten, auch wenn es natürlich um das Thema Arbeitsplatz geht, aber da ist es nicht so eng gesteckt.
Das heißt, hier spielen auch Fragen eine Rolle, und dürfen eine Rolle spielen, die sozusagen vorgelagert sind, was ganz wichtig ist, wo es oft darum geht, dass Menschen zum Beispiel ganz akut mit dem Thema Behinderung erst konfrontiert sind und wo es darum geht, zuerst einmal die eigenen Perspektiven zu klären, wieder eine Richtung zu finden.
Und dann natürlich, können da und spielen auch immer wieder Fragen von Arbeitssuche und Jobsicherung eine Rolle. Hier ist vor allem auch ein Thema, dass im Coaching unterstützt wird, durch inklusive Teams, auch sehr viele selbst betroffene Menschen, also die auch schon Erfahrungen mit dem Thema haben und dadurch auch ganz anders unterstützen können.
Also es geht wirklich um ein Angebot, wo der Mensch im Zentrum steht, wo also sozusagen der Klient selber auch die Themen vorgibt.
Katharina Müllebner: Wie schätzen Sie generell die Situation von Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt ein?
Julia Jungwirth: Zum einen muss man sagen, dass Menschen mit Behinderungen, eine Gruppe von Menschen mit Behinderungen, schon vom ersten Markt systemisch ausgeschlossen ist.
Das betrifft das Thema Arbeitsfähigkeit etwa, also die Unterscheidung zwischen arbeitsfähigen Personen und arbeitsunfähigen Personen, widerspricht aus unserer Sicht auch klar eigentlich der UN-Behindertenrechtskonvention, und diese Personengruppe ist einmal grundsätzlich vom ersten Arbeitsmarkt ausgeschlossen und scheint auch in den Arbeitslosenzahlen zum Beispiel nicht auf.
Auch die Personen, die dann zum Beispiel in Werkstätten beschäftigt sind, mit Taschengeld und so weiter, auch diese Problematik ist eine, die ja eigentlich abseits des Themas erster Arbeitsmarkt geführt ist, aber auch ständig zu führen wäre. Hier müsste einiges passieren.
Die Personen, die in den Statistiken aufscheinen, da muss man sagen, natürlich ist der Zugang prinzipiell zum ersten Arbeitsmarkt sehr oft erschwert, weil es sehr viele Barrieren gibt, die das auch verhindern.
Katharina Müllebner: Was wären Ihrer Meinung nach wichtige Schritte um die Inklusion von Menschen mit Behinderung auf den ersten Arbeitsmarkt voranzutreiben?
Julia Jungwirth: Soziale Barrieren müssten weiterhin abgebaut werden, mit wirklicher, ernsthafter Anstrengung von allen Seiten. Auch von Seiten der Wirtschaft müsste gegen Vorurteile sensibilisiert werden, mit bestimmten Märchen aufgeräumt werden, auch was die rechtliche Situation betrifft. Das ist das eine.
Es bräuchte auf der anderen Seite, wirklich auch niederschwellige, transparente und einheitliche Unterstützungsleistungen, Angebote, also dort, wo es um Lohnförderungen geht, um Förderungen zur Adaptierung des Arbeitsplatzes und so weiter.
Also auch das, all diese Förderungen und Angebote für Menschen mit Behinderungen, müssten leicht zugänglich sein. Dort müsste immer wieder auch die Frage gestellt werden, wann ist ein Angebot barrierefrei zugänglich? Und löst das auch wirklich sozusagen die Problemlage dann, im konkreten Fall?
[Überleitungsmusik]Katharina Müllebner: Zwischen Juni 2010 und Juni 2018 ist die Arbeitslosigkeit unter Menschen mit Behinderungen um über 100 % angestiegen. Diese Zahl zeigt wie dringend notwendig, gezielte arbeitsmarktpolitische für diese Personengruppe sind.
Das Fazit dieser Sendung ist klar, es sind dringend Anstrengungen notwendig, damit Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt am Arbeitsleben teilhaben können.
Das war“ „Teilhabe am Arbeitsleben“, aus der BIZEPS-Sendereihe „barrierefrei aufgerollt“.
Alle Informationen zu dieser Sendung finden Sie auf www.barrierefrei-aufgerollt.at.
Sie hörten diese Sendung auf Radio ORANGE 94.0.
Aus der Redaktion verabschieden sich, Katharina Müllebner, Martin Ladstätter und Markus Ladstätter.
[Musik barrierefrei aufgerollt] Musik mit Text: barrierefrei aufgerollt – kurz, kompakt und leicht verständlich